„Das ist recht kompliziert“ – Polarforschung und Wissenschaftskommunikation | Polarjournal
Friederike Krüger ist Lehrerin in Hannover und war eine von nur zwei Lehrpersonen, die an der ersten Etappe der MOSAiC-Expedition an Bord der „Akademik Fedorov“ teilnehmen konnte. Bild: Mario Hoppmann

„Das ist recht kompliziert“, ist eine Antwort, die ich häufiger zu hören bekomme, wenn ich Wissenschaftler*innen nach Ihrer genauen Forschung frage. Und jedes Mal wirft diese Aussage mehr Fragen in mir auf, als wenn man mir einfach fachlich dezidiert die Forschungsrichtung erklärt hätte. Ich bin Lehrerin für Erdkunde und Deutsch an einer Gesamtschule in Hannover, an der man vom Förderschulabschluss nach Klasse 9 bis zum Abitur jeden Abschluss erreichen und dabei inklusiv miteinander lernen kann.

Studiert habe ich in München, wo ich auch lange Jahre für verschiedene Medienhäuser journalistisch tätig war. Mein Referendariat absolvierte ich in Weilheim, Starnberg und München an unterschiedlichen Gymnasien. Kurz vor dem Ende meiner Ausbildung erreichte mich rein zufällig über einen Freund an der Universität in München eine Ausschreibung zur Teilnahme an einer Polarexpedition. Gesucht wurden zwei deutsche Lehrer*innen für die MOSAiC-Expedition, die die Reise auf einem Begleitschiff in den ersten sechs Wochen begleiten und währenddessen Unterrichtsmaterialien erstellen sollten. Nachdem ich bereits meine Abschlussarbeit an der Uni über den Gletscherschwund weltweit geschrieben und Island mit viel Begeisterung mehrfach bereist hatte, bewarb ich mich spontan beim Alfred-Wegener-Institut, erwartend, mich gegen hunderte von Bewerber*innen durchsetzen zu müssen. Doch die Ausschreibung des AWIs war so spät und so schlecht positioniert, dass nur wenige Lehrkräfte die Möglichkeit ergriffen und ich mich tatsächlich durchsetzen konnte.

Die Reise war phänomenal und die Erkenntnisse für mich, meine Schüler*innen und alle, die ich seitdem in zahlreichen Vorträgen an Schulen, in Vereinen und Museen oder in Verbänden weitergebe, von enormer Wirkungskraft. Doch mit jedem Vortrag und auch in jedem Gespräch unter Bekannten und mit Fremden wurde mir deutlicher: Das, was die 300 Wissenschaftler*innen aus 17 Nationen ein Jahr in der Arktis gemacht haben, erreicht kaum jemanden.

Da ist ein Fernsehteam gewesen, das eine 180-minütige Dokumentation gedreht hat. Es gab diverse Journalist*innen, die berichtet haben. Die Lehrkräfte bereiten Unterrichtsmaterial vor, das nach langem Betteln auch auf der MOSAiC-Seite erscheint, aber wohl kaum gefunden wird. Und Markus Rex schreibt ein Buch.

Allein damit wurde wohl mehr Aufwand in Sachen Öffentlichkeitsarbeit unternommen, als bei jeder anderen Expedition zuvor. Und trotzdem hat ein Großteil der Bevölkerung noch nicht einmal von der Expedition gehört. Mir sind auf meinen Vorträgen Erwachsene begegnet, die die Antarktis am Nordpol verorteten. Die Wissenslücken, die es zu stopfen gilt, sind noch enorm.

Natürlich ist mir das als Lehrerin von Natur aus ein Anliegen. Aber seit ich die Arktis bereist, auf 50cm dickem Eis gestanden und geholfen habe, ein Instrument zu installieren, das die Schneeauflage und Eisdicke im Verlaufe des Jahres misst, machen mir die Wissenslücken mehr Sorgen. Seit ich in der Arktis war und mich bemühte, Wissenschaftler*innen über die Schulter zu schauen und ihre Arbeit zu verstehen, ist mir die große Distanz zwischen dem, was die Forschung macht und dem, was in der Bevölkerung ankommt, bewusst geworden.

Obwohl die gut 180 Millionen US-Dollar teure MOSAiC-Expedition zu einem Großteil aus Steuergeldern finanziert wird und damit jede und jeden in der Bevölkerung etwas angehen sollte, haben die meisten der Deutschen wahrscheinlich nicht einmal etwas von gehört. In erster Linie denke ich doch, dass es ein Anrecht darauf geben sollte, Ergebnisse und Fakten, die mit den eigenen Steuergeldern finanziert werden, zu erhalten. Man könnte das als Selbstverständnis oder Grundrecht ansehen.

Viele mögen Eisbären, wissen aber nur wenig darüber, dass mit dem Verlust ihres Lebensraumes auch unsere Region stark beeinflusst wird. Aufklärungsbedarf in der breiten Bevölkerung ist dringend notwendig. Bild: Jan Rohde

Darüber hinaus bin ich aber auch der Meinung, dass die Nicht-Forschenden in der Bevölkerung noch viel mehr von dem, was beispielsweise in der Polarforschung passiert, erfahren sollten. Von den ganz einfachen Basisinformationen bis hin zu detaillierten Forschungsergebnissen. Wie hängen Algenproduktion, Erwärmung und Fischvorkommen miteinander zusammen und was muss getan werden, um illegalem Fischfang in der Arktis vorzubeugen? Was weiß man über Erdöl- und Erdgasreserven in der Arktis und wie könnte ein Rohstoffkrieg verhindert werden? Wieso spielt die Eisauflage eine Rolle für die Erwärmung der Arktis? Warum beeinflusst die Schneeauflage den Schmelzprozess des Eises? Welche Rückschlüsse können aus der atmosphärischen Zusammensetzung gezogen werden? Hilft dies vielleicht für völlig verrückte Innovationen? Was heißt eigentlich Albedo und wozu ist das gut? Warum steigt der Meeresspiegel nicht, wenn das Meereis in der Arktis weg ist? Wieso ist die Salzkonzentration im Meerwasser relevant?

Und ganz wesentlich: Was hat die Erwärmung der Arktis mit uns zu tun?

Weil ich dort war und weil ich seit meiner Expeditionsteilnahme viele Informationen sammle und für meine Vorträge aufbereite, kann ich mir auf all diese Fragen selbst Antworten geben. In kleinen Filmchen, Zeichnungen und einer Powerpoint reise ich so von Saal zu Klassenzimmer und hoffe, möglichst viele Menschen zu erreichen. Mir passiert es selten, dass Menschen auf mich zukommen, denen das alles schon bekannt ist. Meist sind es selbst ehemalige Polarforschende. Ein Großteil von uns Nicht-Forschenden hat kaum Einblick in die Polarforschung und in die Forschung allgemein. Weder in kleine Details und Fachtermini noch in große Zusammenhänge. Seit Corona sind wir kleine Experten in Sachen Impfstoff-Zulassung, weil es uns alle selbst betraf. Aber was an Unis und Instituten in Laboren und auf Expeditionen täglich gemessen, untersucht und bestimmt wird, was erfunden und entwickelt wird, das ist scheinbar immer „zu kompliziert“ für uns, zumindest wissen wir es selten. Natürlich gibt es immer wieder spannende Dokumentationen, Fachartikel, Wissenschaftsjournalismus und zahlreiche Paper. Doch all diese Kanäle sind nicht massentauglich und nicht unbedingt für das junge Publikum geeignet, das mir täglich gegenübersitzt. Wobei es hier nicht nur um Kinder und Jugendliche gehen soll.

Komplizierte Geräte, die komplizierte Forschung betreiben? Viele Wissenschaftler möchten beim Erklären ihrer Arbeit keine Fehler machen oder missverstanden werden. Eine Zusammenarbeit mit Lehrpersonen in Sachen Kommunikation könnte da Abhilfe leisten. Bild: Marcel Nicolaus / MOSAiC

Ich habe sowohl während meiner Expeditionsteilnahme als auch danach immer wieder erfahren, wie schwer sich Wissenschaftler*innen damit tun, ihre eigene Arbeit zu erklären und sie dafür inhaltlich runterzubrechen. Als Lehrerin bin ich genau das gewöhnt: Inhalte so didaktisch zu reduzieren, dass sie leicht verständlich sind, ohne falsch zu sein. Häufig liegt das aus Sicht von Wissenschaft schon nah beieinander. Das ist aber wichtig, um etwas möglichst vielen zu erzählen. Ich habe das als Lehrerin gelernt und ich wünschte, die Wissenschaft würde das auch lernen.

Es gibt einen recht neuen Bereich, der sich Wissenschaftskommunikation nennt. Natürlich vereint er Bereiche, wie die PR- und Öffentlichkeitsarbeit eines Instituts, aber er geht auch einen ganzen Schritt weiter: Wissenschaftler*innen sollten selbst kommunizieren, an was sie arbeiten. Ob auf eigenen Social-Media-Kanälen oder in institutseigenen Newslettern. Möglich ist die enge Zusammenarbeit mit regionalen Schulen oder einem Team aus Lehrkräften und Didaktiker*innen. Denkbar wäre eine Kooperation mit Museen, die sich in der didaktischen Reduktion auskennen. Und auch die regelmäßige Kommunikation mit Medienhäusern fällt darunter.

Beinahe alles, was während der MOSAiC-Expedition gemessen oder erforscht wurde und selbst die Funktionen der Geräte – das war „recht kompliziert“, ja, schon. Aber nicht zu kompliziert. Viele taten sich zunächst schwer, mir ihre Forschung zu erklären. Vielleicht auch, weil es sich dann weniger spannend anhört, wenn man es stark herunterbricht. Aber keine Sorge, die Polarforschung verliert nicht ihre Magie, nur weil ein paar Fachbegriffe weggelassen, oder Prozesse verkürzt dargestellt werden.

„Ich bin auf die Expedition mitgefahren, um zu erfahren, wie Polarforschung abläuft und welchen Einfluss der Klimawandel auf diese Region hat. Aber auch, um zuhause erklären zu können, welche Folgen das alles für uns hat und was wir tun müssen… Tun Sie das auch!“

Friederike Krüger

Ich erachte es für äußerst wichtig, dass jede*r Wissenschaftler*in sich in gewisser Weise und der zur Verfügung stehenden Kapazität mit der eigenen Arbeit öffnet und nach außen in einfacher Sprache kommuniziert, welche Bedeutung die Ergebnisse in einem größeren Zusammenhang haben. Dabei sollten die Institute natürlich eine adäquate Unterstützung und die nötige Infrastruktur leisten. Es muss eine viel engere Zusammenarbeit geben zwischen Forschung und Schule. Ich hätte mir viel mehr Unterstützung im Nachgang meiner Teilnahme gewünscht, um die erstellten Materialien anspruchsvoller, gehaltvoller und ansprechender gestalten und auch viel weiter verbreiten zu können. Ich bin auf die Expedition mitgefahren, um zu erfahren, wie Polarforschung abläuft und welchen Einfluss der Klimawandel auf diese Region hat. Aber auch, um zuhause erklären zu können, welche Folgen das alles für uns hat und was wir tun müssen. Ich gebe mein Möglichstes, um dieses Ziel zu erreichen. Tun Sie das auch! Denn das wird doch Ihr Ziel sein – Antworten auf wichtige Fragen finden, die Menschen in ihren Entscheidungen beeinflussen. Und wenn wir wollen, dass Menschen ihr Verhalten hinterfragen, Entscheidungen fällen, neue Richtungen einschlagen oder sich in Verzicht üben, dann brauchen sie, egal, wie alt, überzeugenden Daten und Fakten aus erster Hand. Und gerade jetzt in dieser von Krisen überhäuften Zeit, in der sich die Naturereignisse überschlagen, während nebenan Krieg geführt wird, ist Wissenschaftskommunikation richtungsweisend. Ich habe keine Anleitung, aber ich weiß: Es ist noch zu wenig. Kaum jemand liest den IPCC-Bericht, zu wenig wissen die Massen, was sie wissen müssten. Natürlich warnen viele Wissenschaftler*innen schon seit Jahrzehnten. Aber es müssten alle tun – aus Überzeugung an ihrer eigenen Arbeit.

Zur Webseite „Arbeitskreis Polarlehrer“

Zur Autorin: Friederike Krüger, 31, unterrichtet Erdkunde und Deutsch an der IGS Bothfeld in Hannover. 2019 nahm sie als Polarlehrerin an der MOSAiC-Expedition teil und begleitete die „Polarstern“ auf dem russischen Eisbrecher „Akademik Fedorov“ in den ersten sechs Wochen. Friederike Krüger hält regelmäßig Vorträge über die Expedition und die Auswirkungen des Klimawandels, hat Unterrichtsmaterialien (www.mosaic-expedition.org/bildung) und eine Mini-Dokumentation erstellt (https://www.youtube.com/watch?v=emAhmmC-9po).

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