Wer an Pinguine denkt, sieht die ikonischen Vögel wahrscheinlich automatisch in der eisigen Umgebung der Antarktis. Die Assoziation «Pinguine = Antarktis» ist bei uns fest verankert, obwohl sich einige Arten auch in gemäßigten Breiten und in den Tropen wohlfühlen. Eine neue Studie stellt dieses «Naturgesetz» jetzt auf den Kopf. Ein großes internationales Team von 40 Forschenden hat mehr als 60 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte rekonstruiert und herausgefunden, dass sich Pinguine entwickelten lange bevor sich die polaren Eiskappen bildeten.
Phylogenetische Studien an Pinguinen wurden bereits mehrfach durchgeführt, doch diese untersuchten nur die Genome der heute noch existierenden Arten oder, wenn fossile Pinguine eingeschlossen wurden, nur einen Teil von deren Erbinformation. Die neue Studie hingegen, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlich wurde, hat erstmals die Genome aller lebenden und kürzlich ausgestorbenen Pinguinarten (insgesamt 27) analysiert und mit den Daten von fossilen Pinguinen (47 Arten) verglichen. Nur so konnte das Forschungsteam die Evolution der Pinguine rekonstruieren. Die modernen Abstammungslinien gehen nur ein paar Millionen Jahre zurück, was den größten Teil der vor 60 Millionen Jahren begonnenen Pinguinevolution im Dunkeln lässt.
«Mehr als drei Viertel aller Pinguinarten sind heute ausgestorben», sagte Dr. Daniel Ksepka, Paläontologe am Bruce Museum in Greenwich, Connecticut, und Co-Autor der Studie, gegenüber der New York Times. «Man muss sich die Fossilien ansehen, sonst bekommt man nur einen Bruchteil der Geschichte mit.»
Fossilien von längst ausgestorbenen Pinguinen wurden entlang des Äquators gefunden und viele von ihnen stammen aus der Zeit vor der Vereisung des antarktischen Kontinents. «Sie haben einige der heißesten Zeiten der Erdgeschichte erlebt, als es am Äquator fünf Grad wärmer war», so Ksepka. «Sie haben sich im Wesentlichen in einem eisfreien Umfeld entwickelt.»
Die Studie ergab, dass die Evolution der Pinguine, die von Australien und Neuseeland ausging, durch Veränderungen des Klimas und der Meeresströmungen angetrieben wurde. Im Erbgut der Pinguine stieß das Forschungsteam auf Signaturen, die darauf hindeuten, dass es einen Wechsel gibt zwischen kleinen Populationen, die in Zeiten als die Bedingungen überall sonst ungünstig waren in klimatischen Refugien überlebten, und einem Populationswachstum und einer Wiederbesiedlung in Zeiten mit besseren Bedingungen. Mit sinkenden Temperaturen wurden die Pinguine weiter nach Norden gedrängt und als die Temperaturen wieder stiegen, wanderten sie in Richtung Pol und besiedelten neu verfügbare Lebensräume.
Zudem identifizierten die Forschenden eine Reihe von Genen, die möglicherweise verantwortlich sind für die Anpassungen der Pinguine auf ihrem Weg von den Tropen in die Antarktis. Dazu gehören Fähigkeiten wie die Bildung einer Fettschicht für die Thermoregulation, das Tolerieren eines niedrigen Sauerstoffgehalts bei tiefen Tauchgängen, das Sehen unter Wasser und Faktoren, die die Körpergröße steuern.
Im Vergleich zu anderen Vögeln, verlief die Evolution bei den Pinguinen sehr langsam, wie das Forschungsteam außerdem in seiner Studie berichtet. Sie vermuten, dass Pinguine die wichtigsten Merkmale, die für ein Leben im und unter Wasser nötig waren, bereits sehr früh und schnell entwickelt haben und weitere Anpassungen bis heute nur in kleinen Schritten hinzukamen. Das bedeutet, dass ihr Bauplan von Beginn an bereits ziemlich perfekt war.
«Wenn die meisten Menschen an Pinguine denken, stellen sie sich vor, dass sie auf Eisschollen leben und von Seeleoparden gejagt werden, aber Pinguine entwickelten sich zu Wasserlebewesen, bevor sich die polaren Eisschilde bildeten! Im Laufe der Zeit entwickelten sie Eigenschaften, die es ihnen ermöglichten, ein breites Spektrum an Meeresumgebungen von den Tropen bis zur Antarktis zu besiedeln. Diese Arbeit bringt uns einen Schritt weiter in unserem Verständnis, welche Gene diesen verschiedenen Anpassungen zugrunde liegen», sagt Professor Richard Phillips, Seevogelökologe beim British Antarctic Survey und Co-Autor der Studie.
Abschließend sagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Studie, dass ihre Arbeit zum Verständnis der Auswirkungen vergangener Klimaereignisse auf die Populationsgrößen entscheidend dazu beiträgt, zu verstehen, wie ihre Populationen auf künftige Klimaveränderungen reagieren könnten.
Julia Hager, PolarJournal