In Mitteleuropa freuen sich die meisten Menschen, wenn der Herbst golden wird. Man geniesst noch einmal die wärmenden Sonnenstrahlen und die warmen Temperaturen (auch wenn sie mittlerweile immer weiter ansteigen) vor dem Beginn des Winters. Doch in Grönland läuft es anders und ein goldener Herbst ist hier mittlerweile ein Warnsignal, besonders wenn der Unterschied zur Normalität so hoch ist wie in diesem Jahr.
Das dänische Meteorologische Institut DMI meldete 9.4, 7.2 und 5.5 Grad Celsius über dem 30-jährigen Temperaturdurchschnitt auf dem höchsten Punkt des grönländischen Eisschildes für vergangenen drei Monate. Damit lagen die Temperaturen so hoch wie noch nie zuvor, erklärte das Institut in einer Pressemitteilung. Auch an den meisten anderen Standorten der Messinstrumente meldeten die Experten höhere Temperaturen für die Monate September, Oktober und November. «Es könnte durchaus ein neuer Rekord für die höchsten Durchschnittstemperaturen im Herbst sein, aber die Daten müssen erst eingehend analysiert werden, bevor man daraus Schlüsse ziehen kann», erklärt Caroline Drost Jensen vom DMI.
Im September meldeten sämtliche Messstation Temperaturunterschiede über dem Durchschnitt. Sogar im äussersten Norden, bei Kap Jessup lag die Temperatur fast 2°C darüber. Doch nirgends war der Unterschied zur normalen Temperatur so hoch wie mitten auf dem grönländischen Eisschild, wie die Daten des DMI zeigen. Dies zog sich auch noch in den Oktober und den November hinein. Interessanterweise waren im Oktober der Süden und der nordwestliche Bereich wieder unter die durchschnittliche Temperatur gerutscht, ein Trend der sich im November auch noch im Südwesten zeigte. Die Meteorologen des DMI fanden auch die Ursache für das ungewöhnliche Verhalten der Temperaturen: Im Herbst fehlte ein grosses Hochdruckgebiet über Grönland, das sich normalerweise bildet und zu einer Temperaturinversion führt. Dabei bleibt kalte Luft nahe der Oberfläche durch wärmere Höhenluft, die aus dem Süden nach Grönland treibt, gefangen, womit es unten kälter als oben ist. Doch durch das fehlende Hochdrucksystem zirkulierte warme Luft, verstärkt durch massive Tiefdruckgebiete über Kanada, die warme Luft aus zentralen Atlantik nach Grönland zogen, mehrfach über die Insel und erwärmte die gesamte Region., die nun erst langsam sich den normalen Temperaturen wieder annähert.
Die Temperaturveränderungen über Grönland werden im Allgemeinen als Anzeichen für die stetige Erwärmung des Klimas betrachtet. Doch die Experten des DMI warnen vor zu voreiligen Schlüssen, was die höheren Temperaturen in diesem Herbst anbelangt. «Das Wetter ist dynamisch und schwankt von Jahr zu Jahr – oder von Saison zu Saison», sagt Rasmus Anker Pedersen, Leiter der Abteilung Commonwealth Climate am Nationalen Zentrum für Klimaforschung am DMI. «Man kann also nicht sagen, dass die Hitze auf der Summit Station in diesem Herbst allein auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Aber wenn die Durchschnittstemperatur ansteigt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir mehr Hitzeextreme und Hitzerekorde erleben, beispielsweise wenn Wetterlagen wie in diesem Jahr auftreten.» Ein anderes Extremereignis, das nur gerade ein Jahr zurückliegt, war der ersten jemals gemessene Regen auf dem höchsten Punkt des grönländischen Eisschildes. Dabei hatte es sich nicht nur um einen kleinen Schauer gehandelt, sondern um substantielle Mengen an Regen, die jedoch aufgrund fehlender Messgeräte nicht quantifiziert werden konnten. Auch damals herrschten ungewöhnlich hohe Temperaturen an der Stelle.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Link zur Messstation Summit Station