Seeleoparden sind in der Antarktis ganz oben. Das bezieht sich aber nicht nur auf ihre bevorzugten Liegeplätze auf Eisschollen, sondern auch auf ihre Stellung in der Hierarchie. Denn sie besitzen neben den Orcas die breiteste Palette an Nahrungsquellen. Doch vieles in ihrer Lebensweise war immer noch geheimnisvoll und unbekannt. Eine Studie von US-amerikanischen und chilenischen Forscherinnen und Forschern hat nur einige erstaunliche neue Fakten ans Licht gebracht.
Weibliche Seeleoparden sind bis zu 50 Prozent grösser und schwerer als ihre männlichen Artgenossen und wiegen im Durchschnitt rund 454 Kilogramm bei einer Länge von rund 3 Metern. Damit zeigen sie den grössten geschlechtsspezifischen Unterschied bei Arten, bei denen das Weibchen grösser ist als die Männchen. Ausserdem verbringen sie viel mehr Zeit ausserhalb des Wassers auf Eisschollen als die Männchen, was vor allem aufgrund der Pflege des Nachwuchses geschuldet ist. Bis zu zehn Tagen und mehr am Stück können die Tiere auf dem Eis verbringen, ohne Nahrung aufzunehmen. Das sind nur zwei der Ergebnisse, die von Dr. Sarah Kienle, Assistenzprofessorin an der Baylor Universität in Texas und einem Team von US-amerikanischen und chilenischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Rahmen einer Studie über Seeleoparden gewonnen worden waren. Alle Resultate wurden in der Fachzeitschrift Frontiers in Marine Science im Sommer veröffentlicht.
Der Topräuber in der Antarktis ist immer noch ein weisser Fleck auf der Forschungskarte in vielerlei Hinsicht. Denn die Tiere über eine längere Zeit beobachten zu wollen, ist aufwändig und aufgrund seines Lebensraumes schwierig. Doch Kienle und das Team nutzten neue Satelliten-gestützte Markierungsmöglichkeiten, um im Bereich der Westseite der antarktischen Halbinsel mehr über die Lebensweise von Seeleoparden zu erfahren. Die Sender lieferten nicht nur Daten über die Aufenthaltsorte, sondern speicherten auch Informationen über das Schwimm- und Tauchverhalten der Tiere. «Diese Studie verbessert unser Verständnis der Lebensweise, der räumlichen Muster und des Tauchverhaltens der Seeleoparden erheblich», erklärt Sarah Kienle. Dies besonders im Angesicht der Veränderungen, denen besonders die Westseite der antarktischen Halbinsel unterworfen sind. Solchen Veränderungen können Tiere, die eine höhe Anpassungsfähigkeit und Plastizität aufweisen, besser entgegensehen, als hochspezialisierte Arten. Besonders, wenn es um Nahrung geht
Nicht nur Pinguine oder Robben, sondern auch Fische und vor allem Krill stehen bei Seeleoparden ganz oben auf der Nahrungsliste. Diese Plastizität hilft den Tieren, ihren Energiebedarf jederzeit decken zu können. Besonders Weibchen, die sich alleine um die Aufzucht der Jungen kümmern, benötigen mehr Energie. Deswegen zeigt sich auch der beobachtete Grössenunterschied zwischen den Geschlechtern. Aber Kienle und das Team entdeckten, dass Seeleoparden auch sehr anpassungsfähig sind, wenn es um das Tauchen geht. Die meisten Tiere tauchten während der Studienzeit nur kurz und nicht sehr tief. Doch einige Tiere wechselten auf tiefe und längere Tauchgänge. Dabei notierten die Forschenden sogar einen neuen Rekord, als ein Tier 1’256 Meter tief tauchte und rund 25 Minuten unter Wasser blieb. «Es ist interessant, solche Unterschiede in den Bewegungen und im Tauchverhalten bei einer relativ kleinen Anzahl von Tieren zu sehen und für mich bedeutet das, dass Seeleoparden in ihren Bewegungsmustern sehr flexibel sind, und das ist eine wirklich gute Sache, wenn es darum geht, sich an Veränderungen in der Umgebung anzupassen, meint Kienle weiter.
Auch wenn es um die Schwimmdistanzen geht, zeigen Seeleoparden eine grosse Bandbreite an Verhalten. Zwischen 46 und 1’669 Kilometer (von der Halbinsel bis nach Südgeorgien) legten die Tiere teilweise zurück. Vor allem die fast 1’700 Kilometer, die ein Tier zurückgelegt hatte, erstaunen die Forschenden aber nicht. Denn Seeleoparden haben in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen gemacht, als sie an den ungewöhnlichsten Orten aufgetaucht sind. Ein Tier schaffte es beispielsweise von Antarktikal bis zu den chilenischen Osterinseln, die über 5’000 Kilometer entfernt im Pazifik liegen. Auch Tasmanien und Neuseeland erhalten immer wieder Besuch von Seeleoparden. Warum die Tiere derart weit abseits ihres normalen Lebensraumes auftauchen, ist aber nicht geklärt. Doch die Tatsache, dass sie solch weiten Strecken zurücklegen können, gepaart mit den Ergebnissen der Studie zeigt für Kienle und ihre Kolleginnen und Kollegen, dass Seeleoparden durchaus eine Chance haben, den Herausforderungen durch eine sich ändernde Antarktis erfolgreich entgegentreten zu können.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal