Rentieraugen passen sich arktischem Licht dynamisch an | Polarjournal
«Ich schau Dir in die Augen, Kleines». Rentiere haben einen ausgezeichneten Sehsinn und ein weites Sehfeld. Wie die Tiere in den hellen Polartagen und dunklen Polarnächten sehen können, zeigen zwei Forscher nun in ihrer Arbeit. Bild: Michael Wenger

«Die Augen sind der Spiegel der Seele», heisst es in einem Sprichwort. Blickt man einem Rentier in die Augen, dann würde man praktisch nur Dunkelheit sehen. Denn die Augen der arktischen Paarhufer scheinen schwarz wie die Nacht. Doch tatsächlich sind die Augen der Tiere zwar nicht der Spiegel der Seele, aber nichtsdestotrotz enorm faszinierend und anpassungsfähig, wie eine Studie von zwei Forschern des University College in London (UK) zeigt. Sie durchlaufen nämlich sehr spezielle Anpassungen.

Rentiere haben die Fähigkeit, auch im Zwielicht und der Dunkelheit der Polarnacht Nahrung zu finden und, zumindest in den meisten Fällen, Feinde wie Wölfe zu erspähen. Die Forscher Dr. Robert Fosbury und Dr. Glen Jeffrey vom Institut für Augenheilkunde des britischen University College in London haben nun entdeckt, dass die Augen im Sommer und im Winter spezielle Anpassungen durchlaufen, um Rentieren den optimalen «Durchblick» zu gewähren.

Das sogenannte Tapetum lucidum, die Spiegelhaut, die hinter der Retina von Rentieren (und anderen Tieren wie Katzen und Hunden) sitzt und als Restlichtverstärker wirkt, durchläuft vom Sommer in den Winter einen strukturellen Umbau und erlaubt es den Tieren, auch mit wenig Licht Flechten und das glänzende Fell von Wölfen sehen. Die Resultate der Studie der beiden Forscher wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.

Links: Die Spiegelhaut leuchtet je nach Jahreszeit entweder gold-türkis (a) im Sommer (b) oder dunkelblau (c) im Winter (d), entsprechend der Lichtverhältnisse. Rechts: Dafür verantwortlich ist die Dichte von kleinsten Kollagenfasern, die im Sommer grösser und weiter auseinanderstehen (rot) oder enger sitzen und kleiner sind (blau). Gesteuert wird dies über den Wasserdruck, der sich entsprechend verändert. Bilder: Fosbury & Jeffrey Proc. R. Soc. B.289

Das Tapetum lucidum oder Spiegelhaut funktioniert bei vielen so, dass einfallendes Licht, da nicht auf der Retina landet, von der Spiegelhaut zurückgeworfen wird und so mehr Licht auf die Retina fällt. Strukturell besteht bei Rentieren nach Angaben der Forscher diese Haut aus Bündeln kleinster Kollagenfasern, die in einem sechseckigen Muster zusammengefasst sind. Die Räume zwischen den Bündeln sind mit Wasser gefüllt, dessen Menge sich der Jahreszeit entsprechend anpasst. Im Sommer ist die Wassermenge höher als im Winter und die Bündelboxen sind grösser mit mehr Zwischenräumen. Dadurch reflektiert die Spiegelhaut mehr die gelben bis grünen Lichtanteile wieder zurück auf die Retina.

Im Winter dagegen nehmen die Wassermenge und der Druck im Auge ab, die Bündel werden kleiner und enger. Als Folge davon, so die beiden Wissenschaftler, wird mehr blaues Licht auf die Retina geworfen und erlauben es den Rentieren, trotz «blauer Phase» der stetig zunehmenden Polarnacht, ihre Umgebung genauer zu erkennen. «Die Rentiere sehen ein Bild, das heller, aber etwas unschärfer ist, weil die Spiegelhaut etwas Licht seitwärts streut, ein bisschen wie ein beschlagenes Glas», erklären die beiden Forscher.

Diese Anpassung hilft Rentieren in ihrer arktischen Umgebung. Denn wenn der polare Sommer mit seinen langen hellen Phasen langsam in die dunkle Winterzeit übergeht, wird der Anteil des blauen Lichtes immer höher, da durch die Ozonschicht die restlichen Farbspektren herausgefiltert werden, wenn die Sonne unter dem Horizont steht, die sogenannte blaue Phase entsteht. Flechten reflektieren aber blaues Licht nur wenig, sind also fast dunkel. Durch die Anpassung des Auges wird aber der Kontrast erhöht (bei gleichzeitigem erhöhtem Rauschen des Bildes) und die Schärfe nimmt etwas ab. Für Rentiere aber kein Problem, da sie eher auf Kontrast als auf Schärfe angewiesen sind. Auch das Fell von Wölfen und anderen Raubtieren reflektiert eigentlich weniger blaues Licht, scheint als schwarz und daher kaum sichtbar, wenn die Rentiere nicht die Kontrasterhöhung hätten.

Nicht überall sind Rentiere aber durch Wölfe gefährdet. Auf Svalbard existieren keine Wölfe und die Rentiere dort, eine Unterart des europäischen Rentiers, könnte es eigentlich etwas ruhiger angehen. Doch mittlerweile scheint es, als ob Eisbären auf dem Archipel die flinken Paarhufer als Beute im Visier hätten. Eine Studie dazu, ob das tatsächlich der Fall ist, läuft erst an. Sollte dies der Fall sein, dürften die Svalbard-Rentiere froh um ihre dynamischen Augen sein. Ob sie gegen den König der Arktis helfen, müsste sich aber erst zeigen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Fosbury R. A. E. and Jeffery G. (2022) Reindeer eyes seasonally adapt to ozone-blue Arctic twilight by tuning a photonic tapetum lucidum Proc. R. Soc. B.289: 2022100220221002

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