Die Jagd auf Wale hat in der Arktis eine lange Tradition und wird in vielen Regionen immer noch zur Nahrungsversorgung betrieben. Dabei basieren die Fangmengen meist auf einem Quotensystem, welches durch wissenschaftliche Daten und, immer mehr, auch aufgrund von lokalem Wissen der Jäger erstellt wird. In anderen Regionen bestehen aber auch Fangverbote, wie beispielsweise im arktischen Norden der kanadischen Provinz Québec. Hier will nun eine regionale Inuit-Organisation mit wissenschaftlichen Methoden das Fangverbot aufheben lassen.
Die Anguvigaq, die auch als Nunavik Hunting, Fishing and Trapping Organisation HFTA bekannt ist, setzt sich dafür ein, dass ein Fangverbot für Belugawale, welches seit 1986 in Kraft ist, von den Behörden wieder aufgehoben wird. Dafür überwachen sie mit wissenschaftlichen Methoden seit zwei Jahren die Population der weissen Wale in der Bucht von Mucalic im Norden der Region Nunavik, in dem sie ein grosses Camp jeden Sommer als Basislager errichten. «Wir versuchen, dem Ministerium für Fischerei und Ozeane zu beweisen, dass es sich nicht um eine einzige ansässige Belugapopulation handelt und dass sie jährlichen Schwankungen unterliegt», erklärt der Präsident von Anguvigaq, James May gegenüber der Zeitung Nunatsiaq News.
Die Vertreter von Anguvigaq nutzen das Camp als Ausgangspunkt für ihre Zählungen der Belugas, die in der Regel nahe der Küste schwimmen und so gut ersichtlich sind. Ausserdem haben sie die Erlaubnis, jeweils drei Tiere für wissenschaftliche Zwecke zu erlegen. So können die Jäger und Experten die Tiere auf deren Ernährungszustand untersuchen und auch Proben von verschiedenen Geweben entnehmen, um diese auf Verwandtschaftsgrad, Schadstoffe und andere Parameter untersuchen zu lassen. Doch gleichzeitig will die Organisation den traditionellen und in ihren Augen nachhaltigen Walfang wieder an die nächsten Generationen weitergeben. Dazu sind neben den üblichen Jägern, Wissenschaftler und Camphelfern auch Jugendliche und Vertreter von Ältestenräten dabei. Letztere sollen den jungen Teilnehmern traditionelles Wissen, Sprache und kulturelle Aspekte näherbringen. So will Angvigaq traditionelles Wissen und moderne Forschungsmethoden zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Wildtieren an die nächste Generation weitergeben.
Für James May und die Inuit-Organisation, die in den 15 lokalen Gemeinden in Nunavik vertreten ist, basierte die Entscheidung 1986 der damaligen Bundesbehörden nicht auf einer kompletten Analyse der Situation. Das Fangverbot wurde damals zwar in der Absicht erlassen, die Belugapopulation in der Region vor dem Aussterben schützen zu wollen. Doch man habe keine Rücksprache mit der lokalen Bevölkerung gehalten. Denn diese hätte darauf aufmerksam machen können, dass die Zahlen, auf denen die Entscheidung basierte, vor Ort grossen jährlichen Schwankungen unterliegt. Die Daten, die nun in den zwei Jahren gesammelt wurden, scheinen das zu unterstreichen. Doch noch muss eine längere Datenreihe erstellt werden, um die Theorie beweisen zu können. Das zuständige Ministerium hat zwar noch keine Stellung dazu genommen. Doch die Proben, die May und die Helfer gesammelt haben, wurden beim Ministerium zur Analyse eingereicht.
Aber ein Blick zum grönländischen Nachbarn zeigt, dass May und Anguvigaq nicht auf verlorenem Posten stehen. Vor einigen Wochen hatte nämlich die grönländische Regierung beschlossen, für Ostgrönland den Belugafang zu erlauben und eine Quote von 30 Belugawalen freigegeben. Damit hatte sie sich gegen die Empfehlung der Forschung gestellt, die den weissen Wal dort weiterhin unter Schutz hatte stellen wollen und sich dabei auch auf wissenschaftliche Daten berufen hatte. «Ob in diesem oder in anderen Gebieten, das Wissen der Inuit sollte bei der Bewirtschaftung von Wildtieren berücksichtigt werden», sagt James May im Interview mit Nunatsiaq. «Wir versuchen, Inuit und Wissenschaftler aus dem Süden dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten und zu berücksichtigen, dass das Wissen der Inuit eine der wertvollsten Quellen für Wissenschaft und Wissen im Norden ist.»
Dr. Michael Wenger, PolarJournal