Glasperlen können Meereis der Arktis nicht retten | Polarjournal
Die Oberfläche des arktischen Meereises ist sehr heterogen und weist somit auch ein variables Reflexionsvermögen auf. Mikroglasperlen sollen laut einer Studie aus dem Jahr 2018 die Reflektivität erhöhen und das Schmelzen verhindern, bewirken jedoch das Gegenteil. Foto: Julia Hager

Die weltweite, drastische Reduktion der Treibhausgasemissionen wäre DIE Maßnahme, um die globale Erwärmung zu begrenzen. Allerdings sind wir als Menschheit weit von Erfolgen in dieser Hinsicht entfernt. Kein Wunder also, dass Ingenieure und Forschende auch versuchen, mit neuen Technologien und aktiver Manipulation des Erdsystems, den Klimawandel einzudämmen. Eine solche Idee des Geoengineering war das Ausbringen von Mikrokügelchen aus Glas auf das arktische Meereis, um die Reflektivität des Eises zu erhöhen und es zu hoch reflektierendem mehrjährigem Eis wachsen zu lassen. Eine aktuelle Studie unter der Leitung der University of Alaska Fairbanks, die im Fachmagazin Earth’s Future veröffentlicht wurde, hat nun jedoch gezeigt, dass die Glaskügelchen das Gegenteil bewirken und das Eis schneller schmelzen lassen.

Die winzigen hohlen Glaskugeln von der Dicke eines menschlichen Haares sollten laut einer Studie aus dem Jahr 2018 die Temperatur in der Arktis herabsetzen, dazu führen, dass sich mehrjähriges Meereis bildet und so den Temperaturanstieg in der Arktis und global reduzieren. 

Das Meereis spielt eine entscheidende Rolle für das Klima auf der Erde, da es den größten Teil der Sonnenenergie ins Weltall zurückstrahlt und so zur Regulierung der Meeres- und Lufttemperaturen beiträgt und die Ozeanströmungen beeinflusst. Demnach könnte eine höhere Reflektivität des Meereis die globale Erwärmung bremsen.

Doch das Ausbringen mehrerer Schichten Glaskügelchen auf junges Meereis ist der aktuellen Studie zufolge nicht die geeignete Methode, um dies zu erreichen. Vielmehr wies sie nach, dass die hohlen Mikroglaskugeln die Oberfläche des Eises verdunkeln, den Verlust des Meereises beschleunigen und das Klima weiter erwärmen würden.

Schmelztümpel absorbieren mehr Sonnenenergie und wären theoretisch geeignete Stellen, um die Mikrokugeln auszubringen. Ein Experiment zeigte jedoch, dass die Kugeln an den Rand getrieben werden und verklumpen. Foto: Melinda Webster/University of Alaska Fairbanks

Obwohl die Glaskügelchen nur zehn Prozent des Sonnenlichts absorbieren, reicht diese Energie aus, um die Eisschmelze zu beschleunigen und die Atmosphäre über der Arktis weiter zu erwärmen, so die Ergebnisse von Webster.

«Unsere Ergebnisse zeigen, dass die vorgeschlagenen Bemühungen, den arktischen Meereisverlust aufzuhalten, das Gegenteil von dem bewirken, was beabsichtigt ist», so Melinda Webster von der University of Alaska Fairbanks. «Und das ist schädlich für das Klima der Erde und die menschliche Gesellschaft als Ganzes.»

Webster und ihr Kollege Stephen G. Warren von der University of Washington berechneten die Veränderungen der Sonnenenergie für acht häufig vorkommende Oberflächenbedingungen auf dem arktischen Meereis, die jeweils unterschiedliche Reflexionsgrade aufweisen, was in der Studie aus 2018 nicht in dem Umfang berücksichtigt wurde. Zudem bezogen Webster und Warren auch das jahreszeitliche Sonnenlicht, die Intensität der Sonneneinstrahlung an der Oberfläche und in der oberen Atmosphäre, die Bewölkung und die Reaktion der Mikrokugeln auf das Sonnenlicht. 

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine Schicht der Glasperlen das Reflexionsvermögen von dünnem, neuen Eis, das von Natur aus dunkel ist, erhöhen kann. Der Effekt wäre jedoch minimal, da dünnes Eis meist im Herbst und Winter auftritt, wenn nur wenig oder gar kein Sonnenlicht vorhanden ist. Schnee, der auf das dünne Eis fällt, erhöht ohnehin das Reflexionsvermögen der Oberfläche.

Neugebildetes Meereis, auch Pfannkucheneis genannt, erscheint dunkel und absorbiert mehr Sonnenlicht als dickes, mehrjähriges Eis mit Schneeauflage. Foto: Melinda Webster/University of Alaska Fairbanks

Im Frühjahr, wenn wieder mehr Sonnenenergie verfügbar ist, bedeckt tiefer, reflektierender Schnee das Meereis. Zusätzlich aufgebrachte Mikrokugeln würden den Schnee verdunkeln und das Schmelzen beschleunigen.

Auch der Einsatz der Mikrokugeln auf Schmelztümpeln im späten Frühjahr und Sommer ist nicht sinnvoll, obwohl diese natürlicherweise ein geringes Reflexionsvermögen haben. Ein Experiment im Rahmen der Studie aus 2018 zeigte, dass die Kügelchen vom Wind an den Rand getrieben werden und dort verklumpen.

Somit ist die scheinbar sinnvollste Zeit, um die Mikrokügelchen auszubringen — März, April, Mai, Juni, wenn die Sonneneinstrahlung steigt — tatsächlich die ungünstigste.

Und selbst wenn die Mikrokugeln überhaupt keine Sonnenenergie absorbieren und wirklich das Schmelzen verhindern würden, wäre der Aufwand des Ausbringen immens: Für eine Anwendung pro Jahr würden 360 Millionen Tonnen davon benötigt, was wiederum nicht realisierbar ist, ohne klimaschädliche Emissionen zu verursachen, ganz zu schweigen von den ökologischen Auswirkungen der Fremdkörper im Ökosystem Arktis.

«Die Verwendung von Mikrokugeln als Mittel zur Wiederherstellung des arktischen Meereises ist nicht machbar», sagte Webster. «Während die Wissenschaft weiterhin nach Möglichkeiten suchen sollte, die globale Erwärmung abzuschwächen, ist es für die Gesellschaft am besten, die Verhaltensweisen zu reduzieren, die weiterhin zum Klimawandel beitragen.»

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Webster, M. A., & Warren, S. G. (2022). Regional geoengineering using tiny glass bubbles would accelerate the loss of Arctic sea ice. Earth’s Future, 10, e2022EF002815. https://doi.org/10.1029/2022EF002815

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