Sauerstoffmangel im Ozean — eine düstere Zukunft auch für polare Meereslebewesen | Polarjournal
Polaren Arten wie dem Polardorsch könnte buchstäblich die Luft ausgehen, falls es uns nicht gelingt, die Emissionen drastisch zu reduzieren. Foto: Shawn Harper/University of Alaska, Fairbanks/NOAA

Im Jahr 2021 war der Ozean so warm wie noch nie seit Beginn der menschlichen Aufzeichnungen. Für die Meeresbewohner sind das alles andere als gute Nachrichten. Denn bei steigenden Meerestemperaturen geben nicht nur Korallen ihre Algen ab und bleichen aus in der Folge oder wandern Fische nord- bzw. südwärts in kühlere Gewässer. Ein sich erwärmender Ozean bedeutet auch, dass der Sauerstoffgehalt sinkt und dies betrifft praktisch alle Meereslebewesen. US-amerikanische Forscher haben in einer neuen Studie modelliert, dass es zu einem Massensterben im Ozean kommen kann, wenn die Menschheit die Treibhausgasemissionen nicht schnell drastisch reduziert. Polare Arten wären am stärksten gefährdet.

Das letzte Massenaussterben ereignete sich am Ende des Perms vor etwa 250 Millionen Jahren. Es ist das bisher größte Aussterben der Geschichte, bei dem 95 Prozent der marinen Arten für immer verschwanden. Die Ursache war eine Erwärmung des Klimas aufgrund hoher Emissionen, die mit einem Mangel an gelöstem Sauerstoff im Ozean einherging — Bedingungen, denen wir uns im Zuge des modernen Klimawandels wieder annähern, sollten die anthropogenen Emissionen unverändert hoch bleiben. Dann könnte es ein neues Massenaussterben in ähnlicher Dimension wie das «Große Sterben» vor 250 Millionen Jahren geben, sagen die Verfasser der Studie.

«Sauerstoff ist eine Grundvoraussetzung, und es gibt keinen Ersatz dafür. Es stellt sich also die Frage, wie viel Sauerstoff ausreicht und was die Mindestmenge ist, die ein bestimmter Organismus zum Überleben braucht», so Curtis Deutsch, einer der beiden Autoren, der ebenso wie sein Co-Autor Justin L. Penn am Institut für Geowissenschaften der Princeton University und an der School of Oceanography der University of Washington forscht.

Penn und Deutsch erstellten anhand vorhandener Daten zu Sauerstoffbedarf und Sauerstoffverfügbarkeit ein Modell, um die thermischen Grenzen und ihre Auswirkungen auf die Arten vorherzusagen. Ihr Ziele waren unter anderem, zu klären, ob eine bestimmte Art in der Lage ist, bei minimaler Aktivität in einem Ruhezustand zu überleben, ob sie aktiv genug sein könnte, um sich fortzupflanzen, und ob sie einen Zustand maximaler Anstrengung überleben könnte.

«Wenn die Temperatur steigt, hat der Ozean weniger Sauerstoff, aber die Meerestiere brauchen mehr Sauerstoff», erklärt Penn gegenüber dem Magazin Eos.

Sauerstoff gelangt aus der Atmosphäre in die Oberflächenschicht, die somit reich an Sauerstoff und gut durchmischt ist. Darunter liegt die Dichtesprungschicht, die wie eine Barriere wirkt und praktisch verhindert, dass sich sauerstoffreiches Oberflächenwasser mit den darunter liegenden Wasserschichten vermischt. Nur in Tiefenwasserbildungszonen in der Arktis und Antarktis gelangt Sauerstoff in die Tiefe. Im Innern des Ozean verbrauchen die marinen Organismen Sauerstoff. Grafik: World Ocean Review/maribus gGmbH

Die beiden Forscher modellierten den potentiellen Artenverlust unter verschiedenen Emissionsszenarien. Unter Annahme geringer Emissionen und einem Temperaturanstieg von 1,9 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts, sagte das Modell einen Artenverlust voraus, der dem heutigen Niveau entspricht. «Deutlich erhöht» wäre die Zahl aussterbender Arten hingegen bei einem Szenario mit hohen Emissionen, bei dem die Erwärmung bis zu 4,9 Grad Celsius betragen könnte.

Ihre Berechnungen ergaben, dass die polaren Arten am stärksten gefährdet sind. «Polare Arten reagieren im Vergleich zu den Tropen am empfindlichsten auf Temperaturen und Sauerstoff, da die Arten in den Tropen bereits an das Leben in Regionen mit höheren Temperaturen und niedrigeren Sauerstoffgehalten angepasst sind», erklärt Penn.

Und während tropische Arten die Möglichkeit haben, in kühlere Breiten abzuwandern, bleibt polaren Arten keine Alternative. Ihr Lebensraum verschwindet bereits langsam und ein Refugium bei weiter steigenden Temperaturen gibt es für sie nicht. Sie würden global aussterben.

Das Aussterben von Arten war im Ozean meist viel gravierender als an Land, dennoch werden die marinen Ökosysteme oft übersehen, so Pedro Manuel Monarrez, Post-Doc am Department of Geological Sciences an der Stanford University, der nicht an der Studie beteiligt war. «Nach dem, was wir über die Mechanismen des Aussterbens in den fossilen Funden in den Ozeanen gesehen haben, sind die Hauptfaktoren Sauerstoffmangel und Erwärmung, die an Land nicht dieselben Auswirkungen haben», erklärt er. «Die meisten Schutzbemühungen konzentrieren sich jedoch auf terrestrische Arten, weil diese leichter zu erkennen sind.» 

Der Verlust von Arten und nur eine kleine Verringerung von Biomasse in den Ozeanen  hat nicht nur Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme selbst, sondern würde auch die menschliche Ernährung weltweit gefährden. 

Die Autoren erachten nach ihren Modellierungen die Auswirkungen des sich beschleunigenden Klimawandels auf die Meereslebewesen als tiefgreifend, die das Aussterberisiko für sie so erhöhen, wie in den vergangenen zig Millionen Jahren nicht. Zusätzliche Treiber für eine Zunahme des Artenverlusts sind die Ozeanversauerung und damit eine abnehmende Primärproduktion. Dennoch sagen sie, dass es nicht zu spät ist, die Emissionen zu reduzieren und so das Worst-Case-Szenario zu verhindern. 

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Justin L. Penn, Curtis Deutsch. Avoiding ocean mass extinction from climate warming. Science, 2022; 376 (6592): 524. DOI: 10.1126/science.abe9039

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