Für Finnwale war es in den Gewässern des Südlichen Ozeans für lange Zeit gefährlich. Denn der industrielle Walfang setzte dem zweitgrössten Säugetier der Erde massiv zu. Mittlerweile haben sich die Bestände im Süden wohl wieder etwas erholt. Doch noch sind viele Bereiche im Leben von Finnwalen der Forschung unbekannt. Zumindest ein Aspekt aber scheint sich langsam zu klären: Wohin wandern die Tiere, wenn der antarktische Winter anbricht.
Im Sommer sich den Bauch mit Krill und Fischen vollschlagen, um viel Energie für die Fortpflanzung im Winter zu haben. Das ist die Strategie, der viele Meeressäugetiere im Südlichen Ozean folgen. Auch Finnwale verbringen so ihre Sommermonate, auch im Bereich der antarktischen Halbinsel. Und obwohl die Tiere bis in die Neuzeit massiv bejagt worden waren, war bisher nicht klar, wohin sie sich im Herbst, wenn sich das Packeis wieder langsam ausdehnt, zurückziehen. Doch ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Helena Herr von der Universität Hamburg hat nun einen möglichen Aufenthaltsort entdeckt: die Pazifikküste von Chile. Das zeigen Daten von Satelliten-gestützten Trackern, die an Finnwalen rund um die subantarktische Insel Elephant Island angebracht worden waren. Die Ergebnisse der Studie wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht.
Für die Studie besenderten Helena Heer und ihr Team Finnwale rund um Elephant Island mit kleinen Satellitenempfängern, wenn die Tiere sich zu losen Verbänden beim Fressen versammelt hatten. Solche Ansammlungen wurden in den letzten Jahren wieder häufiger in der Region beobachtet, ein Hinweis darauf, dass die Zahl der einst stark bejagten Tiere langsam wieder ansteigt. Insgesamt sieben Sender konnten die Forscherin und ihr Team anbringen. Vier davon lieferten Daten während der Wanderungen der Tiere. Das Team konzentrierte sich vor allem auf das Ende der Sommersaison, um den Start der Wanderungen nicht zu verpassen, da die Sender nur eine begrenzte Lebensdauer besitzen. «Die Sender waren so programmiert, dass sie in 1 – 5-Stunden Intervallen Signale aussenden, während insgesamt 14 Stunden und einem Maximum von 300 Übertragungen pro Tag», schreibt das Team in ihrer Arbeit.
Die vier Tiere, deren Sender einwandfrei funktionierten, starteten ihre Wanderung Mitte April und zogen bald nach Nordwesten. Innert fünf Tagen durchschwamm einer der Meeressäuger die Drake-Passage (zum Vergleich: Ein Schiff benötigt mit voller Kraft ebenfalls 2.5 bis 3 Tage) und drehte dann in Richtung chilenische Pazifikküste. Ein zweiter benötigte elf Tage für eine ähnliche Strecke. Am Ende hatte eines der Tiere in 16 Tagen rund 2’300 Kilometer zurückgelegt, was einer mittleren Tageleistung von 144 Kilometern entspricht und war bis auf die Höhe des chilenischen Nationalparks Laguna San Rafael, rund 650 Kilometer südlich der chilenischen Hafenstadt Puerto Montt, gewandert. Dort verliert sich die Spur, wie die Forscherinnen und Forscher schreiben.
Das Ergebnis ihrer Studie, so das Team, sollte aber nur als Hinweis dienen, da die Probenzahl zu gering sei, um endgültige Schlüsse ziehen zu können. Denn bis anhin konnte noch niemand Fortpflanzung von Finnwalen entlang der chilenischen Küste nachweisen. Dies gestaltet sich in Anbetracht der Länge von über 6’400 Kilometern auch als schwierig. Trotzdem verdichten sich die Hinweise mit der Studie. Sie zeigt aber auch, dass Finnwale der antarktischen Halbinsel standorttreu sind und sich gerne bei Elephant Island gegen Ende der Saison sammeln. «Die Tatsache, dass drei nicht miteinander verbundene Individuen, die an verschiedenen Tagen markiert wurden, ihre Wanderung am selben Tag begannen, lässt zumindest bis zu einem gewissen Grad die Möglichkeit eines koordinierten Wanderungsplans vermuten», kommen Helena Herr und ihre Kolleginnen und Kollegen zum Schluss. Und diese Wanderung scheint sie nach Chile zu führen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal