Während in der Ostantarktis mehrere Teams kontinuierliche Eiskerne auf der Suche nach 1,5 Millionen Jahre altem Eis bohren, hat eine andere Forschungsgruppe im Transantarktischen Gebirge das möglicherweise älteste Eis in relativ geringer Tiefe unter einer Decke aus Gestein entdeckt. In einer Studie, die in der Fachzeitschrift The Cryosphere veröffentlicht wurde, schätzen die Forschenden das aus dem Ong Valley in der Miller Range geborgene Eis auf ein Alter von drei bis fünf Millionen Jahren.
Bohrprojekte auf der Suche nach dem ältesten Eis, mit dem Ziel die Klimaaufzeichnungen des Planeten zu erweitern, werden hauptsächlich in der Ostantarktis durchgeführt, wo das Eis Schicht für Schicht durch Niederschlag und daher sauberer abgelagert wurde als beispielsweise im Ong Valley im Transantarktischen Gebirge. In der Ostantarktis müssen die Forschenden allerdings extrem tief bohren, fast bis zum Grundgestein, um an 1,5 Millionen Jahre altes Eis zu gelangen. Der bisher älteste Eisbohrkern von dort reicht 800.000 Jahre zurück.
Im Transantarktischen Gebirge, das die Ost- und die Westantarktis trennt, hat das Forschungsteam hingegen einen nur knapp zehn Meter langen, mit Sedimenten gefüllten Eiskern geborgen. Sie schätzen, dass dieses Eis mit einem Alter von bis zu fünf Millionen Jahren möglicherweise das älteste ist, das jemals gefunden wurde. Die neue Methode zur Altersbestimmung des Kerns könnte den Weg bereiten für die Erforschung anderer älterer, von Gletschern abgelagerten Eisproben. Diese sind wesentlich leichter zugänglich, da sie sich näher an der Oberfläche befinden, und machen dadurch die Projekte deutlich günstiger und schneller umsetzbar als die Tiefbohrungen für kontinuierliche Eiskerne.
Marie Bergelin, Gletschergeologin an der University of North Dakota und Hauptautorin der Studie, und ihre Kollegen wählten das Ong Valley als Probennahmeort, da laut früherer Schätzungen das unter Gletschergeschiebe vergrabene Eis mehr als eine Million Jahre alt ist. Nachdem die Gletscher ins Ong Valley gerutscht waren, verwandelte sich das oberflächliche Eis in Wasserdampf und eine schützende Decke aus Gesteinsmaterial mit konserviertem Eis darunter blieb zurück.
Die Klimaaufzeichnungen aus dem mit Sedimenten gefüllten Eiskern sind wahrscheinlich nicht so detailliert wie die aus kontinuierlichen Bohrkernen, aber neue Informationen könnten sie dennoch liefern.
Die Bohrkerne für die aktuelle Studie entnahm das Forschungsteam während der Feldsaison 2017/2018 an einer Stelle, die weit entfernt ist von Steinschlaggebieten, um eine Kontamination der Proben auszuschließen. Für die Altersbestimmung entwickelten sie ein Modell dafür, wie sich seltene Isotope von Beryllium, Aluminium und Neon im Laufe der Zeit in den Eisablagerungen anreichern. Die Isotope entstehen, wenn hochenergetische kosmische Strahlung auf Gesteinsmaterial an oder nahe der Oberfläche prallt. Nach dem Vergleich der Modellvorhersagen mit dem gemessenen Isotopenprofil in dem zehn Meter langen Eiskern konnten sie schätzen, dass ein Teil des Eises bis zu einer bestimmten Tiefe etwa drei Millionen Jahre alt ist, was es weltweit zu dem ältesten bisher geborgenen Eis macht.
Unterhalb von zehn Metern waren die Isotopenkonzentrationen viel höher als erwartet, weshalb das Team schlussfolgerte, dass in diesem Teil des Ong Valley zwei getrennte Eismassen übereinander geschichtet sind. Die ältere, tiefere Eismasse schätzte das Team auf ein Alter zwischen 4,3 und 5,1 Millionen Jahren.
Andere Forschende sehen die Ergebnisse kritisch und vermissen die Analyse von Kohlenstoffisotopen, die ein anderes Alter des Eises offenbaren könnte. Zudem sei es fraglich, ob sich das Modell auch auf das Eis außerhalb des Ong Valley anwenden lässt.
Bergelin entgegnet, dass die Messung von drei Isotopen ausreichend sein sollte; die meisten Studien verwenden nur ein oder zwei Isotope. Für die Datierung von Millionen Jahre altem Eis zerfällt das Kohlenstoff-Isotop 14C außerdem zu schnell. Sie ist der Meinung, dass das Modell auch auf andere antarktische Regionen mit ähnlichen, isolierten und vergrabenen Eismassen angewendet werden kann.
Dennoch löste die Studie Begeisterung aus über das Alter des Eises und dessen Bedeutung für künftige Forschung. Der Paläoklimatologe Yuzhen Yan sagt, dass die Studie «sehr starke Beweise dafür liefert, dass Eiskerne oder Eisproben drei oder vier Millionen Jahre lang erhalten bleiben können». Dies eröffne neue Möglichkeiten für künftige Bohrungen, so Yan.
Doch jetzt sind Bergelin und ihr Team erst einmal damit beschäftigt, das Eis aus der Zeit von vor 2,5 bis 5 Millionen Jahren zu analysieren, als die Temperaturen und die Kohlendioxidwerte höher waren als heute. Das Wissen über diese Zeit könnte auch Aufschluss darüber geben, wie der Planet heute auf den menschengemachten Klimawandel reagiert.
«Wir haben dieses Eis entdeckt und datiert, dass es zu den ältesten gehört», sagt Bergelin. «Jetzt müssen wir sehen, was wir aus ihm herausholen können.»
Julia Hager, PolarJournal