Riesenviren befallen Cyanobakterien in arktischem Epischelfsee | Polarjournal
Der Milne-Fjord-Epischelfsee liegt verborgen unter einer Schicht von Eis und schwimmt auf dem dichteren und schwereren Wasser des Arktischen Ozeans auf. Foto: Denis Sarrazin, Center for Northern Studies

Im äußersten Norden von Kanada, an der Nordküste von Ellesmere Island, befindet sich im Milne-Fjord ein einzigartiger Süßwassersee, der auf dem Arktischen Ozean aufliegt und von Gletschereis bedeckt ist. Nur das Schelfeis des Milne Gletschers wirkt am Fjordausgang als Barriere und hält den See an Ort und Stelle. In dem Epischelfsee lebt eine ganz spezielle Gemeinschaft von Mikroorganismen, die von Cyanobakterien beherrscht wird. Diese werden häufig von ungewöhnlichen «Riesenviren» befallen. In einer Studie, die in der Fachzeitschrift Applied and Environmental Microbiology erschien, haben Forschende  jetzt erstmals die Viren im See quantifiziert.

Der Epischelfsee im Milne-Fjord ist ein extrem seltenes Ökosystem — in der Arktis gibt es nur zwei solcher Seen. In der Antarktis sind sie dagegen häufiger zu finden. Das Besondere ist, dass sich Schmelzwasser vom Gletscher zwischen Eis und Arktischem Ozean sammelt. Das Süßwasser des Sees schwimmt auf dem Meerwasser auf, da es eine geringere Dichte hat. Eine Durchmischung  der beiden Wasserkörper wird zudem durch den Abschluss des Epischelfsees nach oben verhindert indem die aufliegende Gletscherzunge das Süßwasser vor Wind und Wellen schützt.

Um polare aquatische Ökosysteme zu verstehen ist es essenziell, die in ihnen lebenden Viren zu untersuchen, denn diese Ökosysteme werden von Mikroorganismen beherrscht, die oft mit Viren infiziert sind. Das Forschungsteam bestimmte in der aktuellen Studie die Vielfalt und Verbreitung von Viren und will vor allem verstehen, wie Riesenviren die Ökologie des Sees durch ihre Interaktionen mit den von ihnen infizierten Cyanobakterien beeinflussen.

Der Süßwassersee wird nur durch das Milne-Eisschelf an Ort und Stelle gehalten. Bricht es aufgrund der Erwärmung zusammen, verschwindet auch der Epischelfsee. Grafik: Labbé et al. 2022

«So wie sich das Süßwasser-Ökosystem des Sees vom Ökosystem des Arktischen Ozeans unterscheidet, hat es auch eine eigene Virengemeinschaft», erklärt Mary Thaler, Mikrobiologin an der Universität Laval, Québec, und Co-Autorin der Studie gegenüber Live Science.

Den Mikrobiologinnen und Mikrobiologen bleibt jedoch nicht mehr allzu viel Zeit, um sich ein Bild von der Biodiversität und den biogeochemischen Kreisläufen zu machen, da die Erwärmung der Arktis schnell voranschreitet. «Das Schelfeis, das den See an Ort und Stelle hält, wird jedes Jahr kleiner, und wenn es zerbricht, wird der See in den Arktischen Ozean abfließen und verloren sein», sagt Alexander Culley, Mikrobiologe an der Universität Laval, Québec, und korrespondierender Autor der Studie.

«Unsere Ergebnisse unterstreichen die Einzigartigkeit der viralen Gemeinschaft im Süßwassersee im Vergleich zum marinen Fjordwasser, insbesondere in der Halokline», so Culley. Als Halokline, oder Salzgehaltssprungschicht, wird die Übergangszone zwischen Wasserschichten mit unterschiedlichem Salzgehalt bezeichnet. Genau diese Umgebung bietet laut Culley Nischen für Viren und potentielle Wirte, die weder in Süßwasser noch in Meerwasserschichten mit gleichmäßigem Salzgehalt zu finden sind.

Der Milne-Fjord liegt an der Nordküste von Ellesmere Island in der Kanadischen Arktis. Karte: GoogleEarth

Das Forscherteam entnahm Wasserproben aus dem See und sequenzierte die gesamte DNA des Seewassers, um die darin enthaltenen Mikroorganismen und Viren zu identifizieren. Darunter waren auch «Riesenviren» der Gattung Megaviricetes, die um ein Vielfaches größer sind als typische Viren. 

«Eines der Merkmale von Viren im Allgemeinen ist, dass sie winzig sind, viel kleiner als das kleinste Bakterium, und nur wenige Gene besitzen, die ihnen bei der Replikation helfen», so Thaler. «In den letzten 20 Jahren haben Wissenschaftler jedoch riesige Viren entdeckt, die so groß wie ein Bakterium sind und deren Genome möglicherweise viele interessante Gene enthalten.»

«Die hohe Bakteriendichte in Verbindung mit einer möglichen Prävalenz des lytischen Lebensstils in dieser Tiefe deutet darauf hin, dass Viren eine wichtige Rolle beim Umsatz von Biomasse spielen», erklärt Thaler weiter. «Lytische Lebensweise» bedeutet, dass die mikrobielle Wirtszelle zerstört wird wobei Virus-Tochterpartikel freigesetzt werden.

Laut der Autorinnen und Autoren schafft die Studie eine Grundlage für ein besseres Verständnis der viralen Ökologie in verschiedenen Regionen weltweit und insbesondere in der hohen Arktis. Aber die Details dieses Ökosystems bleiben weiter verborgen. Forschende wissen von den meisten Viren nicht, wie sie die von ihnen infizierten Mikroben beeinflussen oder welche Viren welche Mikroben befallen. 

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Labbé, M., Thaler, M., Pitot, T. M. et al. (2022). Climate-Endangered Arctic Epishelf Lake Harbors Viral Assemblages with Distinct Genetic Repertoires. Applied and Environmental Biology. https://doi.org/10.1128/aem.00228-22

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