Die Bewohner der Schafsinseln, besser bekannt unter dem Namen Färöer-Inseln, feiern mit der pünktlichen Rückkehr des Austernfischers jeweils am 12. März den Frühlingsanfang. Auf dem Archipel im Nordmeer ist der von den Einheimischen „Tjaldur“ genannte Watvogel seit Beginn des 19. Jahrhunderts offizieller Nationalvogel.
Insgesamt zwölf Austernfischer-Arten gibt es weltweit. Sie sind entweder schwarz-weiß oder einfarbig schwarz gefärbt. Der europäische Austernfischer ist unverkennbar. Während der Kopf, der Körper- und die Flügeloberseite schwarz sind, ist die Unterseite weiß. Der lange, pinzettenartige Schnabel, die Beine und seine Augen sind rot. Bis zur Geschlechtsreife mit ca. 4 Jahren sind Schnabel und Beine noch nicht rot gefärbt und das Gefieder weist helle Flecken auf. Das Weibchen hat zwar einen etwas längeren Schnabel, aber sonst sind die beiden Geschlechter kaum zu unterscheiden. Der schmale, gerade Schnabel ist perfekt dafür geeignet, im Schlamm und Schlick nach Nahrung zu stochern. Er bewohnt die nördlichen Meeresküsten bis über den nördlichen Polarkreis hinaus sowie die gesamte Atlantikküste und den Mittelmeerraum.
Nach Andenes auf den norwegischen Vesterålen kam der Austernfischer erst am 15. März. In den frühen Morgenstunden haben uns seine schrillen Rufe um den Schlaf gebracht. Trotz der nächtlichen Ruhestörung… ich habe mich über die Ankunft des Austernfischers gefreut. Ist er doch einer meiner Lieblingsvögel, die hier entlang der Küste anzutreffen sind. Selbstverständlich gibt es auch noch die Papageitaucher oder die Basstölpel. Aber die sieht man nicht an den Stränden und schon gar nicht vor unserem Haus. Zwei Austernfischerpärchen haben sich auf dem Strand niedergelassen, der unmittelbar an unseren Garten grenzt. Ihre Reviergrenze wird durch einen Felsbrocken markiert, wo sich die beiden Paare regelmässig zum verbalen Schlagabtausch eintreffen.
Aufgrund seines schwarz-weißen Gefieders wird der Austernfischer in anderen Sprachen in Bezug auf seinen Namen mit der Elster in Verbindung gebracht. So heisst er auf Finnisch See-Elster, auf Dänisch Strand-Elster, auf Niederländisch Schollen-Elster und auf Russisch Schnepfen-Elster. An Westküste in Schleswig-Holstein wird der Austernfischer auch «Halligstorch» genannt. Im Vergleich mit dem Weißstorch sind tatsächlich einige Gemeinsamkeiten festzustellen: Die gleichen Farben schwarz/weiss sowie der lange rote Schnabel und das Verhalten bei der Nahrungssuche.
Der Austernfischer lebt zwar vorzugsweise im Watt, der Gattungsname Watvogel leitet sich aber davon ab, wie er schreitet, bzw. eben watet. Seinem Namen «Austernfischer» wird er hingegen nicht gerecht. Er frisst weder Austern, die Schale dieser Muscheln ist viel zu hart, noch fischt er. Auf seinem Speiseplan stehen Ringelwürmer, Krebs- und Muscheltiere oder Insekten bzw. deren Larven. Seltener frisst er kleine Fische oder Eier anderer Schnepfenvögel. Im Binnenland fressen sie jedoch hauptsächlich Regenwürmer. Sein Tagesrhythmus wird nicht von Tag und Nacht, sondern von Ebbe und Flut bestimmt. Somit ist er also auch nachtaktiv.
«Unsere» beiden Paare verhalten sich bereits vor der eigentlichen Brutzeit territorial und verteidigen ihren jeweiligen Strandabschnitt vehement gegen Artgenossen oder andere Eindringlinge. Dabei wird der Schnabel gegen den Boden gerichtet und ein trillernder Ruf ausgestossen. Dies dient einerseits der Vertreibung von Rivalen, anderseits zur Begrüssung, wenn sich das Paar in seinem Revier wieder trifft. In den Sommermonaten ist er dank seiner lauten Rufe während 24 Stunden am Tag zu hören: Oder besser gesagt… nicht zu überhören! Jetzt im Frühjahr findet bis weit in den Sommer hinein das Schauspiel des Gruppenbalzens statt. Dabei stehen die Vögel, den Schnabel zur Erde gerichtet beisammen und laufen nebeneinander her, um schließlich einen Kreis zu bilden. Dabei rufen sie im steigenden Tempo ein trillerndes „kewiik….kewiik….kwiik… kwirrr“. Trillerzeremonie wird diese Aufführung denn auch genannt.
Bereits im späten Winter verlassen die Paare ihren Winterschwarm und besetzen ihr zukünftiges Revier. An beringten Tieren konnte man feststellen, dass Austernfischer über Jahre hinweg, nicht selten ihr ganzes Leben lang, ihrem Lieblingsbrutplatz in Ufernähe treu bleiben und diesen auch vehement verteidigen. Im Widerspruch dazu steht allerdings, dass Austernfischer-Pärchen ab und zu Möwen, Seeschwalben oder anderen Watvögeln erlaubt, ihre Eier zusammen mit ihren eigenen in ihr Nest zu legen. Gemeinsam und abwechselnd sorgen beide – Austernfischer und ihre Kooperationspartner – dafür, dass alle Eier gewärmt werden. So eine multikulturelle Arbeitsteilung erkennt man an sogenannten Mischgelegen.
In der Regel leben die Austernfischer in einer lebenslangen, monogamen Gemeinschaft. Die «Nester» sind nicht mehr als kleine Erdkuhlen in den Strandabschnitten, die ausserhalb der Brandung liegen. Der Austernfischer reibt seinen Bauch einfach so lange am Boden hin und her, bis dort eine Vertiefung entstanden ist, in die er die Eier legen kann.
Wir haben bei unseren Ausflügen immer wieder Nistmulden entdeckt, die im Kies von Parkplätzen, Einfahrten, Ausweichstellen oder sogar auf Flachdächern angelegt wurden. Einige der exponierten Nester auf dem Boden wurden von besorgten Einheimischen mit roten Spurstangen, die vom Winter übriggeblieben sind, markiert, um sie so vor Zerstörung zu schützen.
Gute Tarnung ist überlebenswichtig, um die Eier vor Raubtieren zu schützen. Die Eier, blassbraun mit dunklen Flecken, sind mit etwas Abstand zum Nest nicht vom Boden zu unterscheiden.
Entlang vieler Küsten stellte man den Bodenbrütern in der Vergangenheit einfache Nistkästen zur Verfügung. Meist eine Stütze, die im Boden verankert ist und oben mit einem rechteckigen Kasten abschliesst. Ein verkehrt montierter Eimer am Steil verhindert zudem, dass Raubtiere hinaufklettern.
Das Weibchen legt 3 bis 4 Eier, die etwas kleiner als Hühnereier sind. Das Paar löst sich beim Brüten gegenseitig ab. Nach spätestens 4 Wochen Brutzeit schlüpfen die Jungen. Die Jungvögel sind Nestflüchter und laufen sofort umher, drücken sich jedoch bei Gefahr flach an den Boden.
Austernfischer betreiben eine intensive Brutpflege. Die Jungen bekommen das Futter vorgelegt oder direkt überreicht. Sie lernen wochenlang von ihren Eltern, wie genau man Muscheln öffnet oder Würmer aus dem Boden stochert. Ein junger Austernfischer braucht mehrere Monate, bis er bei der Nahrungssuche so effizient ist, wie seine Eltern. Viele junge Austernfischer fallen allerdings bereits in den ersten Wochen Greifvögeln, Möwen, Mardern und Füchsen zum Opfer. Einen Monat nach dem Flüggewerden leben nur noch ca. 16 Prozent der Jungvögel.
Die durchschnittliche Lebenserwartung des Austernfischers beträgt etwa zwanzig Jahre. Es wurden jedoch schon beringte Exemplare gefunden, die ein Lebensalter von weit über dreißig Jahren erreichten. Den Rekord hält ein Tier, dessen Beringung aus dem Jahr 1949 in den Niederlanden stammt. Als das Tier 1993 tot aufgefunden wurde, hatte es ein stolzes Alter von 44 Jahren erreicht. Das Wattenmeer der Nordsee ist der mit Abstand bedeutendste Lebensraum des Austernfischers in Europa. Der deutsche Brutbestand ist jedoch in den vergangenen 20 Jahren immer weiter zurückgegangen. Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Hauptnahrungsquelle der Vögel, Herz- und Miesmuscheln, nicht mehr ausreichend zur Verfügung steht. Zudem ziehen Austernfischer entlang der Festlandküste zu wenige Junge groß, da Raubtiere wie der Fuchs viele Gelege plündern.
Der Schnabel des Austernfischers ist im ständigen Wachstum und verlängert sich täglich um ca. 0,4 mm. Die zwei gegensätzlich wirkenden Prozesse Wachstum und Abnutzung formen so das jeweils benötigte Austernfischer-Werkzeug. D.h. die Schnabelspitze wird innerhalb von 14 Tagen an die neue Art des Beuteerwerbs angepasst. Drei verschiedene Schnabelformen können beobachtet werden: Pfriem-, Hammer- oder Meisselschnabel. Vögel mit dem zugespitzten Pfriemschnabel suchen vor allem im Wattboden nach Würmern, die sie mit Tastzellen, den sog. Herbst’sche Körperchen (benannt nach dem deutschen Zoologen Curt Herbst) an der Schnabelspitze aufspüren und an die Oberfläche ziehen.
Vögel mit Hammer- oder Meisselschnabel haben sich auf Muschelnahrung spezialisiert. Mit dem Meisselschnabel stoßen sie blitzschnell in eine geöffnete Muschel und durchtrennen die Schließmuskeln der Schalenklappen. Gröber gehen Austernfischer mit dem Hammerschnabel vor. Sie hämmern die Schalen von Miesmuscheln oder jungen Herzmuscheln mit kräftigen Schlägen auf, um so an das Muschelfleisch zu gelangen. Weil Muscheln bei diesem Vorgehen schnell im weichen Untergrund des Watts versinken, werden sie auf einer harten Unterlage abgelegt.
Hauptnahrung der jungen Austernfischer an der Küste sind Muscheln, Schnecken und Krebse, die erst „geknackt“ werden müssen, bevor sie durch das Tier verzehrt werden können. Dazu wird aber ein vollentwickelter und ausgehärteter Schnabel benötigt. Die Jungvögel im Binnenland haben es dabei wesentlich einfacher. Ihre Hauptnahrung, der Regenwurm, kann ohne Aufwand gleich verschlungen werden.
Aus dem erhofften Nachwuchsvor unserer Haustür ist leider nichts geworden. Nach dem wir von einer Woche Urlaub zurückgekommen sind, mussten wir leider feststelle, dass das Nest verlassen und leer war. Zu einer Zweitbrut kam es nicht.
So bleibt uns nur die Hoffnung auf eine erfolgreiche Brut im nächsten Jahr. Um die Chancen zu verbessern, werden ich meinen Austernfischern einen erhöhten Brutkasten aufstellen. Einen alten Plastikeimer habe ich vorsorglich schon mal zur Seite gestellt.