Wie man aus arktischen Messdaten Kunst bildet | Polarjournal
Egal, ob es sich um Satelliten- und Drohnengestützte Daten von Eisbergen und deren Verlauf oder um Daten über Dicke und Masse von Meereis handelt, Cy Keener und seine Kollegen kreierten daraus nicht nur wissenschaftlich, sondern auch künstlerisch wertvolles Material. Bild: Kevin Allen

Die Polargebiete sind sowohl für Wissenschaftler wie auch für Künstler eine einmalige Spielwiese. Während die einen dort ihre Hypothesen und Theorien mit Felddaten testen, lassen sich die anderen dort zu Kunstwerken inspirieren. Und manchmal verbinden Künstler die Polarforschung mit ihren Werken. Doch meist werden dazu die Forschungsobjekte oder die Personen eingebaut. Einen ganz anderen Ansatz fährt das Projekt «Arctic Ice: A Visual Archive», denn hier werden Daten zu Kunst.

Satelliten- und Drohnengestützte Datenerhebungen der Wanderungen von Eisbergen entlang der grönländischen Westküste und tausende von Messungen über die Dicke und Masse von Meereis mithilfe von neuentwickelten Bojen mit Lichtsensoren, die ins Meereis vor der Nordküste von Alaska gesteckt werden, hören sich nicht wie etwas an, aus dem Kunst entstehen könnte. Vielmehr wären dies wichtige Daten, die Forschenden helfen sollen, unser Verständnis über die Vorgänge in der Arktis und die Auswirkungen des Klimawandels zu vergrössern. Doch Cy Keener, Künstler, Designer und Assistenzprofessor an der Universität Maryland und Justine Holzman, Landschaftsforscherin, Designerin und Doktorandin an der Princeton Universität kreierten daraus Objekte, die Kunst und Wissenschaft auf eine neue Art miteinander verbinden, Forschungsdaten greif- und sichtbar machen. Damit soll nicht nur Wissenschaft für die Allgemeinheit erfahrbarer sein, sondern auch der Klimawandel ein weiteres Gesicht erhalten, voller Schönheit und trotzdem schlimm in seinen Auswirkungen.

Gemeinsam mit dem Klimatologen, Meereisphysiker und Assistenzprofessor Ignatius Rigor von der Universität Washington und dem stellvertretenden Leiter des International Engagement Office der US-Marine, John Woods, entwickelten Cy Keener und Justine Holzman neue Messgeräte für die Datenerhebungen. Dazu gehört die LIMB-Boje (Light and Ice mass Balance), die auf dem Meereis bei Utqiagvik an der Nordküste von Alaska ausgesetzt wurden und mithilfe eines Bandes bestehend aus Licht-, Luftdruck- und Temperatursensoren, die In Kroatien von Lovro Valcic entwickelt worden waren, die Meereisdicke und -dichte messen und via einer von Cy Keener selbst entwickelten Elektronikplatine und einem Satellitenmodem die Daten an die Forscher senden. Diese Bojen wurden dann auf dem Meereis ausgesetzt und bildeten ein Netzwerk von Datenpunkten. «Die Hülle, die die Elektronik der LIMB-Boje schützte, war so exquisit, dass ich es für ein Verbrechen hielt, dieses Instrument in den entlegenen Weiten des Meereises auf Nimmerwiedersehen zurückzulassen», erinnert sich Ignatius Rigor.

Für ein zweites Projekt von Ignatius Rigor, in welchem das Verhalten von Eisbergen im Verlauf der Abschmelzprozesse untersucht werden sollte, taten sich die vier Teammitglieder wieder zusammen. Keener und Holzman entwickelten dabei einen Satelliten-gestützten Tracker, der mit einer Drohne auf Eisbergen abgeworfen wurde und sich mit Spinnen-ähnlichen Beinen im Eis verankerte. So konnte der Weg von Eisbergen an der Westküste von Grönland, in der Diskobucht, verfolgt werden. Dabei wurden die Drohnen von Bord eines dänischen Küstenwachschiffes gestartet und die Tracker auf Eisbergen abgeworfen. Gleichzeitig wurde der Berg genau fotografiert und ein 3D-Modell erstellt, womit auch gleich ein genaueres Bild zur Grösse und Masse des Berges entstand. Der Tracker blieb so lange auf dem Berg, bis dieser durch das Abschmelzen begünstigt, umkippte.

Die Daten, die sowohl von den LIMB-Bojen wie auch von den Trackern auf den Eisbergen und deren Bilder geliefert wurden, landeten nicht einfach auf den Servern und Festplatten von Ignatius Rigor und anderen Forschungsteams. Vielmehr nutzten Cy Keener und Justine Holzman die Daten, um einerseits die Eisberge auf grossen Wandbildern zu portraitieren und deren Schicksal zu zeigen. Dazu wurden die Bilder und Daten zu komplexen Modellen zusammengefügt und die fehlenden Bereiche unter der Wasserlinie von Hand hinzugefügt. «Die Handzeichnung ist absichtlich vage und soll auf die notwendigerweise ungefähren und phantasievollen Bemühungen hinweisen, die erforderlich sind, um die Dynamik dieser sich ständig verändernden Eislandschaften zu durchdenken», erklärt Justine Holzman dazu. Und Cy Keener fügt an: «In dieser Ausstellung verstehen wir die Eisberge als lebendige Dinge, die vor unseren Augen zerfallen und sich ständig verändern. Wir zeigen ihre Vielfalt und Schönheit.»

Die Arbeit von Keener und Holzman nutzt die Wissenschaft, um ihre Kunst zu inspirieren, die wiederum die Wissenschaft inspiriert, wodurch weitere Fragen entstehen und ein Kreislauf entsteht, in dem Technik, Kunst und Wissenschaft zusammenwirken, um unser Wissen zu erweitern.

Dr. Ignatius Rigor, Meeresphysiker Universität Washington

Auch für die rund 27’000 Messdaten des Meereises liessen sich der Künstler und die Designerin etwas Spezielles einfallen: Sie zogen die einzelnen Daten auf rund 180 Zentimeter hohe Acrylscheiben auf, hinterlegt mit verschiedenfarbigem Papier. «Wir haben den Massstab 1:1 zwischen dem Meereis und der Zeichnung beibehalten», sagt Holzman. Dadurch entstanden ganze Reihen von verschiedenen Schichten und Punkten. «Diese Ebenen sollten verdeutlichen, dass jeder Streifen nur ein Datenpunkt in einer viel grösseren Sammlung und Erzählung über den Klimawandel ist.» Daraus entstand eine Reihe von Kunstwerken, die nun in der National Academy of Sciences in der US-Hauptstadt bis Februar 2023 ausgestellt ist und die Öffentlichkeit für Forschung, Kunst und den Klimawandel zu sensibilisieren sucht. Ignatius Rigor meint dazu: «Die Arbeit von Keener und Holzman nutzt die Wissenschaft, um ihre Kunst zu inspirieren, die wiederum die Wissenschaft inspiriert, wodurch weitere Fragen entstehen und ein Kreislauf entsteht, in dem Technik, Kunst und Wissenschaft zusammenwirken, um unser Wissen zu erweitern.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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