Die Grösse der Polarregionen stellt für die Wissenschaft bei der Erfassung von Auswirkungen der klimatischen Veränderungen ein grosses Problem dar. Deswegen setzt man auf den Blick von oben durch Satelliten, die mit ihren Messinstrumenten aus hunderten von Kilometern Höhe die Millionen Quadratkilometer Meereis, Gletscher und Eisschilde beobachten und vermessen. Einer der neusten und mittlerweile erfolgreichsten Satelliten ist der ICESat2, der nach mehr als 3-jähriger Startphase grünes Licht von der NASA für eine Weiterführung seiner Mission erhalten hat.
Wissenschaflterinnen und Wissenschaftler überall auf der Welt sind sich einig, dass der 1.5 Tonnen schwere und 2.5×1.9×3.8 Meter messende Satellit ein bahnbrechendes und enorm wichtiges Werkzeug für die Fernerkundung geworden ist. Seit seinem Start am 15. September 2018 kreuzt der Satellit in einer Höhe von rund 490 Kilometern rund um die Erde und feuert seine sechs Laserstrahlen des ATLAS (Advanced Topographic Laser Altimeter System)-Messinstruments auf die Erde. Die Mengen der Messungen sind dabei gigantisch: über 12 Trillionen Höhenmessungen wurden seit der Inbetriebnahme aufgenommen. Denn der Laser verschiesst pro Sekunde 10’000 Lichtimpulse pro Strahl, jeden Tag lang ohne Unterbrechung. «Ich bin wirklich erstaunt über die Technik von ICESat-2. Wir zählen einzelne Photonen, die von der Erdoberfläche abprallen – mit unglaublicher Präzision. Und die Wissenschaft, die daraus hervorgeht, ist unglaublich», sagt Alex Gardner vom NASA Jet Propulsion Lab. Und deswegen gab die NASA nun grünes Licht, die ursprünglich auf drei Jahre ausgelegte Mission zu verlängern. «ICESat-2 ist über das hinausgegangen, wofür er entwickelt wurde. Ich freue mich darauf, die Zeitreihen zu erweitern, um im Laufe der Jahre monatliche Daten der Polarregionen zu erhalten – etwas, das wir noch nicht hatten» erklärt Thorsten Markus, Leiter des Kryosphärenprogrammes bei der NASA.
Den Einfluss, den die Satellitendaten seit 2018 auf die Wissenschaft hat, kann von der NASA und auch anderen Forscherinnen und Forscher kaum genug hervorgehoben werden. Dank den Daten von ICESat-2 konnte beispielsweise gezeigt werden, dass das Arktische Meereis nicht nur in seiner Ausdehnung immer kleiner wurde, sondern auch an Volumen, sprich an Dicke, seit 2003 verloren hatte. Dabei stören weder Wolken noch Schmelzwassertümpel die Genauigkeit der Messungen, da das Lasergerät ein LIDAR-System (Light Detection and Ranging) ist, die Laser Licht mit einer Wellenlänge von 532 nm (grüner Bereich) aussenden und das an Bord des Satelliten befindliche Teleskop die zurückgeworfenen Photonen erkennt und nur diese mit der ausgesendeten Wellenlänge herausfiltert. Dadurch kann Wasser in den verschiedensten Zuständen durchdrungen werden.
Auch die Genauigkeit der Messungen durch die Verwendung von sechs Lasern, die zu drei Bündeln zusammengefasst wurden, ist enorm. Die Positionen der Laser am Satelliten, die Laserpulsrate und die Geschwindigkeit des Satelliten erlauben eine Messung pro 70 Zentimeter Boden in einem Umkreis von 17 Metern pro Puls. Damit erhalten Forschungsteams eine bisher unerreichte Auflösung. «Die Detailgenauigkeit, die wir mit ICESat-2 erzielen können, haben wir mit keinem anderen Satelliten je erreicht. Das ist ein Wendepunkt», sagt Dr. Sinéad Farrell von der Universität Maryland, die im Bereich der Schmelzwassertümpel arbeitet.
Die Technik an Bord des Satelliten und des ATLAS-Systems erlaubt nicht nur den Blick auf die Oberfläche von Meereis, Gletscher und Eisschilden, sondern auch die grossflächige Entdeckung von subglazialen Seen tief unter dem antarktischen Eisschild. Auch die Tatsache, wie stark Schmelzwassertümpel tatsächlich die Oberfläche von Eisschilden und Gletschern in Grönland und Antarktikas beeinflussen, basiert auf den Daten von ICESat-2. Andere Forschungsteams verbinden die Messungen von ICESaT-2 mit denjenigen des ESA-Satelliten CryoSat-2, der Daten zu Schneemengen auf dem Meereis liefert, um so ein detaillierteres Bild über die Vorgänge auf dem arktischen Meereis zu erhalten.
Und nicht nur in den Polarregionen helfen die Messungen von ICESat-2, sondern auch in den Gebieten dazwischen sind die Daten eine grosse Hilfe. So konnten Forscherinnen und Forschern beispielsweise Veränderungen an Korallenriffen im Pazifik untersuchen oder die Küstengebiete in Nordamerika. Scheinbar ist den Möglichkeiten durch die Daten, die ICESat-2 liefert, kaum Grenzen gesetzt. «Ich freue mich auf den Tsunami von Studien, der auf uns zukommt», erklärt Alex Gardner.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal