Unsanftes Paarungsverhalten bei Belugawalen | Polarjournal
Eine Gruppe von 20 männlichen Belugas bedrängt ein einzelnes Weibchen, wobei die Männchen es eng umzingeln und immer wieder mit der Fluke auf die Wasseroberfläche schlagen. Foto mit freundlicher Genehmigung von Kerstin Langenberger

Im Juni vergangenen Jahres beobachteten Expeditionsreisende im Storfjord von Svalbard ein beeindruckendes Schauspiel: Belugawale bei der Paarung. Die verlief jedoch alles andere als harmonisch. Zwanzig männliche Belugas fielen regelrecht über ein einzelnes Weibchen her, das mehrere blutende Wunden davontrug. Die Fotografin Kerstin Langenberger konnte dieses Verhalten bei Belugas vermutlich erstmals mit Fotos und Videos dokumentieren, die sie Forschenden des Norwegian Polar Institute zur  Auswertung zur Verfügung stellte. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Polar Research veröffentlicht.

Mitten in dichtem Packeis im Storfjord zwischen der Hauptinsel Spitzbergen und den beiden Inseln Edgeøya und Barentsøya hielt sich am 4. Juni 2022 eine große Gruppe von Belugawalen (Delphinapterus leucas) auf. Innerhalb der Gruppe konnten viele kleine, noch grau gefärbte Jungtiere beobachtet werden. Nach einer Weile spaltete sich eine kleinere Gruppe von 20 Tieren ab, die begannen, sich äußerst ungestüm und wild zu verhalten. Das Expeditionskreuzfahrtschiff National Geographic Endurance, das sich 100 bis 120 Meter entfernt hielt, beeindruckte die Wale offenbar nicht. 

Weshalb die Beluga-Gruppe plötzlich so aufgebrachtes Verhalten zeigte, wurde wenig später deutlich. Alles drehte sich um ein Weibchen, auf das es die nur aus Männchen bestehende Gruppe abgesehen hatte. Das erkennbar kleinere Weibchen wies bereits mehrere blutende Wunden im Bereich des Kopfes auf, die sehr wahrscheinlich von Bissen der männlichen Tiere stammten.

Mehrfach hoben die Männchen das deutlich kleinere Weibchen über die Wasseroberfläche. Die Wunden am Kopf des Weibchens sind gut zu erkennen. Foto mit freundlicher Genehmigung von Kerstin Langenberger

Dieses bisher nur sehr selten beobachtete Verhalten erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa 45 Minuten. Während dieser Zeit bedrängten die 20 Männchen das Weibchen massiv, hoben es mehrfach mit ihren Körpern über die Wasseroberfläche und verhinderten jeglichen Fluchtversuch des Weibchens. Dieses zeigte häufig das sogenannte Spy-Hopping, kam also mit dem Kopf über die Wasseroberfläche, vermutlich um sich einen Überblick zu verschaffen oder einen Ausweg zu suchen. 

Zu einem Zeitpunkt pressten sich drei der Männchen mit ihren erigierten Penissen gleichzeitig gegen das Weibchen. Mindestens einen erfolgreichen Paarungsversuch an der Wasseroberfläche konnte Langenberger fotografisch dokumentieren. Das Autorenteam geht jedoch davon aus, dass sich mehrere Männchen innerhalb der 45 Minuten erfolgreich mit dem Weibchen paarten. Für das Weibchen waren die Paarungsversuche wahrscheinlich schmerzhaft. Zumindest ist im Video, das der Studie beigefügt ist, zu sehen, wie es aus dem Vaginalspalt blutet (Link zum Video unten).

Eines der Männchen mit erigiertem Penis kam an die Seite des Weibchens, das sich mit dem Bauch nach oben rollte, und es kam zur Kopulation. Foto mit freundlicher Genehmigung von Kerstin Langenberger

Solch gewaltsam erscheinendes Sexualverhalten bei Walen ist nicht unbekannt, wobei sich derartige Kämpfe dem Autorenteam zufolge meist nur zwischen den Männchen abspielen. Am ehesten ist das im Storfjord beobachtete Verhalten mit dem von Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) vergleichbar, die ebenfalls aggressives Verhalten gegen Weibchen zeigen.

Nach Auswertung des Materials vermutet das Autorenteam, dass die Beobachtungen dem normalen Paarungsverhalten von Belugas in freier Wildbahn entsprechen. In jedem Fall trägt die umfangreiche Dokumentation dieses Ereignisses zu einem besseren Verständnis des Paarungsverhaltens von Belugawalen bei. Zudem liefern die neuen Beobachtungen möglicherweise eine Erklärung für die Verletzungen und Narben bei Belugawalen rund um Svalbard. Bislang ist man davon ausgegangen, dass diese vom Eis oder von Eisbären stammen.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Lydersen C., Langenberger K., & Kovacs K. M. (2023). An observation of white whale (Delphinapterus leucas) mating behaviour in the wild. Polar Research, 42. https://doi.org/10.33265/polar.v42.8875

Link zum Video: https://figshare.com/articles/media/White_whales/22147901 

Link zu Kerstin Langenbergers Blog: https://islandkerstin.blogspot.com/ 

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