Chemische Schadstoffe in Svalbards Eiskappe entdeckt | Polarjournal
Auf den ersten Blick eine unberührte arktische Landschaft in Svalbard. Doch im Schnee und Eis darunter eingeschlossen liegen zahlreiche Rückstände unseres Daseins in Form von Schadstoffen, transportiert durch atmosphärische Flüsse. Bild: Michael Wenger

Seit einiger Zeit sorgt eine Abkürzung für Schlagzeilen in der ganzen Welt: PFAS. Diese steht für Per- und polyfluorierte Alkylverbindung und ist gemeinhin auch als «Ewigkeits-Chemikalie» bekannt, da sie sich hunderte von Jahren in der Umwelt halten können. Da sie auch als Schadstoffe für Mensch und Umwelt gelten, wurden sie in den letzten Jahren auch vermehrt unter- und gesucht. Und mittlerweile zeigt sich, dass die Stoffe praktisch alle Bereiche der Erde erreicht haben, sogar den Svalbard-Archipel.

Ein mehr als 12 Meter langer Eisbohrkern aus der Lomonossow-Eiskappe Svalbards enthält 26 verschiedene PFAS in unterschiedlichsten, teilweise bedenklich hohen Konzentrationen. Diese Stoffe, die mit grosser Wahrscheinlichkeit aus dem nördlichen Eurasien stammen und durch atmosphärische Flüsse auf Svalbard abgelagert wurden, können durch Schmelzprozesse in die Gewässer der Fjorde gelangen und damit in die Nahrungskette. Das gefährdet Tier- und Pflanzenarten, die durch den Klimawandel bereits stark unter Druck stehen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die ein Wissenschaftsteam aus Grossbritannien, Svalbard, Schweden, Spanien und Norwegen vor kurzem in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht hat.

Die Tatsache, dass PFAS im Eis von Svalbard abgelagert wird, ist nicht besonders überraschend. Denn die Schadstoffe sind mittlerweile in derart vielen Systemen entdeckt worden, dass man ruhig von einem globalen Problem sprechen kann. Durch ihre Persistenz und Langlebigkeit reichern sich die Stoffe in den Nahrungsnetzen an, wobei je höher das Tier, desto stärker die Anreicherung. Daher sind Eisbären und Robben in der Arktis besonders gefährdet. Davor warnt auch das Forschungsteam in seiner Studie. Ihre Resultate deuten darauf hin, dass die Schadstoffe durch die Abschmelzprozesse der Eiskappe in die Fjorde gelangen und so ins arktische Nahrungsnetz. Einige der Stoffe sind bereits dafür bekannt, sich negativ auf die Gesundheit und die Entwicklung von Embryonen auszuwirken. Ein Ansammeln solcher Schadstoffe kann daher arktische Organismen, die schon mit den direkten Auswirkungen von Erwärmung und steigender Konkurrenz zu kämpfen haben, noch weiter bedrängen.

Der Eisbohrkern, der im April 2019 entnommen worden war, stammt aus der rund 80 Kilometer nordöstlich von Longyearbyen liegenden Lomonossow-Eiskappe, einer rund 600 Quadratkilometer grossen Eisfläche auf der Hauptinsel Spitzbergen. «Eisbohrkerne können Aufzeichnungen über mehrere Jahre der Schneeakkumulation und damit einen Weg zum Verständnis der PFAS-Quellen in der Atmosphäre und der Umwandlungsprozesse bieten», schreibt das Forschungsteam unter der Leitung von Dr. William Hartz von der Universität Oxford und Dr. Roland Kallenborn von der Norwegian University of Life Science. «In einer Studie über 22 Standorte auf den Svalbard-Gletschern wurde Lomonossovfonna als optimaler Standort für die Untersuchung der weiträumigen Ablagerung von Schadstoffen ermittelt.» Das Team datierte den Kern mithilfe von Isotopen- und anderen Stoffanalysen auf ein Alter von rund 12 bis 13 Jahren. In den verschiedenen Schichten suchten sie nach 45 verschiedenen bekannten PFAS, von denen sie am Ende 26 identifizieren konnten. Vor allem PFOS (Perfluorooctansulfonsäure), die als besonders gesundheitsgefährdend gelten, konnte das Team in beinahe allen Proben des Kerns nachweisen. Das Team vermutet, dass die Vorläuferstoffe mit Luftströmen aus verschiedenen Teilen des nördlichen Eurasiens nach Svalbard transportiert wurden. Durch chemische Prozesse in der Atmosphäre, besonders unter dem Einfluss von Sonnenstrahlung und Wasserstoff-Radikale, entstanden PFOS, die mit Niederschlägen auf der Eiskappe, die auf Svalbard die höchstgelegene ist, abgelagert. Dabei zeigte sich auch, dass über die Jahre diese Ablagerungen stetig zunahmen und ein Trend ist, der sich auch in anderen Teilen der Arktis abspielt.

Weil der Kenntnisstand über PFAS noch neu und gering ist, haben Expertinnen und Experten unter der Leitung des Helmholtzzentrums HEREON eine Webseite, den PFAS-Explorer, entwickelt. Hier sollen die neuesten Erkenntnisse über diese Schadstoffe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ein Klick auf das Bild öffnet die Webseite. Bild: Screenshot PFAS-Explorer

PFAS sind eine Stoffklasse aus verschiedenen kurz- und langkettigen Molekülen und Verbindungen und von den meisten sind kaum oder gar keine Informationen über Eigenschaften, Transport oder toxische Wirkungen bekannt. Eine Expertengruppe unter der Führung des Helmholtz-Zentrums HEREON in Deutschland arbeitet mit internationalen Partnern zusammen und baut eine Informationsseite, den «PFAS Explorer» im Rahmen der Coastal Pollution Toolbox auf, um so der Öffentlichkeit die Gelegenheit zu geben, dem aktuellen Wissensstand über diese Schadstoffe folgen zu können. Dabei will man nicht nur den wissenschaftlichen Aspekt in den Vordergrund stellen, sondern auch die gesetzlichen und politischen Aspekte. Denn in einigen Ländern, besonders in Europa, befassen sich mittlerweile auch die Gesetzgeber mit dem Thema und es sind Vorstösse auf dem Tisch, Stoffe, die zur Bildung von PFAS und ähnlichen Verbindungen führen, zu verbieten. Doch weil die bisher verwendete herkömmlichen Nachweismethoden nur einen kleinen Bruchteil der Stoffe überhaupt erfassen können, dürften im Bohrkern aus der Eiskappe und auch in vielen anderen Proben noch viele weitere «ewige Chemikalien» liegen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Hartz et al (2023) Scie Tot Environ 871 (161830) Levels and distribution profiles of Per- and Polyfluoroalkyl Substances (PFAS) in a high Arctic Svalbard ice core; https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.161830

Mehr zum Thema

Print Friendly, PDF & Email
error: Content is protected !!
Share This