Russische Expedition bei Svalbard sorgt für Wirbel | Polarjournal
Norwegens Verwaltung auf Svalbard wird seit 1920 formell durch den Svalbardvertrag bestätigt und erklärt, dass norwegisches Gesetz auf dem Archipel gilt. Der Vertrag erlaubt es aber allen Staaten, die ihn ratifiziert haben, nicht-militärische Aktivitäten, darunter auch Expeditionen, durchzuführen. Bild: Michael Wenger

Der russische Angriff auf die Ukraine zieht seine Auswirkungen bis in die Arktis hinein und hat Russland in vielen Bereichen dort isoliert. Die Situation ist für Norwegen besonders delikat, denn das nordische Land teilt einen Teil seiner Grenze mit Russland und zahlreiche bilaterale Abkommen. Dazu zählt auch Svalbard, wo Norwegen zwar die Verwaltung hält, aber trotzdem an den Svalbardvertrag gebunden ist, auf den Russland bei seinen Aktivitäten immer wieder pocht und Entscheidungen aus Oslo in Frage stellt. Für neuen Diskussionsstoff sorgt eine geplante russische Expedition im Archipel.

Ein Expeditionsschiff soll Wasser- und Bodenproben sammeln und Untersuchungen im Norden, Süden und Westen von Svalbard unternehmen, das sind die von Russland offiziell vorgestellten Aktivitäten, die im Rahmen einer Expedition von Mitte Dezember 2022 bis Mitte Januar 2023 durchgeführt werden sollen und entsprechend bei den norwegischen Behörden so eingereicht wurden. Diese müssen nun entscheiden, ob diese Expedition genehmigt werden soll und da liegt die Problematik. Denn das norwegische Komitee für Aussenpolitik und Verteidigung warnt davor, dass diese Expedition ein Sicherheitsrisiko darstellt und fordert, dass die Expedition keine Genehmigung erhält. Doch da steht auch noch der Svalbardvertrag im Raum, der Russland einen freien Zugang für Forschung im und um den Archipel eigentlich erlaubt.

Im Zentrum der russischen Expeditionspläne steht das Forschungsschiff «Dalnie Zelentsy» vom Institut für Meeresbiologie in Murmansk. Das 1972 gebaute Schiff und 55 Meter lange Schiff soll die Plattform für die Probennahmen in den Gewässern rund um Svalbard sein. Davor warnt aber die norwegische Sicherheitskomitee. Bild: Aleksandr Shmatkov via Marine Traffic

Im Zentrum der Diskussion steht die Nutzung des russischen Forschungsschiffes Dalnie Zelentsy, einem 1972 gebauten und dem Institut für Meeresbiologie in Murmansk unterstellten Schiffes. «In einer überarbeiteten Militärdoktrine erlaubt Russland die Nutzung von zivilen Schiffen für militärische Zwecke», schreibt die Vorsitzende des norwegischen Komitees für Aussenpolitik und Sicherheit, Ine Eriksen Søreide, in einer Mitteilung an den norwegischen Sender NRK. «Das ist ein Anliegen, das wir ernst nehmen müssen und von dem ich erwarte, dass es von der Regierung sorgfältig geprüft wird.» Weiter warnt die ehemalige Aussenministerin von Norwegen, dass eine positive Entscheidung ein grosses Sicherheitsrisiko für Norwegen darstellen würde. Indirekt verweist sie dabei auf die zahlreichen Zwischenfälle in jüngster Zeit, bei denen verschiedene unterseeische Infrastrukturen teilweise stark beschädigt wurden und für die von verschiedenen Seiten Russland verantwortlich gemacht wird. «Wir können es uns nicht erlauben, naiv zu sein», schreibt Søreide weiter.

Ine Eriksen Søreide ist seit 2021 die Vorsitzende des aussen- und sicherheitspolitischen Ausschusses des norwegischen Parlaments. Davor war sie Verteidigungs- und später Aussenministerin. Sie warnt davor, dass Russland seine Expedition für militärische und/oder nachrichtendienstliche Zwecke missbrauchen könnte. Bild: Kuhlmann MSC via Wikicommons

Die russischen Pläne, die von der russischen Botschaft den norwegischen Behörden zur Prüfung vorgelegt wurden, sehen Fahrten von Barentsburg aus erst in den Norden und Nordwesten des Archipels vor, danach im Südwesten und Süden bis in jenseits Hopen und Kongkarlsland. Von dort aus soll es dann direkt nach Süden bis Murmansk gehen. Nach Einschätzung von Experten befindet sich Norwegen in dieser Angelegenheit zwar in einer Zwickmühle, da der Svalbardvertrag es Norwegen zwar erlaubt, innerhalb der 12-Meilen Zonen das Recht auf eine Verweigerung von Forschungsfahrten auszuüben. Doch jenseits davon bis zur 200-Seemeilen-Grenze ist der Spielraum für Oslo geringer. In dieser sogenannten EEZ (Exclusive Economic Zone) streiten sich Norwegen und Russland (und mittlerweile auch Norwegen und die EU) um Fischereirechte und Norwegen argumentiert, dass diese Zone eigentlich unter norwegischem Recht steht, während Russland bisher den Svalbardvertrag auch auf diese Zone ausgeweitet sehen wollte. Würde Norwegen dieser Forderung nun zustimmen um das Recht der Verweigerung anzuwenden, müsste Norwegen auch die lukrative Fischerei und die Ressourcenförderung in dem Gebiet dem Svalbardvertrag unterstellen und damit allen Vertragsstaaten öffnen. Steht also Norwegen mit dem Rücken zur Wand?

Nicht unbedingt, sagen Experten. Nach deren Ansicht könnte Norwegen sich auf das Seevölkerrecht (Law of the Sea) beziehen, um die Expedition zu verweigern. Dieses Recht wäre auch in der gegenwärtigen Situation anwendbar und würde es der Regierung erlauben, «Nein» zu sagen. Das würde zwar für Verstimmung sorgen und wahrscheinlich die Spannungen zwischen Oslo und Moskau nicht verbessern und könnte auch einen Präzedenzfall schaffen. Doch am Ende sollten sicherheitspolitische Überlegungen über allem stehen.  Ob die Behörden sich darauf beziehen werden, wird sich zeigen. Gegenwärtig befassen sich mehrere staatliche Institutionen, darunter das Verteidigungsministerium, das Fischereiministerium und auch die Sysselmester auf Svalbard mit dem Antrag. Gemäss einer Pressemitteilung hat das Aussenministerium noch keine Entscheidung gefällt.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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