Neue Studie und Karte zeigen Realität des auftauenden Permafrostes | Polarjournal
Der Permafrostboden bedeckt rund 10 Prozent der Erde. Taut der Permafrost auf, verliert der Boden seine Stabilität. An Küstengebieten droht dann schwere Korrosion und damit unwiederbringlicher Landverlust und der auftauende Boden setzt noch mehr Treibhausgase frei. Bild: Lutz Schirmeister

Der auftauende Permafrostboden in der Arktis ist eines der untrüglichsten Zeichen dafür, dass sich die Regionen im hohen Norden klimatisch verändern. Doch die Diskussionen um die Geschwindigkeiten des Auftauens, die Mengen an Treibhausgasen, die dabei entweichen und die Folgen für die arktischen Ökosysteme und die Bewohner der Arktis, sind gross, denn die Meinungen darüber sind sehr breit. Eine zusammenfassende Studie unter der Leitung des deutschen Alfred-Wegener-Instituts AWI und der Brigham Young University und eine vom AWI entwickelte interaktive Karte verdeutlichen nun die Permafrostentwicklung in der Arktis.

Beide Arbeiten fassen den gegenwärtigen Wissensstand rund um die Vergangenheit und die Zukunft des Permafrostes zusammen und verdeutlichen, was unter den verschiedenen Modellszenarien passieren dürfte. Sie kommen beide zum Schluss, dass nur eine massive Reduktion der Treibhausgasemissionen die weitere Erwärmung der Arktis und damit das immer schnellere und unumkehrbare Auftauen des Permafrostbodens stoppen kann. «Wir können durchaus noch etwas tun. Für Resignation haben wir keine Zeit», erklärt Dr. Jens Strauss, Leiter der Permafrost Biogeochemie-Abteilung des AWI und Mitautor der zusammenfassenden Studie des internationalen Teams. Diese wurde in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Frontiers in Environmental Science veröffentlicht.

Nicht nur die im gefrorenen Boden gespeicherten Gase wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas sind eine Gefahr beim auftauenden Permafrost. Die Bewohner der Arktis verlieren auch ihre Lebensgrundlage durch den instabil gewordenen Untergrund. Bild: Archiv

Permafrostboden macht rund zehn Prozent der Erdoberfläche aus und ist in der Arktis schon immer einem Zyklus von Auftauen und Gefrieren ausgesetzt gewesen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben die Auftauprozesse durch die Erwärmung der Arktis massiv an Tempo zugelegt und ein Wiedergefrieren des Bodens verhindert. Dabei werden Abbauprozesse im Boden gestartet und beschleunigt, das organische Material wird zersetzt und Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas werden frei. Damit in der Öffentlichkeit weniger Unsicherheit darüber herrscht, wie schnell und wie viel das sein könnte, haben Strauss und seine Kolleginnen und Kollegen den gegenwärtigen Wissensstand in ihrer Studie zusammengetragen und zeigen so ein reales Bild zum Thema.

«Diese Menschen in der Arktis haben nur sehr wenig zum Klimawandel beigetragen, sind aber besonders stark davon betroffen»

Dr. Jens Strauss, Alfred-Wegener-Institut

Sie kommen zum Schluss, dass in den nächsten Jahren nicht die von einigen Menschen prognostizierten gigantischen Mengen frei werden, aber auch nicht weiter von den Politikern und der Gesellschaft das Problem weiter heruntergespielt werden darf. Denn neben den Treibhausgasen sind auch die direkten Auswirkungen auf die Menschen, Tiere und Pflanzen durch die Erwärmung und das Auftauen ein dringendes Problem, das alle angeht. Freisetzung von Schadstoffen wie Quecksilber, Schäden an Infrastruktur, das Verdrängen von angepassten arktischen Arten und Verlust der Lebensgrundlagen sind solche Probleme. «Diese Menschen in der Arktis haben nur sehr wenig zum Klimawandel beigetragen, sind aber besonders stark davon betroffen», sagt Jens Strauss.

Die von einem Team des AWI entwickelte interaktive Karte zeigt, wie schnell sich die Regionen mit Permafrostböden verändert haben und wie schnell sie sich unter den verschiedenen Emissionsszenarien weiter verändern werden. Ein Klick auf das Bild leitet zur echten Karte weiter. Bild: AWI

Wie schnell und wie gross das Abschmelzen der Permafrostböden in der Arktis vor sich gehen werden, zeigt eine vom AWI entwickelte interaktive Karte. Dabei zeigt sie nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit, also den Zustand vor den heute wirkenden Auftauprozessen. «Auf dieser Karte kann man sich anzeigen lassen, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben», erklärt Moritz Langer von der Forschungsgruppe PermaRisk. Er und sein Team arbeiteten dabei mit der Universität Oslo, der Humboldt-Universität und der Technischen Universität Berlin zusammen, um zeigen zu können, wie warm es an der Oberfläche zu einem beliebigen Zeitpunkt seit 1800 war, also vor der industriellen Revolution.

Daneben zeigt die Karte aber auch Zukunftsprognosen für den Permafrost unter den verschiedenen Emissionsszenarien. Und sie zeigt auch, dass Wunsch und Wirklichkeit zumindest gegenwärtig weit auseinandergehen. Denn eine Emissionsreduktion würde tatsächlich zu einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2°C führen und die Permafrostböden damit stabilisieren. «Leider steuern wir im Moment auf eine viel stärkere Erwärmung zu», meint Moritz Langer, und diese würde eher einen Anstieg um 4 – 6°C bedeuten. Was dies für die Permafrostböden heisst, zeigt die Karte deutlich jedem, der sie benutzt: kein schönes Bild.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Abbott et al (2022) Front Environ Sci (10) We Must Stop Fossil Fuel Emissions to Protect Permafrost Ecosystems ; https://doi.org/10.3389/fenvs.2022.889428

Link zur Kartenstudie: Langer et al (2022) egusphere-2022-473 (pre-print) The evolution of Arctic permafrost over the last three centuries; https://doi.org/10.5194

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