Mercator formte den Blick auf die Welt und die Arktis | Polarjournal
Mercators Karte basiert auf seinen Berechnungen und trägt den Titel Nova und Aucta Orbis Terrae Descriptio ad Usum Navigantium Emendate Accommodata, Mercator. Seine Werke prägen noch heute das Bild der Welt und sind für die Navigation unerlässlich. Bild: Wikimedia

Im 16. Jahrhundert wurden die Karten eines berühmten Kartographen posthum veröffentlicht. Unter seinem umfangreichen Werk befand sich auch eine Karte, die uns einen unglaublichen Einblick in das Wissen über die arktische Polarwelt im Mittelalter gibt.

Wir befinden uns im Jahr 1595. Die Familie des im Jahr zuvor verstorbenen Gerardus Mercator veröffentlicht einen Teil des Werks des Kartografen. Darunter befindet sich Nova und Aucta Orbis Terrae Descriptio ad Usum Navigantium Emendate Accommodata, was mit „Eine neue und vollständigere Darstellung des Erdglobus, die für den Gebrauch in der Navigation geeignet ist“ übersetzt werden kann.

Diese Weltkarte, die auch als Mercator-Projektion bekannt ist, ist uns vertraut, da sie der am weitesten verbreiteten Weltkarte entspricht. Obwohl sie häufig wegen ihrer Ungenauigkeit in Bezug auf die Proportionen bestimmter Regionen kritisiert wurde – insbesondere wegen der unverhältnismäßigen Größe Grönlands, das mit den Proportionen des afrikanischen Kontinents konkurrieren könnte, obwohl die Insel in Wirklichkeit 14-mal kleiner ist als der Kontinent -, wurde die Mercator-Projektion häufig verwendet, insbesondere in der Marinewelt.

Links: Die Mercator-Projektion, die wohl bekannteste Darstellung unseres Planeten. Rechts: Gerardus Mercator, gemalt von Frans Hogenberg im Jahr 1574. Bilder: Wikipedia.

Die Vorstellung über die Arktis

Die Karte wurde ausschließlich auf der Grundlage von Daten und Vermessungen der Entdecker erstellt und ist für die damalige Zeit bemerkenswert präzise. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum uns diese Darstellung so vertraut vorkommt. Zumindest was die Gebiete angeht, die an das grenzen, was wir heute als Eismeer kennen. Für den Rest, den zentralen Teil, basiert die Darstellung hauptsächlich auf Theorien, die damals als wissenschaftlich galten, eine Mischung aus Hypothesen und Fantasie, um diesen Teil der Welt zu beschreiben, der bis zum 20. Jahrhundert unerforscht blieb. Der Nordpol zum Beispiel wurde erst 1909 von dem amerikanischen Forscher Robert E. Peary erreicht. Und dennoch wurde diese Errungenschaft oft in Frage gestellt und ist sicherlich eher ein Betrug als eine Realität.

Die Karte, die die Sicht auf die Arktis für Jahrhunderte prägte: Die Karte von Mercator und Hondius, die die Arktis auf der Grundlage des damaligen Wissens zentriert. Bild: Wikimedia

Da die Arktis noch weitgehend unerforscht war, nutzte Mercator die Darstellungen der damaligen Zeit, um die Lücken in seiner Karte zu füllen. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, in welchem Maße die Arktis in dieser Beschreibung des Septentrionalium Terrarum, der ersten bekannten Karte der Arktis, bereits vor ihrer Erforschung erahnt wurde.

Der Strudel unter dem schwarzen Berg

In der Mitte stellte Mercator vier Inseln dar, die durch Flüsse in den vier Himmelsrichtungen getrennt sind. In der Mitte ein riesiger schwarzer Berg, die Rupes Nigra oder der schwarze Fels. Ein riesiger Berg aus Magnetit, dessen imposante Anwesenheit am Nordpol erklären sollte, warum die Kompassnadeln nach Norden zeigten. Mercator war jedoch von der Lage dieses magnetischen Felsens nur bedingt überzeugt. Daher fügte er nach der Straße von Anian (nördlich der Beringstraße) einen weiteren magnetischen Berg hinzu, der den wahren Norden darstellen sollte.

Die Rupes Nigra, ein riesiger schwarzer, magnetischer Berg, der die Kompassnadeln nach Norden anziehen soll. Bild: Wikimedia

Auf der Karte lassen die Flüsse, die die Inseln voneinander trennen, das Wasser der Ozeane in der Mitte zusammenlaufen, bevor es in einem großen Strudel verschwindet, der unter dem Berg hindurchfließt und schließlich im Zentrum der Erde aufgesaugt wird, wo es verdunstet und so ein Überlaufen der Ozeane verhindert.

Diese Darstellung der Dinge stammt wahrscheinlich aus den Berichten der wenigen Entdecker, die wie Martin Frobisher in arktischen Gewässern segelten und dabei so starke Unterwasserströmungen erlebten, dass kein Wind ein Segeln gegen die Strömung erlaubte.

An den vier Ecken der Karte befinden sich Einschübe, auf denen Mercator drei Inseln darstellt, die Färöer, die Shetlands und Frisland, eine rein imaginäre Insel, die bereits in den 1560er Jahren auf verschiedenen Karten erschien. Wahrscheinlich in Anlehnung an Island benannt, verschwand sie nach hundert Jahren, als ihre Nichtexistenz von Entdeckern nachgewiesen wurde.

Ein weiteres interessantes Element dieser ersten Karte der Arktis ist die Erwähnung von Völkern, die in diesen Regionen leben würden. Eine der Inseln in der Mitte der Karte, im unteren rechten Teil, enthält in der Tat eine seltsame Erwähnung von Pygmäen, die durchaus eine Erklärung in den ersten Beobachtungen der indigenen Bevölkerung von Lappland finden könnte.

„Pygmei hic habitant & ad summum pedes longi quem admodum illi quos in Gronlandia Screlingers vocant“, was übersetzt werden könnte mit: Hier leben Pygmäen, die höchstens einen Fuß lang sind, wie die Screlingers in Grönland.

Es war aufgefallen, dass die Frauen oft mehrere Tage lang allein blieben, wenn die Männer auf die Jagd gingen. Diese einfache Beobachtung, kombiniert mit einer gehörigen Portion Extrapolation und Fantasie, führte zur Entstehung einer wahren Legende.

Die Leerstelle auf der Karte

Für die Menschen dieser Zeit war die Arktis zunächst einmal eine große Unbekannte. Noch hatte niemand einen Fuß auf den Nordpol gesetzt, und weite Teile des Gebietes waren noch weitgehend unerforscht. Dabei war schon lange bekannt, dass es dort oben, jenseits des Eises, etwas gibt. Etwas, das die Nadeln der Kompasse anzieht und die Phantasie der Menschen anregt.

Auch die Tatsache, dass reine wissenschaftliche Hypothesen als Wahrheiten angenommen werden, ist in Bezug auf die Arktis nicht neu, und die kartografische Darstellung der Arktis beschränkte sich in den folgenden Jahrhunderten nicht notwendigerweise auf eine terra incognita, die auf einem leeren Platz markiert war.

Andere Karten dieser unbekannten Region wurden weiterhin veröffentlicht, wobei dieselbe Mischung aus bewährten kartografischen Daten und mehr oder weniger auf wissenschaftlichen Theorien basierenden Annahmen verwendet wurde, Theorien, die ihrerseits auf Interpretationen und Projektionen beruhen, die wir heute als phantasievoll bezeichnen würden. Manchmal mit tragischem Ausgang, wie im Fall der Jeannette-Expedition.

Die falsche Karte: Das Beispiel der Jeanette

Diese Expedition, deren Ziel es war, den Pol zu erreichen, wurde 1879 gestartet. Unter dem Kommando von George Washington De Long endete die Expedition tragisch, denn von der 28-köpfigen Mannschaft überlebten nur acht Personen. Und dieses tragische Ende hat seinen Ursprung in der Vorbereitung der Expedition, als De Long sich an einen berühmten Kartographen, August Petermann, wandte.

Links: Die Expedition der USS „Jeannette“, die 1879 mit 28 Mann an Bord von San Francisco aus in See stach. Die Expedition wird 1881 tragisch enden. Das Boot sank, vom Eis zerdrückt, und zwang die Männer, das Packeis zu durchqueren, bevor sie im Labyrinth der Lena landeten. Acht Männer werden die Expedition überleben. In der Mitte: George Washington De Long (1844-1881), amerikanischer Offizier, der während der Expedition ums Leben kam. Rechts: August Petermann (1822-1879), berühmter deutscher Kartograph. Bilder: U.S. National Archives and Records Administration / Wikipedia

Petermann ist der Begründer der Petermanns Geographische Mitteilungen, eines angesehenen kartographischen Instituts in Thüringen, Deutschland. Petermanns Karten wurden seinerzeit für ihre Wahrhaftigkeit gelobt und galten als die schönsten, aber auch zuverlässigsten Karten überhaupt. Das Institut arbeitete eng mit Entdeckern und Seefahrern zusammen, die ihre Entdeckungen an die Organisation meldeten.

Für De Longs Expedition stützt sich Petermann auf zwei Theorien, die er für weitgehend gerechtfertigt hält und die De Long und seine Männer faktisch und ohne es zu wissen in die Hölle schicken.

Damals ging man davon aus, dass die Arktis von einem Eisgürtel umgeben war und dass man, wenn man diese Barriere durchqueren könnte, in ein gemäßigtes, eisfreies oder sogar warmes Meer gelangen würde. Die ganze Frage war also, eine Passage zu finden, wo das Eis weniger dick war.

Ebenso glaubte man, dass es zwei warme Strömungen gibt, die durch die Arktis fließen, den Golfstrom (dessen Existenz und Bedeutung erwiesen ist) und den Kuroshio, der durch die Beringstraße zwischen den Vereinigten Staaten und Russland den Pazifik hinaufzieht. Wenn diese Strömung jedoch existiert, wurden ihre Kraft und ihre Fähigkeit, das Packeis zu schmelzen, eher anekdotisch überschätzt.

Neben diesen beiden Theorien glaubte Petermann, dass die im Norden Sibiriens gelegene Wrangelinsel mit Grönland verbunden sei und die beiden Inseln mit dem Nordpol in der Nähe dieses riesigen Landstreifens eine Einheit bildeten.

Petermanns Karte, die die imaginäre Insel zeigt, die er immer wieder zu finden versuchte. Bild: Wikimedia

Petermann war von dieser Idee so überzeugt, dass er eine äußerst detaillierte Karte davon anfertigte. Und genau hier liegt vielleicht das Problem: Petermanns in vielerlei Hinsicht fundierter Ruf und die außerordentliche Präzision seiner Karten gaben ein Wissen vor, das in Wirklichkeit nicht existierte. Vor Ort erkannten De Long und seine Männer schnell die Unrichtigkeit dieser Theorien. Leider zu spät für sie.

Nach dem Unglück der Jeannette und dem mehr oder weniger großen Erfolg anderer Expeditionen begann man zu verstehen, dass der Nordpol nicht auf dem Seeweg, sondern auf dem Landweg mit Schlitten und Hunden erreicht werden würde. Wir begannen auch zu ahnen, dass es dort wahrscheinlich kein gemäßigtes Meer gibt, das geheimnisvolle Inseln voller Schätze umgibt, sondern eine riesige Eisfläche, die Schiffe zerdrückt und verschwinden lässt und die Menschen in einer feindlichen und kalten Umgebung allein lässt.

Der wissenschaftliche Fortschritt und die aus früheren Expeditionen gewonnenen Erkenntnisse werden den nachfolgenden Entdeckern neue Perspektiven eröffnen und es ermöglichen, neue Schifffahrtsrouten zu erschließen, wie z. B. die Durchquerung der mythischen Nordost- und Nordwestpassage, die 1879 bzw. 1906 zum ersten Mal erfolgte und damit unsere geografischen Kenntnisse über diese Orte vervollständigte.

Was bleibt also von den Karten der Vergangenheit, insbesondere von Mercator? Sicherlich eine faszinierende Darstellung der Arktis, ein wahres Kunstwerk, das ebenso durch seine Präzision wie durch seine Ungenauigkeit verblüfft. Vor allem aber ist sie ein Zeugnis der vergangenen Vorstellungen über eine Region, die, wenn man es denn leugnen kann, immer noch eine so große Anziehungskraft ausübt.

Mirjana Binggeli, PolarJournal

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