Langes Leben von Grönlandwalen teilweise entschlüsselt | Polarjournal
Grönlandwale sind neben den Belugawalen und Narwalen die einzige Walart, die weit in das Packeis des Arktischen Ozeans wandern können. Mit ihrem verstärkten Oberkiefer und dem gewölbten Hinterkopf/Rücken können die Tiere dank 80 Tonnen Gewicht das Packeis scheinbar mühelos durchbrechen, um zu atmen. Bild: Screenshot Dokumentarfilm «Sanfte Riesen» via Youtube

Zu den spektakulärsten, aber auch geheimnisvollsten Bewohner der Arktis zählt sicherlich der Grönlandwal. Dieser riesige Meeressäuger ist zwar aufgrund des Walfanges schon seit Jahrhunderten bekannt, aber er gibt der Forschung immer noch Rätsel auf. Eines davon ist seine Langlebigkeit und deren Gründe und Mechanismen. Eine Forschungsgruppe hat nun vermutlich einen Schlüsselhinweis entdeckt, wie es die Tiere schaffen, zum ältesten bekannten Säugetier der Welt zu werden.

Sage und schreibe 211 Jahre ist der Altersrekord, den das älteste bekannte Säugetier aufgestellt hat, nämlich ein Grönlandwal. Zum Vergleich: die restlichen Grosswale werden zwischen 60 und 70 Jahre alt (mit Ausnahmen, wie beim Menschen). Und gemäss den Forschungsergebnissen von Juan Vazquez von der Universität von Kalifornien Berkeley, Morgan Kraft und Vincent Lynch, Universität Buffalo, ist wahrscheinlich ein einziges spezielles Gen dafür verantwortlich, das CDKN2C-Gen. Ihre Studie haben die drei Wissenschaftler auf dem bioRxiv Preprint Server veröffentlicht, einem seriösen Server für Vorab-Publikationen für Biowissenschaften.

Im Jahr 2015 wurde das genetische Material von Grönlandwalen komplett sequenziert und ist seither bekannt. Die Gene können in Funktionalitätsgruppen eingeteilt werden, so dass das Forschungsteam sich diejenigen, die bei Krebs betroffen sind, aussuchen und analysieren konnten. So entdeckten sie das Wal-spezifische Gen CDKN2C. Bild: Vazquez et al (2022)

Langlebigkeit bei Säugetierarten geht oft mit der Bildung von Krebs einher. Je länger eine Art lebt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich im Alter Zellen durch Mutationsansammlungen zu Krebs entwickeln. Doch interessanterweise lässt sich diese Erkenntnis nicht über Artgrenzen hinweg anwenden. Es wurde schon länger vermutet, dass das Geheimnis um die Langlebigkeit von Grönlandwalen in ihrer genetischen Veranlagung liegt, solche Mutationen auch im hohen Alter zu reduzieren. Vazquez, Kraft und Lynch untersuchten dazu das Genom von Grönlandwalen, welches seit 2015 wie ein Buch der Forschung offenliegt. Dabei können die Gene in Gruppen gemäss ihren Funktionen eingeteilt werden. Das half dem Forschungsteam, nur diejenigen Gene zu untersuchen, die an den verschiedenen Alterungs- und Krebsbildungsprozessen beteiligt sind.

Mit Evolutionsgenomik und dem Vergleich mit anderen Walen entdeckten die drei Forscher das Wal-spezifische Gen, welches aber nur bei Grönlandwalen stark auftaucht. Das Team fand heraus, dass das Gen einerseits die Zellteilung verlangsamt, weil sich das Gen erfolgreich selber dupliziert (also eine Kopie von sich selbst besitzt), gleichzeitig die Reparatur von beschädigter DNA (was beim Kopieren der genetischen Information auftreten kann und die Mutation ist) positiv beeinflusst und so die Zelle vor dem Zelltod schützt. Damit sind Grönlandwale wahrscheinlich viel weniger anfällig auf Krebs als andere Säugetiere, kommen die Forscher zum Schluss.

Durch die Abgeschiedenheit ihres Lebensraumes ist über die Biologie von Grönlandwalen noch einiges unbekannt. Man weiss jedoch, dass die Tiere einerseits sehr alt werden können, andererseits aber nur alle 3 – 4 Jahre ein Kalb aufziehen und auch lange brauchen, bis sie zum ersten Mal ein Kalb erfolgreich aufziehen können. Gemäss Forschern könnte das Gen, dass die Langlebigkeit fördert, auch auf die Fortpflanzungsorgane Auswirkungen haben, zumindest bei Bullen. Bild: NOAA Fisheries

Eine weitere Erkenntnis der Studie von Vazquez, Kraft und Lynch, dass CDKN2C auch auf noch bisher unbekannte Weise die Entwicklung der Hoden bei den Bullen beeinflusst. Denn die Untersuchungen des Teams zeigten, dass die Hoden von Grönlandwalenbullen nur rund 20 Prozent der Grösse aufweisen, die bei den nächsten Verwandten, Glattwalen, bekannt sind. Gemäss dem Team sind in der Natur zahlreiche Beispiele bekannt, bei denen ein Ausgleich oder Trade-off zwischen Körpergrösse, Langlebigkeit, Gesundheit und Fortpflanzung besteht. Im Fall von Grönlandwalen, spekuliert das Team, könnte die zusätzliche Kopie und das übermässige Exprimieren des Gens dafür verantwortlich sein. Darüber, ob dadurch beispielsweise bei weiblichen Tieren Veränderungen der Genitalien, eine Verlangsamung der Eizellenreifung oder überhaupt eine Reduktion von Eizellen induziert wird, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit aber nichts. Grönlandwale scheint es aber zumindest nicht zu stören, denn die Zahl der Tiere steigt dank der Nachkommenschaft.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Vazquet et al (2022) bioRxiv 2022.09.07.506958 A CDKN2C retroduplication in Bowhead whales is associated with the evolution of extremely long lifespans and alerted cell cycle dynamics; https://doi.org/10.1101/2022.09.07.506958

Einen Dokumentarfilm über die Langlebigkeit von Grönlandwalen findet man hier.

Die rund 45-minütige Dokumentation zeigt, was die Langlebigkeit von Grönlandwalen bedeutet.

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