Visit Greenland setzt auf mehr Expedition- statt klassische Kreuzfahrt | Polarjournal
Vor drei Jahren war die Welt noch in Ordnung: Ein klassisches Kreuzfahrtschiff legt zum ersten Mal für die Gesellschaft in Grönlands Hauptstadt an. In Zukunft müssen solche Reedereien aber auf die Hilfe von Tourismusbranchenführer Visit Greenland verzichten. Bild: MSC Cruises via cruiseandferry.net

Neben Svalbard war Grönland in der vergangenen Saison das Hauptziel des arktischen Tourismus, Die auch, weil zahlreiche Expeditionsschiffe ihre Fahrpläne aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Schliessung der russischen Arktis schnell ändern mussten. Doch der Trend, Grönland mit Kreuzfahrtschiffen anzusteuern, ist schon länger ansteigend, auch bei klassischen Kreuzfahrtgesellschaften. Dieser Zweig der Kreuzfahrtbranche muss sich in Zukunft wohl noch wärmer anziehen, denn nach Svalbard wird nun auch die Unterstützung in Grönland immer kleiner.

Der grönländische Marktführer für Tourismus, Visit Greenland, hat gemäss einer eigenen Pressemeldung beschlossen, in Zukunft keine Unterstützung für konventionelle Kreuzfahrten in Grönland mehr zu liefern. Dies geschehe im Rahmen seiner Strategie «Für mehr Tourismus 2021 – 2024», erklärte die Leiterin von Visit Greenland, Anne Nivíka Grødem. Das bedeutet, dass die Gesellschaft zukünftig keine Mittel mehr für die Vermarktung von konventionellen Kreuzfahrten zur Verfügung stellen wird und auch an keinen Messen oder Ausstellung dieses Zweiges der Kreuzfahrtenbranche mehr teilnehmen wird.

Kleine Gemeinden wie Aapilattoq entlang der grönländischen Küste sind beliebte Ausflugsziele für die Schiffe. Doch für Visit Greenland liefern konventionelle Kreuzfahrten zu wenig für die Orte gemessen am Aufwand. Sie beziehen sich dabei auf Erfahrungen aus Svalbard (rechts Archivbild). Bilder: Michael Wenger

Die Entscheidung gegen die konventionelle Kreuzfahrtbranche basiert auf einem 2019 erschienenen Bericht der Internationalen Gesellschaft von Arktischen Expeditionsreisenanbieter AECO, der gezeigt hatte, dass im Vergleich zu Expeditionsreisen die klassischen Kreuzfahrten in vielen Bereichen weniger nachhaltig sind. Vor allem in Bezug auf die Einnahmen für die Zielorte seien Expeditionsfahrten viel lukrativer als die konventionellen Kreuzfahrten. Zwar kämen mit den klassischen Schiffen mehr Passagiere pro Schiff an die Orte. Doch diese Passagiere geben weniger aus, verursachen aber logistisch mehr Kosten und stellen eine meist kaum zu bewältigende Herausforderung an die Infrastrukturen dar. Visit Greenland hebt dabei besonders die Gesundheits- und Verkehrsstrukturen hervor. «In Svalbard betrugen die Einnahmen der gesamten Kreuzfahrtindustrie im Jahr 2018 10.5 Millionen Euro (NOK 109.5 Millionen), wovon 66.7 Prozent aus Expeditionskreuzfahrten stammten und 33.3 Prozent aus konventionellen Kreuzfahrten», zitiert Visit Greenland aus dem Bericht. Touristen von Expeditionsschiffen geben gemäss dem Bericht auch mehr als das 5-fache der klassischen Schiffspassagiere in den Orten aus.

Auch wenn gerade der Süden Grönlands oft einfach zu befahren aussieht, stellen die Fjorde und Wasserwege grosse Herausforderungen dar, denen klassische Kreuzfahrtschiffe nicht gewachsen sind. Dort agieren die meisten Expeditionsschiffe viel besser und sicherer. Bild: Michael Wenger

Einen weiteren Aspekt, den Visit Greenland als Grund für seine Entscheidung sieht, ist die Tatsache, dass Expeditionsschiffe besser für Fahrten in seinen Gewässern geeignet sind. Auch hier bezieht man sich auf den Bericht und die Erfahrungen der AECO. Viele klassische Kreuzfahrtschiffe sind für die arktischen Herausforderungen nicht geeignet und stellen ein riesiges Sicherheitsrisiko für Mensch und Umwelt dar. Ausserdem sind allfällige Such- und Rettungsmissionen bei möglichen Unfällen von solchen Schiffen ebenfalls sehr risikobehaftet. Daher setzt Visit Greenland auch in Zukunft mehr auf den Expeditionskreuzfahrtentourismus und will nun gemeinsam mit den politischen Partnern und den Interessenvertretern auf allen Ebenen eine Initiative starten, die am Ende Empfehlungen an die Regierung für die Entwicklung eines echten nachhaltigen Tourismus beinhaltet. «Es gibt viele verschiedene Meinungen zum Kreuzfahrttourismus, und wir von Visit Greenland erkennen die unterschiedlichen Sichtweisen voll und ganz an», erklärt Anne Nivíka Grødem. «Wir wollen die Herausforderungen und Potenziale vor Ort besser verstehen. Deshalb starten wir einen integrativen Prozess in Zusammenarbeit mit den grönländischen Kreuzfahrtunternehmen, den Behörden, den lokalen Tourismus- und Wirtschaftsräten und anderen Interessengruppen.»

Auch auf Svalbard gerät die konventionelle Kreuzfahrtenbranche unter Druck. Denn hier sind Gesetzesentwürfe bereits in Beratung, die u.a. eine Passagierzahlbegrenzung für Schiffe auf 750 festlegen wollen. Damit dürften sich die Tore für den Branchenzweig immer mehr schliessen. Bild: Heiner Kubny

Der Beschluss von Visit Greenland dürfte für den klassische Kreuzfahrtindustriezweig einen weiteren Tiefschlag bedeuten. Denn die Branche, die schon unter der COVID-Pandemie massiv gelitten hat und sich erst langsam davon erholt, ist auch in Svalbard kein gern gesehener Gast mehr. Die norwegische Regierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, welches eine Limitierung der Passagierzahl von Schiffen, die Svalbard anlaufen dürfen, auf 500 – 750 Personen an Bord und bei Anlandungen in Schutzgebieten eine maximale Personenzahl von 200 Gästen vorsieht. Sollte dieses Gesetz durchkommen, würde es bereits 2024 oder spätestens 2025 in Kraft treten. Und viele Reedereien sind bereits in Gedanken in diesen Jahren mit ihren Planungen. An einem Treffen in Longyearbyen hatten sich Vertreter der verschiedenen Branchenzweigen (Expeditions- und klassische Kreuzfahrten, Tourismusvertreter) ausgetauscht und auf Hilfe von Visit Svalbard, dem lokalen Tourismusverband, gehofft. Doch einerseits sind dem Branchenvertreter die Hände gebunden, da das Gesetz bereits in Oslo diskutiert und entschieden wird. Ausserdem sieht seine Strategie bis 2030 vor, Gäste mit dem geringstmöglichen Abdruck und der grösstmöglichen Wertschöpfung zu bevorzugen. Weil dabei die Nachhaltigkeitskriterien für die Expeditions- und die klassische Kreuzfahrtenbranche einzeln gemessen werden, dürften sich die Tore in die Arktis für grosse Schiffe weiter schliessen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Mehr zum Thema

error: Content is protected !!
Share This