Kaum Fortschritte für neue Schutzgebiete in der Antarktis | Polarjournal
Ein Vorschlag für eine Schutzzone rund um ein neu entdecktes Brutgebiet von Eisfischen im Weddellmeer wurde ebenso abgelehnt wie die restlichen Schutzgebiete rund um die Antarktis. Bild: AWI OFBS Team PS124

Dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Antarktis haben sich eigentlich alle Nationen verschrieben, die den Antarktisvertrag ratifiziert haben und der Kommission zum Schutz der lebenden marinen Ressourcen in der Antarktis CCAMLR beigetreten sind. Doch das scheint das einzige zu sein, bei dem sich die Mitglieder der CCAMLR tatsächlich einig zu sein scheinen. Denn schon seit Jahren wird um die Etablierung von neuen, umfangreichen Schutzgebieten an den jährlichen Treffen der Kommission gerungen. Auch in diesem Jahr war es wieder einer von mehreren Diskussionspunkten.

Einige langjährige Vertreter von CCAMLR-Mitgliedern fühlten sich am diesjährigen Treffen wahrscheinlich wie Bill Murray in seinem 1993-Blockbuster «Und ewig grüsst das Murmeltier»: Wie immer seit 2016 wurde auch in diesem Jahr über die Etablierung von Meeresschutzzonen (MPA) an verschiedenen Stellen rund um Antarktika diskutiert, neue Forschungsdaten vorgelegt, Vorschläge über das Management und die mögliche Nutzung durch die Fischerei erörtert, nur um am Ende durch zwei «Nein»-Stimmen wieder abgelehnt zu werden. Und wieder waren es dieselben Länder, welche das Abstimmungssystem der CCAMLR, alle Entscheide einstimmig fällen zu müssen, für sich genutzt hatten und die Vorschläge zum Scheitern brachten. «China und Russland haben andere Ansichten als die übrigen Mitglieder», sagte Orazio Guanicale, der italienische Vertreter in einem Interview mit der Plattform «Mongabay». «Das Antarktisvertragssystem sieht eine rigorose Anwendung des Konsensprinzips vor. Wenn einer nicht zustimmt, wird es abgelehnt und man muss darüber hinwegkommen.». Immerhin konnte man sich darauf einigen, im kommenden Jahr in Chile ein Sondertreffen zur Umsetzung von MPA-Vorschlägen abzuhalten. Ausserdem wurden acht Gebiete im Bereich der antarktischen Halbinsel vor Bodenschleppfischerei geschützt.

Die Etablierung neuer Schutzgebiete war aber nur einer der Punkte, bei denen sich die Vertreter nicht einigen konnten. Auch Managementmassnahmen im Bereich der Krillfischerei, ein Schlüsselaspekt der CCAMLR, besonders entlang der antarktischen Halbinsel, und eine Schutzzone, die dort für Krill hätte eingerichtet werden sollen, fand nicht die notwendige Einstimmigkeit. Auch hier hatten China und Russland ihre Zustimmung verweigert, da sie zu grosse Einschränkungen für ihre Krillfischerei sahen. Dies ist umso bemerkenswerter, da Russland seit 2010 zwar immer davon redet, seine Krillfangaktivität wieder aufzunehmen, doch eigentlich vor allem Norwegen und China das Gros des Krillfanges in der Region ausmachen. Und Norwegen hatte den Vorschlag unterstützt, genauso wie andere Staaten, die in der Region Fischerei betreiben. Die CCAMLR schreibt dazu, dass man einen Arbeitsplan basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Daten, Fangquotenvorschlägen und Schutz- und Managementmassnahmen diskutiert habe und die Arbeit weitergehe. In der Zwischenzeit werde man die Limiten für den Krillfang in der Region um ein Jahr verlängern, heisst es auf der Webseite der CCAMLR.

Jedes Mitgliedsland führt während zwei Jahren den Vorsitz der CCAMLR und nachdem es jetzt Schweden war, wird als nächstes der ukrainische Vertreter in Chile, Vitalii Tsymbaliuk, die Leitung der Kommission übernehmen. Bild: Ukrainian Mission Chile

Die Tatsache, dass auch in diesem Jahr wieder keine Einigung bei den Kernaufgaben der CCAMLR gefunden werden konnte, hinterliess bei einigen Vertretern ein grosses Mass an Frustration. Besonders die US-Vertreterin Monica Medina fand bei ihrer Ansprache deutliche Worte an die Adresse der blockierenden Staaten: «Länder, die ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt haben, haben unsere Fähigkeit geschwächt, die gemeinsamen Erhaltungsziele zu erreichen, auf denen dieses Gremium gegründet wurde.» Auch NGOs wie die Antarctic and Southern Ocean Coalition ASOC, die als Beobachter an den Treffen teilnehmen und für die Schutzgebiete lobbyieren, zeigten sich enttäuscht. Darum wurde auch ein Vorschlag an die Kommission eingereicht, man solle Alternativen zum gegenwärtigen Konsensprinzip bei der Entscheidung ausloten. «Der Konsensmechanismus funktioniert nur, wenn die Verhandlungen in gutem Glauben und mit dem Ziel geführt werden, eine Einigung durch einen Kompromiss zu erzielen», heisst es in dem Vorschlag.

Überhaupt war die gegenwärtige geopolitische Situation am diesjährigen Treffen spürbar. Australische Medien meldeten, dass bei der Ansprache des russischen Kommissionsmitgliedes mehr als 20 Vertreter anderer Nationen aus Protest den Saal verlassen hatten. Und in einem Kommuniqué verurteilte das US-Innenministerium Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine neben seiner Blockadehaltung in Sachen Schutzgebiete aufs Schäfste. Wie sich die Tatsache, dass der Vorsitz der Kommission als nächstes an die Ukraine gehen wird, auswirken wird, auf die Entscheidungen, bleibt noch offen. Aber es scheint, als ob die geopolitische Situation und zunehmende wirtschaftliche Überlegungen einen Kompromissentscheid in einem Gremium, welches auf Konsens basiert, genauso wenig dulden, wie die bisherigen Versuche, Antarktika besser unter Schutz zu stellen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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