Der Blauwal gilt als das grösste Tier, das je auf der Erde existiert hat. Die grössten Exemplare wurden in den eiskalten Gewässern des Südlichen Ozeans gefangen und massen einst über 30 Meter und wogen 190 Tonnen. Diese Grösse konnten sie dank der energiereichen Nahrung, Krill, und ihrer filtrierenden Fressweise erreichen. Ein Erfolgsrezept der Natur also? Ein Forschungsteam hat untersucht, warum kleinere Walarten nicht ebenfalls auf diese Fressweise umgestiegen sind. Dazu haben sie den kleinesten Verwandten der Blauwale betrachtet, den antarktischen Zwergwal und Überraschende herausgefunden.
Die Nahrung wie Krill, kleine Fische oder Salpen aus dem Wasser zu filtrieren, ist eine Frage der Körpergrösse und Zwergwale haben die minimalst mögliche Körpergrösse für ein effizientes Filtrieren erreicht. Das ist das Ergebnis der Studie von Dr. David Cade, Postdoc an der Universität von Kalifornien Santa Cruz (UCSC) und Leiter der Studie. «Alles, was kleiner als ein Zwergwal ist, könnte nicht die zum Überleben notwendige Futtermenge erreichen,» erklärt er. «Sie liegen ziemlich genau auf der Grenze des Möglichen.». Die Studie wurde in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht.
Antarktischen Zwergwale zu erforschen ist eine echte Herausforderung. Denn die Tiere sind schnell, wendig, klein und lieben es in den antarktischen Gewässern auch nahe am Packeis zu sein. Darum gehören sie zu den am schlechtesten untersuchten Furchenwalen. Um ihre Studie durchführen zu können und Resultate zu erhalten, besenderte das Team 23 Tiere entlang der antarktischen Halbinsel mit Datenloggern und Videokameras, um so das Tauch- und Fressverhalten und gleichzeitig physiologische Daten zu erhalten. Dabei zeigte sich überraschenderweise, dass Zwergwale vor allem nachts auf ihre Tauchgänge gehen und viel häufiger tauchen, als ihre grösseren Verwandten. «Tagsüber fressen sie in einer Tiefe, die mit der von Buckel- und Blauwalen vergleichbar ist, aber ihre Fressrate ist nicht so hoch, weil sie kleiner sind», meint David Cade. «Ihre nächtliche Fressrate beträgt aber das Zwei- bis Fünffache der Tagesrate.» Das hängt auch damit zusammen, dass Krill tagsüber in grösseren Tiefen bleibt, was für kleinere Wale einen grösseren Energieaufwand bedeuten würde. Darum jagen die wendigen und schnellen Zwergwale tagsüber eher an der Oberfläche die kleinen Krillgruppen und erst nachts die grossen Mengen.
Die Strategie, mit weit geöffnetem Maul und einem faltbaren Kehlsack ausgestattet möglichst viel Nahrung aufnehmen zu können, ist eigentlich ein Erfolgsmodell der Evolution. Blauwale können damit ein Wasservolumen bis zu 135 Prozent ihres Körpergewichts und so möglichst viel Nahrung auf einmal aufnehmen. Doch je kleiner die Wale werden, desto weniger effizient ist diese Form. Bei einem Zwergwal von 5 Tonnen Gewicht sind es noch gerade 42 Prozent der Körpermasse, die das Tier aufnehmen kann. Darum müssen sie häufiger tauchen, was aber wiederum Energie kostet. «Wenn wir berechnen, wie viel Energie sie bei der Nahrungssuche verbrauchen und wie hoch ihre Gesamtaufnahme aufgrund ihrer Grösse sein sollte, stellen wir fest, dass die Zwergwale genau an der Schwelle liegen,» meint David Cade.
Er und seine Kolleginnen und Kollegen gehen davon aus, dass in der Evolution die ersten derartigen Filtriere vor rund fünf Millionen Jahren die Grösse der heutigen antarktischen Zwergwale hatten. Dank günstiger Umweltbedingungen bildeten sich Nahrungsplätze, die von den damaligen Walen immer wieder aufgesucht werden konnten und so mehr Energie lieferten für ein beschleunigtes Wachstum. Durch den Klimawandel entlang der antarktischen Halbinsel kehren sich diese günstigen Bedingungen um und die Wale finden weniger Nahrung. Das sind schlechte Nachrichten für eine Tier, dass bereits an seinen Grenzen steht.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal