In der goldenen Ära der Antarktisforschung war es schon beinahe Pflicht, die Erlebnisse, die man während der Expeditionen in diese unbekannte Wildnis gemacht hatte, in Buchform zu veröffentlichen. Meist waren es finanzielle Gründe, warum Shackleton und andere Bücher geschrieben hatten. Doch im Falle eines der bekanntesten Bücher, nämlich Die schlimmste Reise der Welt lagen die Gründe anders. Und genau dieses Buch wird nun in einer neuen, modernen Art erscheinen.
Scotts «Terra Nova»-Expedition, die zwischen 1910 und 1913 stattgefunden hatte und im Tod von Captain Robert Falcon Scott und seinen Gefährten auf dem Rückweg vom Südpol kulminierte, bietet reichlich Stoff für Bücher, Filme, Gemälde und Zeichnungen. Vieles davon wurde bereits auch umgesetzt. Als Basis dafür dienen all die Bücher, die von den Überlebenden der Expedition verfasst worden waren und die Bilder, die besonders von Expeditionsfotograf Herbert Ponting geschossen worden waren. Doch die Zeichnerin und Autorin Sarah Airriess geht bei ihrem Werk einen anderen Weg. Sie wird das Buch von Apsley Cherry-Garrard The Worst Journey in the World (dt. Die schlimmste Reise der Welt) in einer Bilderroman-Reihe veröffentlichen. Der Prolog ist kostenfrei (Spenden erwünscht) herunterladbar und der erste Teil der Reihe soll am 24. November erscheinen. Bereits ist eine deutsche Ausgabe für nächstes Frühjahr geplant.
Sarah Airriess ist keine Historikerin, keine Wissenschaftlerin oder Buchautorin. Die Kanadierin ist Comic-Zeichnerin, die während einigen Jahren bei den Disney Studios erfolgreich gearbeitet hatte und an Projekten wie Winnie the Pooh und dem Oscar-prämierten Animationsfilm Kiss the Frog (dt. Küss den Frosch) beteiligt war. Dies ist auch bei der Umsetzung von Cherry-Garrards Buch ersichtlich. Denn der Stil erinnert zwar an einen Disney-Film. Doch statt singender Tiere und knallbunte Hintergründe fasziniert der Bilderroman durch wunderschöne und Farben und eine enorme Detailverliebtheit in den Bildern. Die Künstlerin spiegelt nicht einfach die Geschichte der Expedition wider, sondern lässt sie richtig lebendig werden.
Dazu hat sie, genauso wie Cherry-Garrard und seine Expeditionsgefährten, ihr altes Leben in Los Angeles hinter sich gelassen und ist nach Cambridge in England gezogen, um sich am Scott Polar Institute extensiv mit der Expedition und den Details zu befassen. Ausserdem unternahm sie eine Reise ins Rossmeer und konnte bei Cape Evans, wo Scott und seine Männer ihre Basis hatten, sehr genau die Lebensumstände aufnehmen. «Ich verstehe viel besser, was die Männer durchgemacht hatten, wenn ich genau in dieser Hütte stehe», erklärt sie in einem Interview. Inspiriert wurde sie durch ein BBC-Hörspiel über das Buch und will mit ihrem Werk einen tiefen Einblick in die Geschichte der Expedition aus der Sicht von Apsley Cherry-Garrard geben und dabei auch die Wissenschaft, die einen grossen Teil der «Terra Nova»-Expedition ausgemacht hatte, genauer aufzeigen. Ausserdem stellt Sarah Airriess auf ihrer Patreon-Seite nicht nur ihr Werk dar, sondern lässt den Besucher tief in die Geschichte der Expedition eintauchen, stellt die Personen, die im Buch dargestellt werden, mit ihren Lebensgeschichten dar, fasst die Expedition historisch zusammen und garniert das alles mit ihren einzigartigen Bildern.
Sarah Airriess’ Bilderroman mit seinen bunten und wunderschönen Bildern steht zwar etwas im Kontrast zum Ton des Buches. Apsley Cherry-Garrard hatte es unter den Eindrücken der Expedition erst später geschrieben, als er bereits an schweren Depressionen und einem posttraumatischen Stresssyndrom gelitten hatte. Diese und einige schwere körperliche Schäden hatte er mit grosser Wahrscheinlichkeit im Laufe der «Terra Nova»-Expedition erlitten. Besonders der Tod der beiden engen Freunde Henry Bowers und Edward Wilson auf dem Rückweg und die Tatsache, dass er sie entdeckt hatte, dürfte ihm stark zugesetzt haben. Seine Schilderungen der Expedition gehören aber nach Meinung vieler Experten zu den besten und auch schonungslosesten aus der Ära des «Heroischen Zeitalters».
Die Bilder der kanadischen Künstlerin scheinen da auf den ersten Blick schon beinahe zu schön, beispielsweise wunderschöne handgezeichnete Pinguine, die im sanften Licht der tiefliegenden Sonnen auf dem Eis stehen. Doch der Detailgrad in den Bildern inklusive der Mimik der Charaktere bei den Tätigkeiten und den Situationen, in denen sie sich befinden, bringt die Charaktereigenschaften der Personen auf den Punkt.
The Worst Journey in the World gilt als Klassiker der Polarliteratur. Und Sarah Airriess’ Bilderroman macht dem Buch und seinem Autor über 100 Jahre nach dessen Erscheinung alle Ehre.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
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Beitragsbild: (C) mit freundlicher Genehmigung durch Sarah Airriess