Schmelzendes Meereis führt zu saurem Arktischen Ozean | Polarjournal
Der Rückgang der Meereisfläche im Arktischen Ozean ist mittlerweile trotz jährlicher Schwankungen keine Fiktion. Das führt zu grösseren Wasserflächen, die im Austausch mit der Atmosphäre stehen. Damit gelangt mehr CO2 ins Wasser und verändert den pH-Wert in Richtung «sauer». Bild: Michael Wenger

Schmelzendes Meereis im Arktischen Ozean hat gravierende Konsequenzen für die Tiere und Algen, die auf und unter dem Eis leben. Höhere Temperaturen des Wassers, weil die dunkle Oberfläche mehr Wärme aufnimmt und eine Veränderung der Salzkonzentrationen, weil mehr Süsswasser im Arktischen Ozean treibt, sind zwei dieser Folgen. Nun hat eine internationale Forschungsgruppe entdeckt, dass auch ein Zusammenhang zwischen dem schwindenden Meereis und dem pH-Wert des Meerwassers besteht.

Je stärker das Meereis schmilzt, desto grösser sind die Wasserflächen, die im Austausch mit der Atmosphäre stehen und damit kann auch mehr Kohlendioxid vom Arktischen Ozean aufgenommen werden. Das wiederum führt zu einer schnelleren Versauerung des Wassers durch einen sinkenden pH-Wert. Dabei ist Wert seit 1994 rund drei- bis viermal schneller gesunken als in anderen Regionen der Erde. Das ist das Ergebnis der Arbeit einer 20-köpfigen internationalen Forschungsgruppe nach einer Analyse und Modellierungen von Daten aus 26 Jahren Messungen im westlichen Teil der Arktis zwischen der Tschuktschensee und dem nordöstlichen kanadischen Becken. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Science vor kurzem veröffentlicht.

Wie zuhause, wenn man Kohlendioxid in die Sprudelflasche pumpt, steigt auch im Ozean die Kohlensäuremenge an und senkt so den pH-Wert. Je kälter das Wasser, desto mehr Kohlendioxid kann man reinpumpen. Somit haben die Ozeane zwar den globalen Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre abgefedert, wurden aber dadurch saurer. Bild: EvaK via Wikicommons CC BY-SA 2.5

Die Problematik einer Versauerung der Meere durch steigende Kohlendioxidmengen aus der Atmosphäre ist schon länger bekannt. Dabei muss man sich das etwa so vorstellen, wie man Sprudelwasser zuhause zubereitet: Man gibt Kohlendioxid in stilles Wasser und erhöht damit die Kohlensäure im Wasser und senkt so den pH-Wert. Überträgt man dies nun auf die Ozeane der Welt, erhält man das gleiche Bild: steigende Mengen an Kohlensäure, sinkender pH-Wert. Weil das Ganze auch noch Temperatur-abhängig ist (je kälter das Wasser, desto grösser seine Gaslöslichkeit und damit eine höhere Kohlendioxidaufnahme), wären polare Gewässer prädestiniert für eine Versauerung. Doch die Meereisdecke schützte den darunterliegenden Arktischen Ozean bisher vor einer zu starken Versauerung.

Als aber das Forschungsteam die Daten aus den vergangenen 26 Jahren untersuchte, entdeckte es eine drei- bis vierfache Beschleunigung der Versauerung des Arktischen Ozeans und eine Korrelation zur Eisbedeckung des Ozeans. Als Gründe für die verstärkte Beschleunigung sieht das Team die grössere Wasserfläche, was zu mehr Kohlendioxid im Wasser führt; die gleichzeitige Verdünnung des Wassers durch das geschmolzene Eis, was dazu führt, dass die Kohlensäure weniger in Bikarbonat umgewandelt werden kann (ein natürlicher Prozess, der von der Wasserchemie abhängig ist; und die geringere Durchmischung des Oberflächenwassers mit tieferen Schichten, was den Versauerungseffekt abfedern würde.

Die Folgen für die Organismen, die in den oberen Wasserschichten leben, sind noch nicht gänzlich erforscht. Man weiss, dass ein niedrigerer pH-Wert dazu führt, dass Schalenbildende Organismen wie Algen, Krebse, Muscheln und Schnecken einerseits beim Aufbau der Schalen eingeschränkt werden, weil die Säure die Schale angreift und gleichzeitig weniger Kalziumkarbonat für den Aufbau zur Verfügung steht. Ausserdem sind viele wichtige physiologische Prozesse pH-abhängig, beispielsweise für eine gesunde Entwicklung. Schon eine kleine Änderung des Wertes in Richtung Versauerung kann somit grosse Defizite verursachen. Da die Organismen an der Basis der Nahrungsnetze stehen, sind darüberliegende Stufen wie Fische, Robben und damit dann auch Eisbären und Menschen von den Auswirkungen betroffen. Co-Autor und Versauerungsexperte Wei-Jun Cai von der Universität Delaware bringt es auf den Punkt: «Wir glauben, dass bis 2050 das gesamte Eis im Sommer verschwunden sein wird. Und wenn wir den derzeitigen Trend noch 20 Jahre lang fortsetzen, wird die Versauerung im Sommer sehr, sehr stark sein. Wie wird sich das auf die Biologie dort auswirken?» Diese Frage werden Forschungsteam nun rasch auf den Grund gehen müssen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Qi et al. (2022) Science 377 1544 – 1550 Climate change drives rapid decadal acidification in the Arctic Ocean from 1994 to 2020; DOI: 10.1126/science.abo038

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