Weitverzweigtes Flusssystem unter antarktischem Eisschild entdeckt | Polarjournal
Weit, weiss und gefroren. So stellt sich die Oberfläche eines Eisschelfs und des dahinterliegenden Eisschildes in Antarktika dar. Doch dank Eis-durchdringendem Radar und Satelliten entdecken Forschende, dass unter dem Eis eine ganz andere Welt verborgen liegt. Bild: Michael Wenger

Von oben sehen die beiden Eisschilde in der West- und Ostantarktis nur an wenigen Stellen spektakulär aus und flüssiges Wasser ist im besten Fall an den Küsten zu erwarten. Der Rest ist eine gefrorene weisse Fläche. Doch tief unter dem Eis existiert eine bisher nur wenig erforschte Welt, die immer noch voller Überraschungen steckt.  Vor einigen Jahrzehnten machte die Entdeckung von grossen Seen die mediale Runde. Nun entdecken Forschungsteams auch ganze Flusssysteme, wie eine internationale Gruppe vor kurzem in einer Arbeit veröffentlicht hat.

Mehr als 460 Kilometer lang und das Abflussgebiet von mehreren Eisströmen und Gletschern, die zusammengenommen eine Fläche von 960’000 Quadratkilometer umfasst, das ist das von Dr. Christine Dow und ihren Kolleginnen und Kollegen neu entdeckte Flusssystem am südöstlichen Rand des Weddellmeeres. Ihre Entdeckung haben sie in der Fachzeitschrift Nature Geosciences letzte Woche veröffentlicht.

Die Entdeckung gelang dem Team, welches aus Mitgliedern aus Kanada, Grossbritannien und Malaysia bestand, bei der Untersuchung eines bisher wenig erforschten Gebietes in Antarktika. Dort, wo die beiden Eisschilde von West- und Ostantarktika aufeinandertreffen und in das Filchner-Ronne-Eisschelf münden, fand das Team das System dank Flugzeug-gestütztem Bodenradar, welches auch Eis durchdringen kann und einem Modell, welches die Hydrologie von Eisschilden darstellen kann. Besonders die Tatsache, dass in dem System flüssiges Wasser sich über hunderte Kilometer bis ins Weddellmeer ergiesst, überrascht und begeistert die Forschenden. Denn diese Erkenntnis stellt die bisherige Annahme, dass die bisher entdeckten Seen, die ebenfalls flüssiges Wasser enthalten und in den Fokus der Forschung gelangt sind, isoliert sind, auf den Prüfstand. «Wir beginnen zu verstehen, dass es dort unten ganze Systeme gibt, die durch riesige Flussnetze miteinander verbunden sind, so wie sie auch sein könnten, wenn nicht Tausende von Metern Eis auf ihnen lägen» sagt Professor Martin Siegert vom Imperial College London, der zusammen mit Dr. Dow von der Universität Waterloo in Kanada und Dr. Neil Ross von der Universität Newcastle, die Studie entwickelt hatte.

Das Filchner-Ronne-Eisschelf ist das zweitgrösste Eisschelf in Antarktika und treibt im Wedellmeer. Während das Ronne-Eisschelf aus Gletschern der Westantarktis genährt wird, fliessen ini das kleinere Filchner-Schelf Gletscher aus der Ostantarktis. Benannt ist es nach dem deutschen Forscher Wilhelm Filchner und dem amerikanischen Entdecker Finn Ronne. Bild: NASA Goddard Space Flight Center

Flüssiges Wasser kilometertief unter dem antarktischen Eisschild ist eine besondere Entdeckung, denn es stammt nicht, wie beispielsweise in Grönland, von der Oberfläche und wurde durch Schmelzprozesse in die Tiefe transportiert. Das Forschungsteam vermutet vielmehr, dass es Schmelzwasser von der Basis des Eisschildes ist und durch Erdwärme und Reibung entsteht. Weil sich dabei ein nahezu ausbalancierter Zustand von Wasserabfluss und -eintrag bildet, kann das Wasser Kanäle formen, die sich über hunderte von Kilometern erstrecken können. Und damit wirft die Entdeckung auch zahlreiche neue Fragen auf. Beispielsweise, wie diese Flusssysteme die Eisströme und das Eisschelf beeinflussen, denn mit dem Wasser wird auch Wärme transportiert, die am Ende die Eisabbrüche an Gletschern und die Bildung von Tafeleisbergen am Eisschelf beeinflussen können. Auch die Geschwindigkeit, mit der Eisströme fliessen, hängt gemäss den Ergebnissen des Teams in Antarktika eher von der Menge und dem Druck des Wassers ab, als von der Steilheit des Geländes.

Die Region, in der Dr. Dow und ihr Team die Entdeckung gemacht haben, ist erst vor einem Jahr in die Schlagzeilen geraten, als man weit unter dem Eisschelf ein ganzes, bisher unbekanntes Ökosystem entdeckt hatte. Ob die beiden Entdeckungen miteinander zusammenhängen, bleibt im Moment noch offen. Video: mit freundlicher Genehmigung von Dr. Huw Griffiths, BAS

Eine andere Frage, die sich stellt, ist, ob der Süsswassereintrag in das Weddellmeer einen Einfluss auf die Artenvielfalt unter dem Eisschelf hat. Denn im letzten Jahr wurde in derselben Region ein bisher unbekanntes Ökosystem mit einer überraschen grossen Vielfalt an Meeresorganismen entdeckt. Weil solche basalen Flusssysteme nicht nur Wärme und Süsswasser, sondern auch Mineralien in den Ozean transportieren, könnte dies eine mögliche Erklärung für die Vielfalt sein. Auf jeden Fall werden Dr. Dow und ihre Kolleginnen und Kollegen noch einige Daten sammeln und sie auch mit anderen Gebieten in Antarktika vergleichen müssen, um dieser bisher unbekannten Welt ihre Geheimnisse zu entlocken. «Dass ein so grosses System bisher unentdeckt bleiben konnte, zeigt, wie viel wir noch über den Kontinent lernen müssen», meint Christine Dow.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Dow C.F. et al. (2022) Nat Geosci Antarctic basal environment shaped by high-pressure flow through a subglacial river system; doi.org/10.1038/s41561-022-01059-1

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