Je klarer ein gestecktes Ziel definiert ist, umso effektiver lässt sich auf dessen Erreichung hinarbeiten. Natürlich muss es konkret, nachvollziehbar und realistisch sein, um es erreichen zu können. Nur so sind Unternehmen durch ihre Mitarbeiter erfolgreich. Aber wie ist es mit dem sehr konkreten, nachvollziehbaren und realistischen Ziel, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen? Daran scheint die Menschheit krachend zu scheitern. Momentan bewegen wir uns eher auf eine Erwärmung von 2,7°C zu, die bis zum Jahr 2100 den Verlust von zwei Dritteln der weltweiten Gletscher zur Folge haben würde, so eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Science erschien.
Sollte es so kommen, würde nicht nur der Meeresspiegel um gut elf Zentimeter steigen, sondern auch die Trinkwasserversorgung wäre für einen großen Teil der Weltbevölkerung nicht mehr gesichert. Darüberhinaus erhöht sich das Risiko von Erdrutschen und Überschwemmungen durch schmelzende Gletscher.
Es muss jedoch nicht so weit kommen. Derselben Studie zufolge haben wir durchaus noch die Möglichkeit, etwa die Hälfte der Gletscher zu erhalten, sofern wir es schaffen, die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Das wäre technisch möglich, nach Ansicht vieler Wissenschaftler aber unwahrscheinlich. Insbesondere kleine Gletscher werden in jedem Fall verschwinden.
«Wir werden auf jeden Fall viele Gletscher verlieren», sagt David Rounce, Glaziologe und Professor für Ingenieurwissenschaften an der Carnegie Mellon University in Pennsylvania und Hauptautor der Studie. «Aber wir haben die Möglichkeit, einen Unterschied zu machen, indem wir den Verlust von Gletschern begrenzen.»
Die Studie berücksichtigt alle 215.000 Landgletscher der Erde, die Gletscher auf den Eisschilden in Grönland und der Antarktis ausgenommen. Viel umfassender als in früheren Studien berechnete das internationale Forschungsteam mit Hilfe von Computersimulationen, wie viele Gletscher unter den unterschiedlichen Erwärmungsszenarien verschwinden würden, wie viele Billionen Tonnen Eis schmelzen würden und wie stark der Beitrag zum Meeresspiegelanstieg wäre.
Allein auf die Randgebiete Grönlands, die Kanadische Arktis sowie die Antarktis und Sub-Antarktis entfallen 60 bis 65 Prozent des gesamten Beitrags der Gletscher zum Meeresspiegelanstieg bei einer Erwärmung von +2°C. Der Eismassenverlust in diesen Regionen mit großen Gletschern wird auch über das Ende des Jahrhunderts weiter anhalten. Insbesondere für die großen Gletscher gilt ein linearer Zusammenhang zwischen Temperaturanstieg und Massenverlust. Das heiß, dass jedes Zehntel Grad Celsius den Eisverlust wesentlich beeinflusst. In anderen Regionen mit kleineren Gletschern wie in der Russischen Arktis, Svalbard und Island ist dieser Zusammenhang dagegen schwächer wegen der stärker schwankenden Temperaturen und Niederschläge.
Zum Ende des Jahrhunderts wird die verbleibende Eismasse abgesehen von Gletschern im Karakorum und Kunlun-Gebirge hauptsächlich in Südost-Alaska, in der nördlichen Kanadischen Arktis, den Randgebieten Grönlands, in Svalbard, in der Russischen Arktis und in der Antarktis und Subantarktis zu finden sein, wobei ein großer Teil dieser Gletscher in den Ozean mündet.
In den neuesten Berechnungen bezog das Autorenteam den Eisverlust an den Fronten dieser Gezeitengletscher im Gegensatz zu früheren Studien explizit mit ein und sagt, dass dessen Berücksichtigung über das nächste Jahrhundert entscheidend sein wird. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich bis 2100 der Eismassenverlust an den Gletscherfronten für das +2°C-Szenario verringern wird. Als Gründe dafür geben sie deren Ausdünnung, den Rückzug auf das Festland und den dadurch verringerten Eisfluss in den Ozean an.
In der Antarktis und Sub-Antarktis, der Russischen Arktis und Svalbard wird der relative Beitrag durch Schmelzen an der Gletscherfront am höchsten sein.
In einem kurzen Artikel zur Studie schreiben Gudfinna Adalgeirsdóttir and Timothy D. James abschließend, dass „jede Anstrengung zur Begrenzung des globalen mittleren Temperaturanstiegs eine direkte Auswirkung auf die Anzahl der Gletscher haben wird, die verloren gehen werden», auch wenn es bereits zu spät ist, den Verlust vieler Gletscher zu verhindern.
Julia Hager, PolarJournal