Weniger Meereis — kein Treibholz mehr für Island? | Polarjournal
Schon jetzt gelangt viel weniger Treibholz mit dem Meereis über den Arktischen Ozean von Sibirien nach Svalbard, Island und Grönland. Dafür wird immer mehr Plastik an den Stränden angespült. Foto: Julia Hager

Treibholz war und ist noch immer die wichtigste Ressource für (sub-)arktische Siedlungen. Ohne das Treibholz, das sich an Islands Stränden auftürmte, wäre die dauerhafte Besiedlung der Insel, die im 9. Jahrhundert mit den Wikingern ihren Anfang nahm, nicht möglich gewesen. Die angeschwemmten Stämme dienten den Siedlern lange Zeit für den Bau von Gebäuden und Schiffen, wofür die heimischen Bäume viel zu klein und zu spärlich waren. Einer neuen Studie zufolge, die in der Fachzeitschrift Global and Planetary Change erschien, stammt ein Großteil des Treibholzes in Island aus Sibirien auf der anderen Seite des Arktischen Ozeans. Bis heute hat das Treibholz für Isländer einen hohen kulturellen Wert. Der Klimawandel könnte allerdings die Treibholz-«Lieferungen» nach Island stoppen, so die Studie. 

Das Meereis ist praktisch das einzige Transportmittel für Treibholz in der Arktis. Nur mit Hilfe dieses «Förderbands» konnten Baumstämme, die in Russlands zentralsibirischer Region gefällt wurden oder auf natürliche Weise umfielen, tausende Kilometer über den Arktischen Ozean überwinden, bis zu Inseln und Küsten auf dessen anderer Seite. Denn Holz schwimmt nur etwa zehn Monate lang und beginnt zu sinken, sobald es mit Wasser vollgesogen ist. In der Arktis friert es jedoch im Meereis ein, kann sich somit nicht mit Wasser vollsaugen und wird, möglicherweise erst nach einigen Jahren, mit dem Schmelzen des Meereises wieder freigegeben und kann als Treibholz an Küsten angespült werden.

Für die Besiedlung und Ausbreitung der Nordmänner war das Treibholz an Islands Küsten von entscheidender Bedeutung und ist ein wichtiger Teil der isländischen Geschichte. «Das ist eine kulturelle Angelegenheit», sagt Ólafur Eggertsson, ein Wissenschaftler der isländischen Forstbehörde und Co-Autor der Studie. «Ohne das Treibholz hätten die Menschen in Island einfach nicht überlebt.» 

Herkunft des isländischen Treibholzes. Der rote Kreis markiert den Probenahmeort für Treibholz in Nordost-Island. Die mutmaßlichen Herkunftsgebiete des arktischen Treibholzes liegen in der eurasischen borealen Waldzone (farbige Kreise), nahe der größten Flusssysteme. Die farbigen Punkte zeigen die Standorte der artenspezifischen Referenzchronologien für die Jahresringbreite. Karte: Kolář et al. 2022

Die Zufuhr von Treibholz nach Island, aber auch nach Grönland und Svalbard, könnte allerdings in den nächsten Jahrzehnten zum Erliegen kommen. Laut der Studie setzte bereits in den 1980er Jahren ein abrupter Rückgang des Treibholzes ein und Simulationen des Meeereisverlustes zeigen, dass bis 2060 kein Treibholz mehr nach Island gelangen wird.

«Die Botschaft der Studie ist erwartungsgemäß und hat den Wert, dass sie einen sehr klaren Wegweiser dafür liefert, was die Meereisschmelze für den Transport dieses Materials in der Arktis bedeutet», sagte Marc Macias-Fauria, ein Ökologe der Universität Oxford, der sich auf kalte Umgebungen konzentriert und nicht an der Studie beteiligt war.

Der Effekt des Meereises auf das Treibholzaufkommen in Island. (a) Meereisausdehnung im September, berechnet als 20-Jahres-Durchschnitte von 1860 bis 1979, (b-c) Satellitenbeobachtungen für 1979 und 2019, (d) Modellsimulationen auf der Grundlage einer Teilmenge von acht globalen Klimamodellen als 10-Jahres-Durchschnitte von 2020 bis 2099. Grafik: Kolář et al. 2022

Das Forscherteam sammelte zudem 289 Proben von Treibholz entlang der isländischen Nordostküste und identifizierte unter dem Mikroskop die Baumarten: Kiefer, Lärche und Fichte. Sie verglichen die Jahresringe mit eurasischen Jahresringaufzeichnungen und stellten fest, dass 73 Prozent der Proben mit Bäumen aus Sibirien übereinstimmten.

Die Jahresringe offenbarten auch den Rückgang des Treibholztransports nach Island in den vergangenen Jahrzehnten. 80 Prozent der Proben wiesen Jahresringe auf, die auf den Zeitraum zwischen 1922 und 1976 datiert waren, während 14 Bäume ihr Wachstum in den 1980er Jahren einstellten. Nur drei Proben stammten aus der Zeit danach. Das Forscherteam führt dies auf das schwindende Meereis zurück.

Die Analyse ergab außerdem, dass 83 Prozent der Proben von Bäumen stammten, die gefällt wurden. Bei den verbleibenden 17 Prozent waren noch Teile der Wurzeln intakt, was darauf hindeutet, dass sie wahrscheinlich auf natürliche Weise gefallen sind, bevor sie über sibirische Flüsse in den Arktischen Ozean transportiert wurden.

Auch auf Svalbard besteht der größte Teil des Treibholzes aus gefällten Bäumen. Foto: Julia Hager

Für die Isländer ist Treibholz als Holzquelle zwar nicht mehr so wichtig wie früher, aber sie verwenden es noch immer für Gebäude, Skulpturen, um alte Kirchen zu restaurieren und als Einkommensquelle, so Eggertsson.

Mit dem Verlust des Treibholzes würde somit ein bedeutender Teil der isländischen Geschichte und Kultur untergehen.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Tomáš Kolář, Michal Rybníček, Ólafur Eggertsson et al. Predicted sea-ice loss will terminate Iceland’s driftwood supply by 2060 CE. Global and Planetary Change, Volume 213, 2022, 103834, https://doi.org/10.1016/j.gloplacha.2022.103834 

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