Fossil aus der Arktis zeigt evolutive Rückkehr ins offene Wasser | Polarjournal
So sahen die beiden verwandten Wirbeltiere aus, die kurz nacheinander in den Gewässern nahe Ellesmere Island gelebt hatten. Hellgrün ist Qikiqtania wakei und unten (und oben) ist Tiktaalik roseae. Beide lebten im Devon zwischen 390 und 375 Millionen Jahren. Illustration: Alex Boersma via Dept. Biol Scien University Chicago

Eine der grossen Geheimnisse in der Evolution ist die Frage, wann welches Tier den Weg aus dem Wasser an Land genommen hatte. Vor zwei Jahren fanden Forscher der Universität Chicago zufälligerweise ein Fossil aus dem arktischen Norden Kanadas, dass diesen Weg als eines der ersten Tiere genommen haben dürfte. Nun haben Forscher derselben Universität ein Fossil eines nahen Vorfahren entdeckt, der lieber im Wasser bleiben wollte als an Land zu gehen.

An Land gehen oder doch lieber im Wasser bleiben? Dieser Frage sah sich vor 375 Millionen Jahren ein Vertreter der Fleischflosser oder Elpistostegalia ausgesetzt. Das Tier, von seinen Entdeckern Tiktaalik roseae genannt, entschloss sich für den Schritt an Land und war so eines der ersten Landwirbeltiere. Das hatten Professor Neil Shubin und sein Kollege Ted Daeschler vor zwei Jahren herausgefunden, nachdem sie Fossilien, die sie über 15 Jahre zuvor bei Ausgrabungen im Südwesten der kanadischen Arktisinsel Ellesmere untersucht hatten.

Nun konnten die Forscher ein weiteres Stück in das Puzzle um die Entwicklung zu den Landwirbeltieren (und damit ultimativ auch zu uns) legen. Nur ein wenig entfernt vom Tiktaalik-Fundort lag ein weiteres Fossil, rund 15 Millionen Jahre älter als Tiktaalik, das aber ein naher Verwandter gewesen war und es bevorzugte hatte, nicht an Land zu gehen, sondern im Wasser zu bleiben. Dies obwohl seine Flossen bereits nicht mehr fischähnlich gewesen waren. Das Tier wurde als Qikiqtania wakei, nach dem verstorbenen Evolutionsbiologen David Wake, benannt. Das schreiben die Autoren in ihrer Studie, die eben in der Fachzeitschrift Nature erschienen ist.

Das Video zeigt eine 3D-Darstellung der Überreste von Qikiqtania. Besonders die Brustflosse war für die Forscher wichtig, denn sie zeigte, dass das Tier noch im Wasser gelebt hatte, aber bereits nicht mehr so fisch-ähnlich war. Video: Stewart et al. (2022) Nature

Die beiden Postdoc-Assistenten von Neil Shubin, Dr. Tom Stewart und Dr. Justin Lemberg, hatten den überraschenden Fund in einem Gesteinsblock mithilfe eines CT-Scanners im Jahr 2020 gemacht. Da die Universität aber die Labore aufgrund der Pandemie schliessen liess, konnten genauere Untersuchungen erst später im Jahr wieder aufgenommen werden. «Wir dachten erst, es handelt sich um einen jungen Tiktaalik, da alles kleiner war und noch nicht vollständig entwickelt schien,» erklärt Neil Shubin in einer Pressemitteilung der Universität. «Doch der Oberarmknochen ist glatt und Bumerang-förmig und besitzt nicht die notwendigen Elemente, um die Extremität an Land zu stützen. Es ist auffallend anders und deutet auf etwas neues hin.»

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass Qikiqtania lieber schwimmend unterwegs gewesen war, aber in einer Art und Weise, die nicht dem üblichen Stil der Fleischflosser entsprach, die sich langsam in Richtung Küste bewegt hatten. «Diese unerwartete morphologische und funktionelle Vielfalt stellt eine zuvor verborgene ökologische Erweiterung dar, eine sekundäre Rückkehr ins offene Wasser, in der Nähe des Ursprungs der Wirbeltiere mit Gliedmassen», kommen die Autoren in der Arbeit zum Schluss.

Gemäss den Angaben des Teams war Qikiqtania nur etwa 75 Zentimeter gross, während sein Verwandter Tiktaalik rund 2.7 Meter Länge aufwies. Beide Fossilien wurden im Südwesten der Insel Ellesmere in Nunavut gefunden. Der Name Qikiqtania bezieht sich auch entsprechend auf den Fundort, der in Inuktiut Qikiqtaaluk heisst. Dagegen beschreibt der Name Tiktaalik eine Quappe, eine Süss- bzw. Brackwasserfisch, der von den Inuit in Kanada gerne gegessen wird. Der Fund von Qikiqtania zeigt, dass die Gruppe derjenigen Tiere, aus denen die Landwirbeltiere hervorgingen, doch viel diverser gewesen war, als bisher angenommen und dass viele von ihnen in den heutigen subarktischen und arktischen Regionen zu finden sind. Während dem mittleren und späten Devon lagen diese Orte jedoch viel weiter südlich, in wärmeren Klimazonen. Trotzdem steckt wohl die Geschichte, wie Landwirbeltiere entstanden sind, tief im Boden der Arktis.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Stewart et al. (2022) Nature July 20, A new elpistostegalian from the Late Devonian of the Canadian Arctic; https://doi.org/10.1038/s41586-022-04990-w

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