Plastik ist Segen und Fluch zugleich. Ohne den vielseitigen Werkstoff würden zahlreiche Gegenstände des Alltags gar nicht existieren. Doch der aus Rohöl hergestellte Stoff ist nicht nur aus unserem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken, sondern auch aus unserer Umwelt. Mittlerweile gibt es keinen Bereich auf diesem Planeten, der nicht von Plastikteilen strotzt. Auch die Küsten Svalbards gehören dazu. Und ein Citizen Science-Projekt hat nun gezeigt, woher dieser Müll stammt.
In einer globalisierten Welt muss man auch global denken. Das gilt sicherlich für den Müll an den Stränden Svalbards, den ein Citizen Science Projekt, das von der Polarabenteuerin und Buchautorin Birgit Lutz initiiert und mit dem AWI durchgeführt worden ist, untersucht hatte. Aus Brasilien, den USA, China, Korea und der Türkei sind Teile an den hocharktischen Archipel angeschwemmt und von Freiwilligen aufgesammelt worden und von Anna Natalie Meyer und Dr. Melanie Bergmann von der deutschen Forschungseinrichtung genauer untersucht worden. Rund 80 Prozent der 1.6 Tonnen Müll, die zwischen 2016 und 2021 gesammelt worden waren, wurden als Plastikmüll identifiziert. Und wer jetzt denkt: Klar, einige oben genannten Länder haben nicht ein ausgeprägtes Recyclingsystem, sollte jetzt aufmerksam weiterlesen: Norwegen, Dänemark, Schweden, Grossbritannien, Spanien, Russland, Italien, Deutschland: kaum ein europäisches Land, das nicht auch mit dabei ist auf der Liste der Ursprungsländer des Plastikmülls. Insgesamt 27 Länder, 18 davon aus Europa, konnten Anna Natalie Meyer und Dr. Melanie Bergmann vom AWI identifizieren, deren Müll an den Stränden und im Wasser um Svalbard treiben.
Die Auswertung des von Birgit Lutz und den freiwilligen Arktistouristen gesammelten Mülls ergab, dass der wesentlichste Teil Fischereimaterialien wie Netze, Treibbojen, Isoliermaterial und anderes auf Fischereischiffen verwendetes Material war. Dabei zeigte sich, dass je nach Sammelort, die an verschiedensten Orten des Archipels lagen, der Anteil an den der Fischerei zugeordneten Materialien unterschiedlich hoch war und von 30 bis fast 100 Prozent reichten. Auch die Dichte pro Quadratmeter war unterschiedlich hoch und lag zwischen 1.3 Teile bis 0 Teile. Was den Materialtyp anbelangte, den die Forscherinnen identifizierten, so lag Plastik unangefochten an der Spitze: «Unsere Auswertung zeigt, dass mit 80 Prozent der weitaus grösste Teil Plastikmüll ist», sagt Studienhauptautorin Anna Natalie Meyer. Aber auch Metalle, Textilien, Glas und verarbeitetes Holz werden in der Liste der Studie aufgeführt.
Was die Identifizierung der Ursprungsländer der Fischereimaterialien anbelangt, wird es schwieriger, als bei anderen Plastikteilen wie Flaschen oder Verpackungsmaterialien. Das Forschungsteam hat vor allem Anrainerstaaten Russland und die skandinavischen Staaten mit Zugang zur Barentssee und der Nordsee auf der Liste, die mit rund 48 Prozent auch den Hauptanteil des gesamten Mülls verursacht haben. Denn beide Meere sind beliebte Fischereiorte und bei der Menge an Schiffen geht auch sehr viel verloren. Was aber den restlichen Müll anbelangt, so differenzieren die Forscherinnen zwischen lokalen und fernen Quellen. Nach ihren Berechnungen stammen allein aus Europa rund 22 Prozent des Plastiks. «Von Schiffen und aus arktischen Siedlungen gelangt lokal Plastikmüll ins Meer. Aus der Ferne wird Plastikmüll und Mikroplastik über zahlreiche Flüsse und über Ozeanströmungen aus dem Atlantik, der Nordsee und dem Nordpazifik in den Arktischen Ozean transportiert», erklärt Anna Natalie Meyer. Deswegen stammt auch ein wesentlicher Beitrag aus Deutschland (rund 8 Prozent) am identifizierten Plastikmüll. «Vor dem Hintergrund, dass Deutschland Europameister sowohl in der Plastik-Produktion als auch in Müllexporten ist, erscheint dieser verhältnismässig hohe Beitrag weniger verwunderlich“, sagt Melanie Bergmann.
Für Birgit Lutz, die schon seit Jahren regelmässig auf Svalbard unterwegs ist, war die Initiierung des Citizen Science-Projektes gemeinsam mit dem AWI eine Herzensangelegenheit. Dabei geht es der Polarexpertin vor allem darum, dass der Müll nicht nur aufgesammelt wird, sondern dass darüber hinaus auch noch etwas passiert. «Strandreinigungen alleine sind keine Lösung mehr, das ist eine Sisyphos-Arbeit», sagt sie. Viel wichtiger sei es, dass mit den versammelten Daten nun belegt werden kann, welches Ausmass die Plastikverschmutzung mittlerweile angenommen hat, und dass auch Länder wie Deutschland, die sich selbst für „sauber“ halten, zum Problem beitragen – und gar nicht so knapp. Der Plastikeintrag müsse einfach dringend verringert werden, Recycling sei nicht die Lösung, sondern der Einsatz von Plastik müsse minimiert werden – und dabei auch wieder gegen Lobbyisten gekämpft werden. Ein weiterer guter Effekt der Plastiksammlungen sei, dass die Teilnehmer den Wert der wissenschaftlichen Daten sehen und einen tiefen Eindruck erhalten, was an den Stränden immer wieder angespült wird. «Es macht etwas mit den Menschen, wenn wir am Ende tausende Teile gezählt haben, in relativ kurzer Zeit und auf relativ kleiner Fläche – beinahe am Nordpol. Die Menschen erschrecken nachhaltig, und sie nehmen diese Botschaft auch mit nach Hause.»
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Link zur Projektwebseite von Birgit Lutz
IN EIGENER SACHE
Auch für uns bei PolarJournal ist das Thema „Plastikverschmutzung in den polaren Regionen“ enorm wichtig. Julia Hager, die seit mehr als zehn Jahren an diesem Thema arbeitet, führt mit ihrem zweiten Projekt „mountain2ocean“ Workshops für Schulen durch und hält regelmässig Vorträge über die Plastikverschmutzung und wie man einen Weg aus der Misere nehmen kann. Ausserdem arbeitet sie gemeinsam mit dem Verband der arktischen Expeditionsreisenanbieter AECO an einem Kommunikationsprojekt, wie man Arktistouristen noch mehr an das Thema heranführen kann. Wer mehr dazu wissen möchte, findet viele Informationen auf der Webseite von Julia Hager.