Eine Frage der Gene wie Robben und Fische sich antarktischer Kälte anpassen | Polarjournal
Die Temperaturen in der Antarktis variieren an Land beträchtlich, doch im Meer bleiben sie in der Regel knapp über oder am Gefrierpunkt. Für Fische bedeutet dies ein stabiles Umfeld. Robben hingegen wechseln zwischen Land und Wasser und sind so höheren Temperaturschwankungen ausgesetzt. Bild: Michael Wenger

Wer an die Antarktis denkt, denkt auch unweigerlich an eisige Kälte, in der das Überleben für Tiere und Pflanzen kaum möglich ist. Und trotzdem gibt es eine grosse Zahl von verschiedenen Tierarten, die nicht nur in der Antarktis leben, sondern sogar einen grossen Teil ihres Lebens in den eisigen Gewässern des Südpolarmeeres verbringen. Dazu zählen Robben und Fische und es stellt sich die Frage, wie es die Tiere bewerkstelligen, in dieser Umwelt nicht nur zu überleben, sondern zu gedeihen. Die Antwort liegt in den Genen.

In zwei Studien konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA, Schweden und Australien genetische Mechanismen bei Weddellrobben und dem antarktischen Fisch Ophthalmolycus amberensis entdecken, die es den Tieren erlauben, ihr Leben im Südpolarmeer bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt zu verbringen. Das Besondere an den beiden Studien: die beiden Arten haben dasselbe Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreicht. «Das sagt uns, dass der Verlauf der Evolution weitgehend unvorhersehbar ist», erklärt Joanna Kelley, Biologin an der Washington State University und Leiterin der Fischstudie.

Die eine Studie untersuchte die Frage, wie es Weddellrobben gelingt, ihre Speckschicht aufbauen zu können, ohne gleichzeitig unter den negativen Konsequenzen der Fettleibigkeit zu leiden. Denn für die bis zu 450 Kilogramm schwere Robbe bedeutet die Fettschicht neben einer perfekten Isolation gegen den Wärmeverlust auch eine Nährstoffreserve, von der gezehrt werden kann, wenn die Tiere im Fellwechsel oder bei der Aufzucht der Jungtiere sind. Gerade bei letzterem investieren die Mütter enorm viel Energie in die fettreiche Milch, damit die Jungtiere schnell wachsen und ebenfalls eine Speckschicht bilden. Das Team um Studienleiterin Allyson Hindle von der Universität Nevada entdeckte, dass Weddellrobben ein spezielles Protein haben, welches das Cholesterol im Blutstrom transportiert und an die verschiedenen Stellen im Körper bringt, ohne aber die Gefässwände zu blockieren oder den Blutstrom zu kompromittieren. Dieses Protein ist nur bei Weddellrobben vorhanden und erlauben einen bis zu 10-mal höheren Cholesterolwert als bei Menschen und anderen Säugetieren. Menschen und viele andere Säugetiere besitzen zwar zwei Proteintypen, von denen aber eines bei zu hohem Wert (das Low Density Lipoprotein LDL) die Gefässsysteme angreift und ein vielfach höheres Risiko für Herzinfarkte und andere Gefässerkrankungen verursacht. Die Bedeutung dieses Proteins soll nun genauer untersucht werden.

Der antarktische Fisch Ophthalmolycus amberensis hat keinen deutschen Namen. Die Art gehört zu den Aalmuttern, die weltweit vorkommen. Doch diese antarktische Art ist besonders, da sie nicht zu den in der Antarktis dominanten Eisfischen zählt. Daher sind ihre Anpassungen besonders interessant. Die Tiere leben in Tiefen bis zu 1’500 Metern, meist aber im Bereich um 500 Meter. Über ihre Lebensweise ist nur wenig bekannt. Bild: Hotaling et al (2022) Mol Ecol

Einen ganz anderen Weg hat der antarktische Vertreter aus der Fischgruppe der Aalmuttern, Ophthalmolycus amberensis, eingeschlagen, um mit den eisigen Bedingungen umzugehen. Das Forschungsteam um Scott Hotaling und Joanna Kelley von der Washington State University fand heraus, dass dieser bis zu 35 Zentimeter und bisher wenig erforschte Fisch Gefrierschutzproteine in seinem Blut einlagert. Eine ähnliche Anpassung ist bei den antarktischen Eisfischen bekannt. Ausserdem entdeckten Hotaling und seine Kolleginnen und Kollegen, dass auch die Sicht, die Wärmetoleranz und die Membranstrukturen der Zellen sowohl bei Ophthalmolycus amberensis wie auch bei Eisfischen ähnlich sind. Ein wesentlicher Unterschied, so das Team, ist aber, dass der Aalmutter-Vertreter immer noch Hämoglobin in seinem Blut aufweist, währenddessen Eisfische kaum noch dieses Sauerstoff-transportierende Protein bilden. Denn das ist in den kalten und damit sauerstoffreichen Gewässern der Antarktis auch nicht mehr so wichtig. Für Ophthalmolycus amberensis scheint es aber entweder noch wichtig zu sein, oder die Art ist auf dem Weg, auch diese Fähigkeit zu verlieren. «Wenn man etwas nicht braucht, wird es oft durch Selektion entfernt oder durch Zufall verändert», meint Hotaling. «Es gibt nichts, was es für das Überleben aufrecht hält.» Die Studien zeigen aber, dass am Ende tatsächlich alle Wege nach Rom, oder in diesem Fall, zu einem Leben in der Antarktis führen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Links zu den Studien: Noh et al (2022) Commun Biol 5, 140 The Antarctic Weddell seal genome reveals evidence of selection on cardiovascular phenotype and lipid handling; https://doi.org/10.1038/s42003-022-03089-2
Hotaling et al (2022) Mol Ecol 1-17 Pathways to polar adaptation in fishes revealed by long-read sequencing; https://doi.org/10.1111/mec.16501

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