In der heutigen globalisierten Welt sind wir alle miteinander verbunden und können auch praktisch jede Ecke der Erde erreichen. Doch wir sind nicht die einzigen Weitstreckenwanderer. Viele Tierarten wie Seevögel legen jedes Jahr lange Strecken zwischen ihren Überwinterungs- und Sommergebieten zurück. Und wie bei uns besteht dadurch auch die Gefahr, dass durch solche Wanderungen ungebetene Gäste weiterverbreitet werden können. Während wir diese Erfahrung erst wieder durch das Sars-CoV-Virus gemacht haben, bedroht ein anderes Virus, das in diesem Jahr bereits auf der Nordhalbkugel gewütet hat, die reichhaltige Vogelwelt der Antarktis.
Der Name des Virus, vor dem sich die Experten der nationalen Antarktisforschungsprogramme fürchten lautet unspektakulär HPAI H5N1 (dt. hochansteckende pathogene Vogelgrippevirus H5N1). Dieses Virus hat in diesem Jahr in zahlreichen Ländern auf der Nordhalbkugel für Massensterben in der Vogelwelt gesorgt, sogar in der Arktis. Mit dem Start der Antarktisforschungs- und Touristensaison befürchten nun die Experten innerhalb des SCAR (Wissenschaftlicher Ausschuss für Antarktisforschung), dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Virus den Weg auch in die Vogelkolonien der Antarktis finden wird. Deswegen wurden die ohnehin strengen Biosicherheitrichtlinien und -regeln überarbeitet und eine Liste zusätzlicher Massnahmen und Regeln ausgegeben, an die sich alle Besucher, egal ob auf Forschungsstationen oder auf Schiffen, halten sollen.
Normalerweise führen Infektionen von Vogelgrippeviren nicht zu grossen Ausbrüchen in Wildvögelpopulationen, da die Viren eine geringe Pathogenität aufweisen. Doch durch Mutationen entstanden verschiedene Subtypen des Virus in Gelfügelfarmen. Dazu zählt auch das nun grassierende HPAI H5N1-Virus, welches in diesem Jahr mehrfach für Schlagzeilen gesorgt hatte, da in einigen Ländern die Behörden Massenschlachtungen von Geflügel anordnen mussten aufgrund von Infektionen mit dem hochansteckenden Virus. Leider wurden auch Wildvögelpopulationen betroffen von den Infektionen, besonders Gänse- und Entenvertreter, Möwen- und Seeschwalbenarten bis in die arktischen Regionen Kanadas und Svalbards. Aber auch entlang der atlantischen und pazifischen Küstenregionen waren viele Arten und Kolonien betroffen und mit den einsetzenden Wanderungen in den Süden kann das Virus den Weg in Richtung subantarktische Inseln und Antarktika finden. Da die Übertragung relativ leicht via Fäkal-Oral-Weg (also beispielsweise mit Fäkalien verseuchtes Wasser trinken) geschieht und in Kolonien die Vögel lange eng beieinandersitzen, kann sich das Virus in Kolonien wie ein Flächenbrand ausbreiten. Und weil in den USA und Kanada in diesem Jahr Todesfälle unter Seehunden und Kegelrobben mit dem Virus HPAI H5N1 in Verbindungen gebracht wurden, könnten auch antarktische Robben nahe an Kolonien sich infizieren, befürchten Experten.
Für Menschen stellt das Virus zurzeit kaum eine Gefahr dar. Zwar wurden seit dem ersten Auftreten des HPAI H5N1-Virus 2003 einige hundert Todesfälle weltweit verzeichnet, jedoch ohne Mensch-Mensch-Übertragung und nur nach sehr engem und langem Kontakt. Trotzdem können Menschen als Träger das Virus in Kolonien einschleppen. Um dieses Risiko in den nächsten Jahren zu minimieren, entwickelten Experten einen erweiterten Katalog von Verhaltensregeln und Massnahmen, die ab dieser Saison bei Besuchen in der Antarktis angewendet werden: das verstärkte Reinigen von Ausrüstung vor Besuchen und eine mögliche Vergrösserung des Abstandes zu Tieren gehören dazu, aber auch das Tragen von Gesichtsmasken, Schutzbrillen und Handschuhen bei Forschern, die mit den Tieren, egal ob lebendig oder tot, Kontakt haben. Auch sollte davon abgesehen werden, sich auf den Boden zu legen, um Bilder zu machen.
Ausserdem sollen Kolonien vor dem Besuch von Menschen erst von Experten oder speziell ausgebildeten Guides überprüft werden, ob Vögel und die Kolonien Anzeichen einer Infektion zeigen. Dazu werden von den Experten Zeichen wie Taumeln, Zittern von Kopf und Körper, Lethargie, aber auch plötzliche Massensterblichkeit aufgezählt. Wird eine entsprechende Beobachtung gemacht, sollte der Besuch der Kolonie abgesagt werden und die Stelle den Behörden umgehen gemeldet werden. Bisher wurden aber glücklicherweise noch keine Ausbrüche gemeldet. Die ersten Schiffe mit Touristen und Forschern und sind nun aber auf den Inseln und in Antarktika angekommen und es bleibt zu hoffen, dass die Vogelwelt in der Antarktis nicht dasselbe durchleben muss, wie wir in den vergangenen Jahren.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
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