Das Augenmerk ist zurzeit auf den Weltklimagipfel im ägyptischen Badeort Sharm-el-Sheik gerichtet. Dort sollen Beschlüsse gefasst werden, die den Auswirkungen des stetig wärmer werdenden Klimas Einhalt gebieten sollen. Dazu zählt auch der Anstieg des Meeresspiegels, der zwar wenig, aber unaufhaltsam steigt. Massgeblich mit dazu beitragen wird einer der grössten Eisströme Grönlands, wie eine internationale Studie zeigt. Denn er schmilzt schneller ab als bisher gedacht.
Extensiveres Ausdünnen im hintersten Bereich des Nordostgrönländischen Eisstroms entlässt vorne viel schneller und mehr Eis in die angrenzende Grönlandsee, was wiederum einen sechsmal stärkeren Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 verursachen wird. Das ist das Ergebnis der Studie von Sfaqat Khan, Professor an der Technischen Universität Kopenhagen und einem internationalen Team von Expertinnen und Experten aus den USA, Frankreich, Dänemark und Deutschland. Dabei stützten sich die Forschenden auf einen neuen Ansatz von Satelliten- und Flugzeuggestützten Fernerkundungsmethoden und auf hochsensible GPS-Sender, die viel weiter auf dem Inlandeis eingesetzt wurden als bisher. So konnten sie sowohl Höhenunterschiede wie auch Fliessgeschwindigkeiten des Eisschildes messen und Berechnung zum Massenverlust erstellen. Die Arbeit wurde in dieser Woche in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Das Gebiet des Nordostgrönländischen Eisstromes ist schon seit langer Zeit unter grösserer Beobachtung. Denn hier brach 2012 die schwimmende Gletscherzunge ab, die das dahinterliegende System von Gletschern des grönländischen Eisschildes gebremst hatte. Immerhin fliessen rund 12 Prozent des gesamten grönländischen Eisschildes in dieser Region zusammen und jetzt eben auch ins Meer. Bis zu 100 Kilometer pro Jahr fliessen nach den neuesten Daten von Khan und seinen Kolleginnen und Kollegen nach Analyse von Satelliten-gestützten GPS-Daten ins Meer. Das Novum der Studie war dabei, dass man viel weiter im Inland Daten sammeln konnte als bisher. Diese zeigten, dass sich dort der Eisschild wie auch vorne ausdünnt (an Höhe abnimmt) und dort das Eis auch viel schneller floss als bisher gedacht. «Unsere Messungen zeigen, dass sich die starken Höhenänderungen, die wir an der Gletscherfront beobachten sich weit bis ins Landesinnere des Eischildes auswirken», erklärt Khan. «Wir konnten sehen, dass die Eisdicke im gesamten Gebiet geringer wird und sich gleichzeitig der Eisstrom beschleunigt.»
Mit den Daten, die das Team von den GPS-Sendern und den Satellitenaufnahmen erhalten hatten, prognostizierten sie eine Korrektur des Anteils am Anstieg des Meeresspiegels. Zwischen 13.5 und 15.5 Millimeter sagen sie bis zum Jahr 2100 voraus, rund fünf bis sechsmal mehr als in den bisherigen Studien vorhergesagt worden ist. Diese kamen lediglich auf 1.5 bis 3.5 Millimeter. Und je wärmer es wird, desto schneller fliessen die Gletscher, dünnen hinten weiter aus, ziehen sich vorne weiter zurück und entlassen dabei immer mehr Eis in Form von Eisbergen, deren Abschmelzen das Meer weiter ansteigen lassen. «Unter den gegenwärtigen klimatischen Bedingungen ist es schwer vorstellbar, wie dieser Rückzug gestoppt werden könnte», sagt Sfaqat Khan. Für die Teilnehmer am Weltklimagipfel, wo auch darüber debattiert wird, wie man die Auswirkungen des Meeresspiegelanstieges für die Entwicklungsländer und deren Bewohner abfedern kann, dürften die Resultate der Studie keine gute Nachricht sein. Und für die Bewohner von Sharm-el-Sheik noch viel weniger.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Beitragsbild: Zachariae Eisstrom, Nicolaj Krog Larsen
Link zur Studie: Khan, S.A. (2022) Nature: Extensive inland thinning and speed-up of Northeast Greenland Ice Stream; doi.org/10.1038/s41586-022-05301-z