Zu den spektakulärsten, aber auch geheimnisvollsten Bewohner der Arktis zählt sicherlich der Grönlandwal. Dieser riesige Meeressäuger ist zwar aufgrund des Walfanges schon seit Jahrhunderten bekannt, aber er gibt der Forschung immer noch Rätsel auf. Eines davon ist seine Langlebigkeit und deren Gründe und Mechanismen. Eine Forschungsgruppe hat nun vermutlich einen Schlüsselhinweis entdeckt, wie es die Tiere schaffen, zum ältesten bekannten Säugetier der Welt zu werden.
Sage und schreibe 211 Jahre ist der Altersrekord, den das älteste bekannte Säugetier aufgestellt hat, nämlich ein Grönlandwal. Zum Vergleich: die restlichen Grosswale werden zwischen 60 und 70 Jahre alt (mit Ausnahmen, wie beim Menschen). Und gemäss den Forschungsergebnissen von Juan Vazquez von der Universität von Kalifornien Berkeley, Morgan Kraft und Vincent Lynch, Universität Buffalo, ist wahrscheinlich ein einziges spezielles Gen dafür verantwortlich, das CDKN2C-Gen. Ihre Studie haben die drei Wissenschaftler auf dem bioRxiv Preprint Server veröffentlicht, einem seriösen Server für Vorab-Publikationen für Biowissenschaften.
Langlebigkeit bei Säugetierarten geht oft mit der Bildung von Krebs einher. Je länger eine Art lebt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich im Alter Zellen durch Mutationsansammlungen zu Krebs entwickeln. Doch interessanterweise lässt sich diese Erkenntnis nicht über Artgrenzen hinweg anwenden. Es wurde schon länger vermutet, dass das Geheimnis um die Langlebigkeit von Grönlandwalen in ihrer genetischen Veranlagung liegt, solche Mutationen auch im hohen Alter zu reduzieren. Vazquez, Kraft und Lynch untersuchten dazu das Genom von Grönlandwalen, welches seit 2015 wie ein Buch der Forschung offenliegt. Dabei können die Gene in Gruppen gemäss ihren Funktionen eingeteilt werden. Das half dem Forschungsteam, nur diejenigen Gene zu untersuchen, die an den verschiedenen Alterungs- und Krebsbildungsprozessen beteiligt sind.
Mit Evolutionsgenomik und dem Vergleich mit anderen Walen entdeckten die drei Forscher das Wal-spezifische Gen, welches aber nur bei Grönlandwalen stark auftaucht. Das Team fand heraus, dass das Gen einerseits die Zellteilung verlangsamt, weil sich das Gen erfolgreich selber dupliziert (also eine Kopie von sich selbst besitzt), gleichzeitig die Reparatur von beschädigter DNA (was beim Kopieren der genetischen Information auftreten kann und die Mutation ist) positiv beeinflusst und so die Zelle vor dem Zelltod schützt. Damit sind Grönlandwale wahrscheinlich viel weniger anfällig auf Krebs als andere Säugetiere, kommen die Forscher zum Schluss.
Eine weitere Erkenntnis der Studie von Vazquez, Kraft und Lynch, dass CDKN2C auch auf noch bisher unbekannte Weise die Entwicklung der Hoden bei den Bullen beeinflusst. Denn die Untersuchungen des Teams zeigten, dass die Hoden von Grönlandwalenbullen nur rund 20 Prozent der Grösse aufweisen, die bei den nächsten Verwandten, Glattwalen, bekannt sind. Gemäss dem Team sind in der Natur zahlreiche Beispiele bekannt, bei denen ein Ausgleich oder Trade-off zwischen Körpergrösse, Langlebigkeit, Gesundheit und Fortpflanzung besteht. Im Fall von Grönlandwalen, spekuliert das Team, könnte die zusätzliche Kopie und das übermässige Exprimieren des Gens dafür verantwortlich sein. Darüber, ob dadurch beispielsweise bei weiblichen Tieren Veränderungen der Genitalien, eine Verlangsamung der Eizellenreifung oder überhaupt eine Reduktion von Eizellen induziert wird, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit aber nichts. Grönlandwale scheint es aber zumindest nicht zu stören, denn die Zahl der Tiere steigt dank der Nachkommenschaft.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Einen Dokumentarfilm über die Langlebigkeit von Grönlandwalen findet man hier.