Der gegenwärtig in der Ukraine tobende Krieg zeigt einmal mehr, dass Kriege gut für bestimmte Wirtschaftszweige, aber schlecht für die Umwelt sind. Denn die gestiegenen Öl- und Gaspreise bedeuten einerseits einen gehörigen Zuwachs in den Geldbeutel vieler Förderfirmen und gleichzeitig eine Umorientierung der Strom- und Wärmeproduktion zahlreicher Länder aufgrund der massiv gestiegenen Preise und der Versorgungsunsicherheiten, besonders in Europa, wo man wieder auf fossile Brennstoffe setzt. Denn der nächste Winter steht vor der Tür. Diese Umorientierung beschert nun der letzten Kohlenmine nahe Longyearbyen auf Svalbard einen zweijährigen Aufschub von der drohenden Schliessung. Der Retter in der Not kommt dabei aus der Schweiz bzw. Deutschland.
Das Schweizer Unternehmen für Spezialitätenchemie Clariant und der Minenbetreiber Store Norske haben letzte Woche einen Vertrag geschlossen über Kohlelieferungen für Clariant Deutschland in den kommenden Jahren für die industrielle Produktion. Dies wurde letzten Freitag von den Unternehmen und der Lokalzeitung Svalbardposten vermeldet. Damit wird die für das nächste Jahr geplante Schliessung der Mine aufgehoben und die bisherigen 40 – 45 Arbeitsplätze sogar noch aufgestockt, wie Store Norske bekanntgab. «Dies ist eine gute Lösung für alle Parteien. Wir können die verfügbaren Kohlereserven in der Grube 7 abbauen und haben durch diese Vereinbarung mit einem Kunden, mit dem wir seit langem professionell zusammenarbeiten, die Sicherheit einer guten Rentabilität bei geringem Marktrisiko», erklärt der CEO von Store Norske, Jan Morten Ertsaas, gegenüber der Zeitung.
Für die Arbeitnehmer der Mine sind die Nachrichten aus dem Hauptquartier von Store Norske Musik in den Ohren. Denn ihnen drohte schon seit zwei Jahren der Verlust ihres Arbeitsplatzes auf Svalbard. Nach der Schliessung der Svea-Mine vor fünf Jahren war Gruve 7 die letzte noch operierende Mine eines einst grossen Industriezweiges, dem Kohleabbau. Die Mine baute die Kohle einerseits für die lokale Energieproduktion in Longyearbyen ab, die lange Zeit der Hauptabnehmer war. Doch nachdem 2021 die neue Regierung in Oslo einen Wandel Longyearbyens in Sachen Energieproduktion wollte, schien das Ende der Mine in Sicht zu sein. Da machten auch der steigende Kohlepreis und die Tatsache, dass man mehr Kohle an den grössten anderen Abnehmer, nämlich Deutschland, lieferte, keinen Unterschied. Von 42’000 Tonnen im Jahr 2020 stieg der Export um 47 Prozent auf 62’000 Tonnen und einen Umsatzsprung von 2.4 Millionen Euro. Trotzdem sollte Ende 2023 die Kohlenmine ihre Tore endgültig schliessen und Store Norske einen neuen Weg gehen, Krieg und unsichere Versorgungslage hin oder her.
Für das Schweizer Chemieunternehmen Clariant war die drohende Schliessung ebenfalls eine schlechte Nachricht. Denn man hatte bereits seit 40 Jahren auf Kohle aus der nördlichsten europäischen Region gesetzt, um aus dem qualitativ hochwertigen Brennstoff Chemikalien zu gewinnen. Diese werden vor allem bei der Katalysator-Herstellung verwendet, die wiederum in der Petrochemie, in der Emissionskontrolle und anderen Fachgebieten Anwendung finden. Damit soll also die teure Kohle zumindest nicht für die Befeuerung von Kohlekraftwerken, die auch in Deutschland wieder für Licht und Wärme im kommenden Winter sorgen sollen, verwendet.
Wir müssen unseren Anteil an der Verantwortung für die Versorgungssicherheit von Rohstoffen wahrnehmen. Daher wird der Staat als Besitzer keine Einwände für die bedingte Verlängerung bis Juli 2025 erheben.
Jan Christian Vestre, Umweltminister Norwegen
Ein Aspekt, der für die norwegische Regierung als Besitzer von Store Norske sehr wichtig ist. Denn sie hat, wahrscheinlich zähneknirschend, entschieden, der Betriebsverlängerung der Mine nicht im Weg zu stehen. «Heutzutage ist es nicht möglich, Stahl ohne Kohle herzustellen, daher glauben wir, dass dies das Richtige für Norwegen ist», sagt Norwegens Umweltminister Jan Christian Vestre. «Wir müssen unseren Anteil an der Verantwortung für die Versorgungssicherheit von Rohstoffen wahrnehmen. Daher wird der Staat als Besitzer keine Einwände für die bedingte Verlängerung bis Juli 2025 erheben.» Noch im vergangenen Mai hatte der Gemeinderatspräsident von Longyearbyen, Arild Olsen, in einem Brief von der Regierung Klärung gefordert, ob die Mine nicht einen Beitrag zur Energieversorgung Norwegens leisten könnte. Doch eine Antwort lieferte Minister Vestre nun indirekt: «Die in dem verlängerten Zeitraum produzierte Kohle darf nicht in umweltschädlichen Kohlekraftwerken verbrannt werden, sondern muss für die industrielle Produktion verwendet werden, unter anderem als Reduktionsmittel für die Stahlproduktion in Europa.»
Für Store Norske bedeutet der zweijährige Aufschub eine Möglichkeit, sich einerseits in den neuen Bereichen Immobilien, Logistik und Tourismus, die für nach der Schliessung geplant sind, besser zu positionieren und andererseits auch die dafür nötigen Finanzmittel generieren zu können. Denn der Preis für Kohle ist seit letztem Jahr massiv angestiegen und liegt heute mehr als 650 Prozent über dem Kohlepreis, der bei der Entscheidung zur Stilllegung der Mine geherrscht hatte, nicht zuletzt aufgrund des Krieges in der Ukraine. Alle setzen wieder unter anderem auf Kohle zur Energiegewinnung. Daneben gibt es aber auch zahlreiche Industriezweige, die auf Kohle in anderer Art und Weise angewiesen sind. Und weil Russland, traditionell der eigentliche Kohlelieferant für Europa, durch das Embargo aus der Rechnung fällt, kann sich Store Norske wieder auf seine Wurzeln besinnen… zumindest die nächsten zweieinhalb Jahre.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal