«Rote Armee» nicht zu stoppen | Polarjournal
Die Königskrabbe (Paralithodes camtschaticus) wird aufgrund ihrer Größe auch Monsterkrabbe genannt. Bei einer Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren kann sie bis 11 Kilogramm wiegen und eine Beinspannweite von 1.80 Meter erreichen.

Vor über 50 Jahren setzte die damalige Sowjetunion Riesenkrabben in der Barentssee aus, um den dortigen Fischern unter die Arme zu greifen. Eigentlich ist die Kamtschatka-Krabbe im nördlichen Pazifik beheimatet. Doch seit sie in den 1960er-Jahren in der Barents See angesiedelt wurde, breitet sich die Tierart immer weiter aus. Während Fischer in Russland und Norwegen von den Königskrabben profitieren, warnen Umweltschützer vor den dramatischen Folgen. Die riesige Krabbe, die eine Beinspanne von bis zu 180 Zentimetern erreichen kann ist nämlich eine Gefahr für heimische Tierarten.

Das Umsiedlungsprojekt vom Nordpazifik (rot) in die Barentssee (blau) brachte der Fischindustrie neue Impulse. Für das Ökosystem war die Krabben-Umsiedlung eher problematisch. (Grafik: Heiner Kubny)

Der Ursprung der Königskrabben in der Barentssee reicht weit zurück. In den 1930er Jahren wollte der sowjetische Diktator Josef Stalin der Fischerei in der Barentssee zur Hilfe eilen um höhere Umsätze zu erreichen. Andere Vermutungen sprechen von der besseren Versorgung der Delikatesse in Moskau.

Stalin befahl, dass die Königskrabbe in der Barentssee anzusiedeln sei. Im kalten Nordpazifik gedeihe die Krabbe hervorragen, warum sollte das in der Barentssee nicht auch gelingen. Ein anderer Grund war auch die Königskrabbe lebendig nach Moskau zu bringen. Dies gelang wegen der langen Wege aus dem Osten Russlands nicht. Einer Legende nach waren die langen Krabbenbeine Leibspeise einiger Sowjet-Generäle. Sie wollten darum einen frischen Vorrat in der Barentssee haben, die viel näher bei Moskau liegt, als das fernöstliche Herkunftsgebiet.

Stalin starb 1953 und sein Nachfolger Nikita Chruschtschow übernahm die ‘Krabben-Umsiedlung’ seines Vorgängers. Der Plan wurde an den Biologen Jurij Orlow übergeben, der 1961 im staatlichen Auftrag 1,5 Millionen Königskrabbenlarven nördlich von Murmansk in die Barentssee aussetzte. Orlov versenkte bis 1969 zudem noch etwa 10’000 ein- bis dreijährige Krabben. Hinzu kamen noch ca. 2’600 ausgewachsene Exemplare. Angst vor Konsequenzen durch den Eingriff ins Ökosystem und deren Problematik war zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema.

Eier einer weiblichen roten Königskrabbe. Jedes Weibchen legt bei einer Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren ca. 400’000 bis 500’000 Eier. (Foto: Eric Keto)

Expandierende und gefrässige Truppe

Während die Sowjetunion 1991 von der Bildfläche verschwand, eilte die «Rote Armee» von Sieg zu Sieg. Jedes Weibchen produziert in ihrem Leben 400’000 bis 500’000 Eier, wovon einige Tausend Königskrabben hervorgehen können. Ohne natürlichen Feinde und Futterkonkurrenz breiten sich die Krabben rasant aus. Bereits sind sie an der Westküste Norwegens angelangt und bald werden die Krabben auch vor Spitzbergen anzutreffen sein.

Königskrabben dringen bereits in britische Gewässer ein und bringen Bedrohungen für die Vielfalt der übrigen Meeresbewohner und neue Chancen für die Fischindustrie mit sich. (Foto: IntraFish)

Einigen Berichten zufolge wurden bereits Königskrabben erstmals in massiver Zahl auch an der britischen Küste vor Yorkshire gesichtet, schreibt der britische „Daily Star“. Die „Monster-Krabbe“ stellt vor allem für Jakobsmuscheln eine Bedrohung dar. Während Umweltschützer Angst um bedrohte Tierarten haben, freuen sich einige Fischer bereits über einen großen Fang. Der Fischlieferant Shaun Henderson erzählt stolz, dass einer seiner Fischer in einer Woche knapp 250 Kilo der riesigen Krabben vor Bridlington, East Yorkshire, gefangen habe.

Der Krabbenfang ist für die russische Fangflotte in der Beringsee ein lukratives Geschäft. Allein 2021 erzielten die Fänger mit 11’000 Tonnen einen neuen Rekord. Ein Grossteil der Fänge wird in norwegischen Betrieben verarbeitet. (Foto: FiskerForum)

Nachteilig für das Ökosystem

Die transkontinentale Artenverpflanzung erwies sich für die Ökologie der Region als Katastrophe. Die Königskrabben verzehren alles was ihren Weg kreuzt. Überall wo die Krabben auftauchen, leidet die Artenvielfalt. Zum Opfer fallen grosse Mengen Würmer, Schnecken, Seesterne, Fischeier, Muscheln und Seeigel.

Wissenschaftler befürchten in einigen Jahren negative Auswirkungen auf Arten wie Kabeljau, Hering und Seelachs, mit denen Norwegen sogar noch mehr Geld verdient. Das Land hat die Gefahr erkannt und möchte eine Ausbreitung an ihrer zerklüfteten Westküste unterbinden. Gefangene Königskrabben dürfen nicht wieder ins Wasser geworfen werden, auch wenn sie klein und kaum für Tierfutter reichen würden. An der Westküste gilt das Prinzip der Ausrottung. Es ist aber zu befürchten, dass es bereits zu spät ist.

Der Klimawandel wird zum ersten Mal für die Absage der Schneekrabben-Saison in Alaska verantwortlich gemacht. Der Unterschied zwischen einer Schneekrabbe und einer Königskrabbe ist gut erkennbar. Königskrabben haben 3 Beinpaare und 2 große Scheren, eine Schneekrabbe hat 4 Beinpaare und 2 kleinere Scheren. Ausgewachsene Schneekrabben sind kleiner als Königskrabben und wiegen ca. 4 Kilogramm. Foto: Alaska Seafood)

Starker Rückgang in Alaska

Während die Norweger nicht mehr wissen wie sie die Ausbreitung der Königskrabben in den Griff bekommen, haben die Krabbenfischer in der Beringsee ein noch gravierenderes Problem. In den letzten drei Jahren sind die Bestände, vor allem der kleineren Schneekrabben, buchstäblich kollabiert. Allein die Schneekrabben-Population ist um mehr als 80% eingebrochen. Die Königskrabben-Saison, welche im Oktober beginnt, ist auch in diesem Jahr schon wieder behördlich abgesagt worden.

Einige Experten vermuten, dass die Krabben und auch andere Fischarten wegen der höheren Wassertemperaturen zufolge weiter nach Norden gezogen sind. Russische Fischtrawler haben sich bereits in Stellung gebracht und sehen schon heute optimistisch in die Zukunft, wenn es um ihre Fischerei-Industrie geht.

Heiner Kubny, PolarJournal

Mehr zum Thema

Print Friendly, PDF & Email
error: Content is protected !!
Share This