Grönlandwale, Belugas und Narwale sind eng mit dem kalten Meerwasser und dem Meereis in der Arktis verknüpft. Doch der Lebensraum der arktischen Wale schrumpft, weil der Klimawandel das Meereis schwinden und die Ozeantemperaturen steigen lässt. Ein Forschungsteam hat jetzt herausgefunden, dass sich die Populationen der drei Walarten bis 2100 weiter in den Norden verlagern werden. Ein Viertel ihres derzeitigen Verbreitungsgebiets in Westgrönland im Sommer wird bis dahin ganz verschwunden sein. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Insbesondere die Wassertemperatur an der Meeresoberfläche ist von Bedeutung für die Wanderungen der Wale und ein wichtiger Indikator dafür, ob ein Gebiet den Umweltanforderungen der Tiere entspricht. Klimavorhersagen prognostizieren, dass große Teile des arktischen Ozeans Meereis verlieren und die Meerestemperaturen steigen werden — östlich von Grönland und in der Barentssee stärker als vor Westgrönland.
Das Forschungsteam um Philippine Chambault, Wissenschaftlerin am Greenland Institute of Natural Resources, untersuchte daher die Wanderungen von insgesamt 227 Grönlandwalen (Balaena mysticetus), Belugawalen (Delphinapterus leucas) und Narwalen (Monodon monoceros) anhand von Satellitendaten über einen Zeitraum von 28 Jahren, um deren zukünftige Verbreitung unter zwei verschiedenen Klimawandel-Szenarien vorherzusagen.
Ihre Modelle, die Meeresoberflächentemperatur, Salzgehalt und Tiefe berücksichtigten, ergaben, dass sich bis zum Jahr 2100 die Verbreitungsgebiete aller drei Walarten in Richtung Norden verschieben werden, selbst bei Anwendung des optimistischsten Klimaszenarios SSP126. Für alle drei Arten prognostizieren die Forschenden insbesondere im Sommer erhebliche Lebensraumverluste von 25 Prozent. Durchschnittlich verschieben sich die Lebensräume der drei arktischen Wale um 243 Kilometer im Sommer nach Norden und im Winter um 121 Kilometer.
Rote Flächen sind prognostizierte Verluste bis 2100, orangefarbene Flächen werden voraussichtlich unverändert bleiben, und grüne Flächen sind prognostizierte Zunahmen des Lebensraums. Grafik: Chambault et al. 2022
Besonders Belugas sind anfällig für Umweltveränderungen, da sie in kleinere Populationen aufgeteilt sind, die eine hohe Standorttreue aufweisen. Vor allem die südlicheren Populationen um die Baffininsel sind durch die zunehmende Erwärmung gefährdet und es wird erwartet, dass sie trotz ungünstigerer Bedingungen nicht abwandern werden.
Grönlandwale in der kanadischen Arktis werden voraussichtlich ganzjährig in kleinen Rückzugsgebieten zwischen den zahlreichen Inseln leben können. In Ostgrönland leben sie im Vergleich zu ihrem historischen Verbreitungsgebiet bereits jetzt weiter nördlich. Da sie auf die Zooplanktonvorkommen entlang des Kontinentalschelfs angewiesen sind, sind ihre Möglichkeiten noch weiter in Richtung Norden zu wandern limitiert.
Die gegenüber dem Klimawandel empfindlichste der drei Walarten ist der Narwal. Sein Verbreitungsgebiet ist wegen seiner Abhängigkeit vom Meereis sehr begrenzt. Zudem weist er eine spezialisierte Ernährung und eine komplexe Populationsstruktur auf. Die Populationszahlen der Narwale sind in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet bereits zurückgegangen. In Ostgrönland, so das Forschungsteam, werden die Überwinterungshabitate für Narwale voraussichtlich ganz verschwinden.
Das Problem ist, so Chambault, dass es irgendwann keine Möglichkeit mehr gibt, weiter nach Norden zu ziehen, vor allem nicht für die Grönlandwale in Ostgrönland, die sich bereits ziemlich weit nördlich befinden. Und obwohl die Modelle vorhersagen, dass die Wale nach Norden wandern werden, ist nicht klar, wie schnell sie sich anpassen werden.
Neben dem Verlust ihres Lebensraums bringen die Klimaveränderungen noch weitere nachteilige Effekte für Grönlandwale, Belugas und Narwale. So erwarten die Forschenden beispielsweise, dass boreale Arten wie Orcas, Buckelwale und Schweinswale sich ebenfalls weiter nach Norden ausbreiten und so die Konkurrenz um Nahrung erhöhen. Zudem würden Orcas verstärkt Jagd auf die arktischen Wale machen und sie noch stärker gefährden.
Zum Klimawandel kommen außerdem weitere anthropogene Stressfaktoren hinzu, die sich negativ auf die Walpopulationen auswirken, wie die Ausbeutung von Ressourcen, was massiv zur Lärmverschmutzung im Arktischen Ozean beiträgt und mit schwindendem Meereis sehr wahrscheinlich weiter zunimmt.
Julia Hager, PolarJournal