Politische Spannungen bringen „Lücken“ in wissenschaftliche Daten aus der Arktis | Polarjournal
Eine der letzten großen internationalen Expeditionen in die russische Arktis war die „Arctic Century“-Expedition unter der Leitung des Swiss Polar Institute und des GEOMAR in Zusammenarbeit mit dem russischen Institut für Arktis- und Antarktisforschung. Alle wissenschaftlichen Kooperationen zwischen westlichen Ländern und Russland sind derzeit eingestellt worden, was große Lücken in den wissenschaftlichen Daten aus der russischen Arktis hinterlässt. Bild: Swiss Polar Institute

Verschiedene Nationen widmen der arktischen Region heute mehr Aufmerksamkeit, aber dabei geht es eher um politische Auseinandersetzungen und strategische Entscheidungen als um wissenschaftliche Zusammenarbeit. Die Arktis ist dabei, ihren Status als spannungsarmes Gebiet zu ändern. Infolge der zunehmenden Gegensätze sind die wissenschaftliche Erfassung und der Austausch von Daten zwei Engpässe für die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit im Norden. Dies kann schwerwiegende Auswirkungen auf unser Verständnis der Prozesse des Klimawandels sowie auf die Untersuchung lokaler Veränderungen der biologischen Vielfalt, des Wetters und der Umwelt haben. Der jüngste Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ebnet in keiner Weise den Weg für eine reibungslose wissenschaftliche Zusammenarbeit in der arktischen Region in naher Zukunft.

Erstens ist der Zugang zu den nördlichen Gebieten aufgrund ihrer Abgelegenheit und des kalten und rauen Klimas schwierig. Zweitens können sich politische Sanktionen negativ auf den wissenschaftlichen Datenaustausch und die begrenzte Teilnahme an internationalen Forschungstreffen auswirken. Der Russland-Ukraine-Konflikt ist ein Beispiel, das deutlich zeigt, wie Sicherheitsfragen zu einer Unterbrechung des Wissens- und Datenaustauschs durch politische Maßnahmen führen können. So verbieten einige der kürzlich von den westlichen Ländern verhängten Sanktionen ausdrücklich die Forschungszusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern. Im März 2022 setzte die Europäische Kommission die Zusammenarbeit mit Russland im Bereich Forschung und Innovation aus . Später, im Juni 2022, beendete das Weiße Haus auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern. Sie bezieht sich auf alle staatlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen, die über ein breites Netz mehrjähriger Projekte zur Erhebung von Klimadaten verfügen.

Russland hat derzeit den Vorsitz im Arktischen Rat inne. Die anderen sieben Mitgliedstaaten haben jedoch beschlossen, die Arbeit des Rates bis zur nächsten Ministertagung auszusetzen. Bild: Gunnar Vigfusson

Einerseits wirken die Sanktionen wie eine Strafe für fast die gesamte russische Wissenschaftsgemeinschaft und schränken die Interaktion zwischen den Institutionen der Welt ein. Andererseits wird die internationale Klimaforschung auf Eis gelegt, und die globale Datenerfassung bleibt definitiv „lückenhaft“. Die offizielle Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen, die die Qualität und Wirkung der Forschung im Allgemeinen verbessert, wurde auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Im März 2022 fassten sieben ständige Mitglieder des Rates einen beispiellosen Beschluss, in dem sie erklärten, dass sie „die Teilnahme an allen Sitzungen des Arktischen Rates und seiner Nebenorgane“ (die nicht nur aus diplomatischem Personal, sondern auch aus wissenschaftlichen Arbeitsgruppen bestehen) unter Russlands Vorsitzpausieren würden. Gegenwärtig wird sogar das 1973 geschlossene Abkommen über den Schutz der Eisbären zwischen arktischen Staaten wie Kanada, Grönland, Norwegen, den USA und Russland in Frage gestellt. Es hat viel Zeit und Mühe gekostet, das Abkommen während des Kalten Krieges abzuschließen, aber jetzt wird dieses erfolgreiche Beispiel internationaler Zusammenarbeit durch politische Entscheidungen mit einem Schlag zunichte gemacht.

Feldarbeit

Die Reisebeschränkungen, die durch die Covid-Pandemien und später durch das Verbot der Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern verursacht wurden, machen den wissenschaftlichen Austausch und die Feldarbeit in der arktischen Region zu einer großen Herausforderung. Zu den Auswirkungen auf den Reiseverkehr gehören die vorübergehende Aussetzung der Visaerteilung und die Einschränkung anderer Einwanderungsbestimmungen für russische Staatsbürger. Darüber hinaus raten andere Länder aufgrund der Auswirkungen des bewaffneten Konflikts mit der Ukraine, einschließlich der eingeschränkten Flugmöglichkeiten und der Einschränkungen bei Finanztransaktionen, von Reisen nach Russland ab. Was dies für die internationale Wissenschaftsgemeinschaft bedeutet: Wissenschaftler können nicht frei reisen, um entfernte Ziele zu erreichen und Daten zu sammeln, der Austausch von Personal und Daten ist eingeschränkt, der Zugang zu nationalen Datenbanken ist begrenzt.

Die wissenschaftliche Arbeit vor Ort ist unerlässlich, um Daten in Echtzeit und aus der Praxis zu erhalten. Bild: Michael Gutsche, MOSAiC

Für Klimatologen, Meeresbiologen, Glaziologen und andere Feldspezialisten ist die Feldarbeit ein wichtiger Bestandteil ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Die Überwachung der Permafrostböden und der Austausch von Daten über auftauende gefrorene Böden erfordern beispielsweise einen Beitrag aller arktischen Länder, da alle Daten als wertvoll für das Verständnis der globalen Auswirkungen des Klimawandels auf unseren Planeten angesehen werden. Außerdem verfügen viele Länder über Ressourcen und verwenden verschiedene Ansätze zur Untersuchung des Permafrosts, einschließlich der immer komplexeren wissenschaftlichen Modellierung.

Fehlender Beitrag der Bürgerwissenschaft

Die sich verändernde politische Landschaft hat neben anderen Faktoren in letzter Zeit erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung des Marktes für Polarexpeditionskreuzfahrten und die Kreuzfahrtindustrie weltweit gehabt. In den letzten Jahren hat sich „Citizen Science“ d. h. die Beteiligung von Kreuzfahrtgästen an der Datenerhebung, zu einem Teil des Tourismus entwickelt, der einen Beitrag zur Wissenschaft leistet. Diese Art von Tourismus kann bei der Überwachung der empfindlichen Ökosysteme der Arktis und der Antarktis äußerst hilfreich sein, ebenso wie Datenerhebungen, die uns Aufschluss über Umweltprobleme wie die Versauerung der Ozeane, die Meeresverschmutzung und den Klimawandel geben können. Infolge des Russland-Ukraine-Konflikts haben alle großen Kreuzfahrtunternehmen bereits einige ihrer geplanten Anläufe im Norden abgesagt oder verschoben und bereits geplante Arktis-Reisen für die nächsten Jahre geändert. So hat beispielsweise Poseidon Expeditions bestätigt, dass der Reiseveranstalter Änderungen an seinen kommenden Reisen nach Russland vornehmen wird. Außerdem bietet National Geographic eine 20-tägige Reise von Nome in Alaska nach Japan ohne Zwischenstopp in Russland an, wie sie früher geplant war. All diese Faktoren wirken sich natürlich negativ auf die Datenerhebung in entlegenen Gebieten aus, in denen in den vergangenen Jahren zumindest Kreuzfahrtschiffe verkehrten.

Planung der Zukunft

Forscher und Pädagogen haben bereits damit begonnen, in dieser Angelegenheit Alarm zu schlagen. Für die internationale Wissenschaftsgemeinschaft ist klar, dass „Wissen verloren geht, wenn es nicht geteilt und geschützt wird„. Forschungsbudgets, Expeditionen und langfristige Projekte werden im Voraus geplant, so dass diese Stagnation bei der Erhebung von Klimadaten definitiv zu einem begrenzten Verständnis der durch den Klimawandel verursachten Auswirkungen auf die Polarregionen führen wird. Es scheint, dass die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ländern heutzutage bereits schwach ist und weiter auseinandertreibt. Ist das der richtige Weg? Wir haben so lange daran gearbeitet, Brücken für die Zusammenarbeit zu bauen, und nun laufen alle gemeinsamen Bemühungen Gefahr, in der Geschichte zu verschwinden.

Dr. Ekaterina Uryupova ist Senior Fellow am Arctic Institute. Sie hat in den Polarregionen als Forscherin und Polarguide gearbeitet. Ihre Fachgebiete sind der Klimawandel, marine Ökosysteme, Fischerei und Umweltpolitik.

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