Als die grossen Entdecker und Forscher im goldenen Zeitalter der Polarforschung sich auf ihre Reisen aufmachten, hatten sie da Abenteuer und Aufregung im Sinn? Und wie starteten ihre Abenteuer in unerforschte und unbekannte Regionen?
Sonnenschein, kaum Wind und überall Eisberge, die an der im Morgennebel vor uns liegenden Küste Südgrönlands liegen: ein paradiesischer und friedvoller Anblick, der sich mir am zweiten Tag unserer Reise bietet. Hm, eigentlich heisst die Reise doch «Abenteuer Südgrönland»? Müssten da nicht Wind und Wellen unsere Wege kreuzen, Menschen angespannt vor den Fenstern stehen und sich fragen, wie stark der Sturm draussen wohl sein mag? Vielleicht fangen Abenteuer ja ruhig und unaufgeregt an, denke ich mir, während ich einen Schluck von meinem frisch gemachten Cappuccino geniesse und mich in den weichen Sessel in der Aussichtslounge der Ultramarine setze.
Draussen gleitet ein weiterer Eisberg vorbei, der mich an die Sphinx in Ägypten erinnert, aus dem Lautsprecher ertönen sanfte klassische Klänge und ich freue mich, wie gut ich in meiner Kabine geschlafen habe, kaum Geräusche von Motoren oder anderen Schiffsgeräuschen gehört habe. Expeditionsreisen im 21. Jahrhundert, auch wenn sie auf Abenteuer aus sind, können auch stilvoll unternommen werden. Und das hat Tradition. Denn auch Polarforscher wie Charcot, de Gerlache, Nansen und viele andere grosse Entdecker, verzichteten bei ihren Reisen nicht auf Annehmlichkeiten der (damaligen) technischen Entwicklung. Gutes und gesundes Essen war schon immer ein wichtiger Aspekt bei Polarreisen. Und körperliche Ertüchtigung war und ist es ebenfalls. Vielleicht hätten sie auch einen Fitnessraum eingerichtet auf ihren Schiffen, so wie wir und viele andere neue Schiffe. Gut, der Spa wäre damals vielleicht etwas zu viel des Guten gewesen. Doch hier ist er dabei, ob er aber genutzt werden wird bei dem Programm, dass wir geplant haben, ist eine andere Frage.
Aber wie startet man nun ein Abenteuer? Erst einmal mit vielen Informationen in Form von Briefings über die Art und Weise, wie man zu operieren plant. Denn gut informiert zu sein, vermindert viele Risiken und Gefahren, die bei einem Abenteuer entstehen können. Und man lernt dabei auch gleich noch die anderen Leute an Bord kennen. Währenddessen dreht unser Schiff in den Prins-Christian-Sund, um den Weg nach Südostgrönland, etwas abzukürzen. Hier wollen wir auch unsere erste Aktivität starten, eine Landung bei einem Gletscher und für andere etwas Kajak fahren. Alles inmitten von hohen Bergspitzen, die im strahlenden Sonnenlicht sich im glatten Wasser spiegeln. Ein «Abenteuer light»-Start denke ich mir, denn der Sund ist bei vielen Anbietern auf dem Programm. Die Landung wird dann aber doch spannender, als gedacht. Denn die Wanderung zur Gletscherzunge, die ein wenig wie der Aletsch-Gletscher aussieht, geht über unwegsames Gelände, über Endmoränenblöcke, an einem reissenden Fluss entlang. Überall begrüssen uns Glockenblumen und Grönlands Nationalblume Niviarsiaq, das arktische Weidenröschen. Kämpfen müssen wir überraschenderweise auch und zwar gegen Millionen von Mücken und Fliegen, die sich auf alles, was Kohlendioxid ausatmet, stürzen. Wohl dem, der ein Netz dabeihat, dass er sich über den Kopf stülpen kann. Glücklicherweise denkt Quark daran und schickt einen Guide mit Netz zu den verschiedenen Gruppen. So kann zumindest der Rückweg ohne Kampf angetreten werden. Und nach der Rückkehr warten eine Dusche, ein kühles Getränk und weiteres leckeres Essen auf uns. Viellicht starten Abenteuer ja tatsächlich ruhig und unaufgeregt. Doch was noch kommen kann, zeigt sich am Ende des Tages bei der Präsentation der Hubschrauber, eingehüllt in sanftes Abendlicht. Sie sind das Herzstück der geplanten Aktivitäten in den kommenden Tagen. Mehr dazu aber morgen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal