«Food Falls» im Weddellmeer — Das große Fressen am Meeresboden | Polarjournal
Das Forschungsteam entdeckte auf seinen Aufnahmen u.a. die Überreste eines Bartenwals, der bereits mehrere Monate am Meeresboden gelegen haben muss. Die Wirbel und Knochen hingen nicht mehr zusammen und es war kein Gewebe mehr übrig. Foto: Stauffer et al. 2022

In der Tiefsee ist es stockfinster, kalt und Nahrung ist Mangelware. Und dennoch gibt es am Meeresboden in mehreren Tausend Metern Tiefe erstaunliche Lebensgemeinschaften. Im Weddellmeer bestehen sie beispielsweise aus Aalmuttern, Seesternen, Seeigeln und Flohkrebsen. Sie alle warten darauf, dass ein verendeter Wal, Pinguin oder Fisch in die Tiefe sinkt, über den sie herfallen können. Ein vom GEOMAR geleitetes Forschungsteam hat jetzt erstmals die Aasfresser-Gemeinschaft im nordwestlichen Weddellmeer anhand von mehr als 8.000 Unterwasseraufnahmen dokumentiert.

Ein regelmäßiger Strom von Nährstoffen gelangt nur durch sogenannten «Meeresschnee» in die Tiefsee, der aus Ausscheidungen und Überresten mariner Tiere und Pflanzen besteht. Ein regelrechter Partikelregen versorgt so zahlreiche Filtrierer, Larven und andere Meereslebewesen in der gesamten Wassersäule bis zum Meeresboden. Doch die vergleichsweise großen Aalmuttern oder Stachelhäuter (Seeigel und Seesterne) benötigen gehaltvollere Nahrung als Meeresschnee. Und die kommt in Form von Kadavern von der Meeresoberfläche und darunter liegenden Wasserschichten, allerdings ebenso unregelmäßig wie räumlich verstreut. Daher haben die Aasfresser die Fähigkeit, längere Zeit ohne Nahrung auszukommen. Und wenn dann plötzlich Nahrung auf den Meeresboden fällt, leitet sie ihr ausgeprägter Geruchssinn zur Mahlzeit. 

Für Forschende ist es nicht leicht die «Food Falls», die fallende Nahrung, und die davon profitierenden Organismen zu erforschen, weil sie überall und nirgends sein können. Man muss mit der entsprechenden Ausrüstung schon zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort  sein. Während die sogenannten «Whale Falls» auf der Nordhalbkugel recht gut erforscht sind, ist über die Food Falls auf der südlichen Hemisphäre noch wenig bekannt.

Die OFOBS-Aufnahmen (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) wurden auf fünf Transekten im Powell-Becken des nordwestlichen Weddellmeers gemacht. Karte: Stauffer et al. 2022

Daher hat sich das Forschungsteam gezielt auf die Suche gemacht nach Kadavern in der Tiefsee im nordwestlichen Weddellmeer. Während einer Expedition mit dem deutschen Forschungseisbrecher Polarstern im Jahr 2019 machten die Wissenschaftler mit dem Kamerasystem OFOBS (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) 8.476 Aufnahmen vom Meeresboden in Tiefen zwischen 400 und 2.200 Meter. 

Die Bilder enthüllten Kadaver von einem Bartenwal, einem Pinguin und vier Fischen, über die sich verschiedene Aasfresser hermachten. Noch nie zuvor wurden solche Aufnahmen von verendeten Pinguinen und Fischen gemacht. Der Walkadaver, von dem nur noch einzelne Knochen und keine Gewebeteile mehr übrig waren, lag den Forschern zufolge mindestens fünf Monate, möglicherweise sehr viel länger am Meeresboden. Der Pinguin, der einem Seeleoparden zum Opfer gefallen sein könnte, und einer der Fische waren weitgehend skelettiert. Seeigel, Schlangensterne und Seesterne nagten die letzten Reste von den Knochen des Pinguins und auf und rund um den Fisch, vermutlich ein Eisfisch, hatten sich mindestens elf Aalmuttern versammelt.

Die Forscher entdeckten fünf verschiedene mittelgroße Food Falls: A: Ein Fisch, an dem sich mehrere Aalmuttern versammelten. B: Die Überreste eines Pinguins, zusammen mit Seeigeln, Seesternen, Schlangensternen und Aalmuttern. C – E: Frische Fischkadaver, die vermutlich von Fischereischiffen zurück ins Meer geworfen wurden. Fotos: Stauffer et al. 2022

Die anderen drei Fische, die noch recht frisch waren, sind vermutlich Grenadierfische. Die Autoren vermuten, dass sie als Beifang bei der Fischerei im Netz landeten und zurück ins Meer geworfen wurden. An einem der frischen Fischkadaver, entdeckten die Forscher Flohkrebse. 

Anders als verendete Wale werden kleinere Kadaver innerhalb von Stunden bis Wochen von den Aasfressern verwertet. Angelockt vom intensiven Geruch kommen oft auch Raubfische hinzu, die es wiederum auf die Aasfresser abgesehen haben.

Ebenso wie der Meeresschnee sind die Food Falls eine wichtige Komponente der biologischen Kohlenstoffpumpe: Viele verschiedene biologische Prozesse sorgen dafür, dass Kohlenstoff aus der Atmosphäre und von Land in die Tiefsee befördert wird. Dort wird es remineralisiert und wieder als Nährstoff für pflanzliche Organismen verfügbar gemacht oder für Millionen von Jahren in Sedimenten gespeichert.

Die Fischereiaktivität, so die Autoren, greift auf zwei Weisen in die biologische Pumpe ein. Einerseits werden große Mengen an Fischen entnommen, die nicht auf natürliche Weise sterben und als Food Fall zur biologischen Pumpe beitragen. Andererseits trägt die Fischerei punktuell übermäßig dazu bei, indem viel Beifang zurückgeworfen wird.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Julian B. Stauffer et al. Food falls in the deep northwestern Weddell Sea. Front. Mar. Sci., 2022. Sec. Deep-Sea Environments and Ecology; https://doi.org/10.3389/fmars.2022.1055318

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