Einzigartige Form von Diabetes in Grönland entdeckt | Polarjournal
Knapp 7 Prozent der Diabetiker in Grönland weisen eine vererbbare Form von Diabetes auf, die besonders in jungen Jahren auftritt (Symbolbild). Die Behandlung dieser Form ist vergleichsweise einfach, was der Situation in Grönland mit seinen teilweise abgelegenen Orten sehr entgegenkommt. Bild: Michael Wenger

Diabetes ist in den Wirtschaftsnationen eine der am häufigsten diagnostizierten Krankheiten. Etwa 61 Millionen Menschen allein in Europa leiden unter einer der verschiedenen Diabetesformen und sorgen für Gesundheitskosten in der Höhe von knapp 180 Milliarden Euro jährlich. Auch in arktischen Regionen wie Grönland grassiert die Krankheit. Doch eine neue Studie hat gezeigt, dass auf der Insel eine besondere Form der Krankheit viel häufiger vorkommt als im restlichen Europa und die leichter zu behandeln ist.

Eine Mutation in einem Gen, welches bei der besonderen Diabetesform MODY (Maturity-onset diabetes of the Young) eine wesentliche Rolle spielt, ist bei Diabetikern in Grönland einzigartig und sorgt dafür, dass die MODY-Form von Diabetes in Grönland häufiger auftritt als im restlichen Europa. Das ist das Ergebnis einer Studie, die letzte Woche in der Fachzeitschrift The Lancet Regional Health veröffentlicht worden ist. «Wir zeigen, dass fast jeder fünfte Diabetesfall (18 %) in Grönland mit hochwirksamen genetischen Varianten assoziiert ist, verglichen mit 1-3 % in grossen Bevölkerungen,» schreiben die Autorinnen und Autoren in ihrer Arbeit.

Allgemein bekannt sind Diabetes Typ 1 und Typ 2. Weniger bekannt sind die monogenetischen Varianten wie MODY, die durch Mutationen in einem einzigen Gen, das mit Diabetes in Verbindung steht, auftreten. Für die Behandlung der grönländischen MODY-Form sind gemäss Experten keine Behandlungen wie Insulininjektionen (Symbolbild) notwendig und damit leichter. Bild: Wikicommons

Die genetische Variation allein macht nach Angaben des Forschungsteams rund sieben Prozent aller knapp 1’500 bekannten Diabeteskranken in Grönland aus. Die Tatsache, dass diese genetische Veränderung nur in Grönland auftritt, macht die Studienergebnisse umso wertvoller. «Entdeckungen wie diese, die dank einer grosszügigen Zusammenarbeit mit der grönländischen Bevölkerung möglich wurden, helfen uns, die Komplexität von Diabetes besser zu verstehen,» erklärt Professor Torben Hansen vom Novo Nordisk Foundation Center (NNFC) für Stoffwechselforschung der Universität Kopenhagen und Co-Leiter der Studie. Mit den Ergebnissen der Studie können Forschende nun mehr über die besondere, aber weniger bekannte Form von Diabetes herausfinden. Denn MODY wird häufig mit den häufigeren Formen von Diabetes, nämlich Typ 1 und Typ 2 verwechselt und entsprechend wenig wirksam behandelt. Statt Insulininjektionen wie bei der Behandlung von Typ 1-Diabetes oder die komplette Umstellung der Lebensweise zur Behandlung von Typ 2-Diabetes, reicht bei MODY eine auf Tabletten basierende Behandlung.

Gemäss Experten in Grönland wird der Anteil an Diabetesfällen in den nächsten Jahren ansteigen. Gegenwärtig liegt die Prävalenz bei rund 3.3 Prozent der Bevölkerung, was im Vergleich zu Deutschland (10%) oder der Schweiz (6%) zwar immer noch niedrig ist, aber durch Sport und Bewegung weiter gesenkt werden könnte. Bild: Michael Wenger

Das sind gute Nachrichten, erklärt Marit Eika Jørgensen von Steno Diabetes Center SDC in Grönland. «MODY kann mit einer einfachen und kostengünstigen Tablettenbehandlung behandelt werden, so dass Insulin und andere komplexere Formen der Diabetesbehandlung vermieden werden können.» Da diese Form von MODY vererbbar ist, können nun auch Familienmitglieder auf diese Form von Diabetes getestet werden und so auch frühzeitig erkannt werden. «Wir bieten jetzt allen unseren Patienten mit Diabetes einen Gentest auf MODY an, und wenn wir Menschen mit HNF1A-MODY finden, bieten wir systematisch an, dass auch die Familienmitglieder getestet werden,» erklärt Jørgensen weiter. Dadurch können auch individuelle Behandlungen besser und genauer durchgeführt werden, was sich auch auf die Kosten niederschlagen wird. Gemäss dem SDC wird sich nämlich die Anzahl an Diabeteserkrankungen bis 2030 in Grönland fast verdoppeln, bei einer Stagnierung der Gesamtbevölkerungszahl. Damit würde der prozentuelle Anteil von Diabetes in der Bevölkerung de facto dieselbe Höhe wie beispielsweise in der Schweiz (ca. 6 Prozent) erreichen. Wenn davon aber ein wesentlicher Anteil auf die grönländische MODY-Form fallen wird, wäre zumindest der Gesundheitskostenanteil niedriger aufgrund der kostengünstigeren Behandlungen. Um es aber erst gar nicht soweit kommen zu lassen, empfehlen die Experten der grönländischen Bevölkerung noch mehr Bewegung und Sport in der Zukunft, genauso wie in anderen Ländern wie zum Beispiel bei uns.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Baun Thuesen A. et al (2022) The Lancet Reg Health Europe Preprint: A novel splice-affecting HNF1A variant with large population impact on diabetes in Greenland; doi.org/10.1016/j.lanepe.2022.100529

BOX: Diabetesformen
Diabetes Typ 1 ist eine Unterfunktion der Bauchspeicheldrüse. Der Körper produziert dadurch zu wenig Insulin, welches für den Zuckerabbau im Blut notwendig ist. Eine Reduktion von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln und die Injektion von Insulin ist die gängige Behandlungsmethode. Durch die Kosten der Insulinproduktion und der Kühlkette, die eingehalten werden muss, ist die Behandlung aufwändig und kostenintensiv. Dieser Typ tritt häufig zuerst im Kindesalter auf und bleibt ein Leben lang.

Diabetes Typ 2 ist eine Unverträglichkeit von Insulin, oft begleitet durch eine reduzierte Bildung von Insulin. Sie ist die häufigste Form von Diabetes, macht rund 90 Prozent aller Fälle aus und betrifft in erster Linie Erwachsene. Sie kann nur durch eine Umstellung der Lebensweise (mehr Bewegung, Diät, Reduktion des Körperfettanteils, Stressreduktion) behandelt werden. Auch das ist mit höheren Kosten verbunden

Schwangerschaftsdiabetes ist eine meist temporär auftretende Form des Diabetes, die durch eine Glukosetoleranzstörung auftritt. Eine Umstellung der Ernährung und regelmässige Bewegung sind die gängigen Therapiemethoden. Normalerweise klingt sie nach dem Ende der Schwangerschaft wieder ab.

MODY-Diabetes ist die häufigste Form der monogenetischen Varianten und sind Mutationen in einzelnen Genen, die mit der Insulinproduktion zusammenhängen. Wenn in jungen Jahren diagnostiziert, wird es häufig mit Typ 1 Diabetes verwechselt, in älteren Jahren mit Typ 2. Insgesamt sind 14 Formen von MODY bekannt. Behandlungsformen sind entsprechend unterschiedlich.

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