Steigende Erdtemperatur, abkühlendes geopolitisches Klima | Polarjournal
Dunkle Wolken über der Arktis und der Welt. (Bild: M.Wenger)

Putins Angriff hat die Welt in eine Ära multipler Krisen gestürzt: Krieg, Wirtschaftsabschwung, die Bedrohung unserer Energie- und Nahrungsmittelsicherheit – und gab es da nicht noch etwas? Ach ja – der Klimawandel. Diese existentielle Krise scheint in den Hintergrund der Berichterstattung gerückt zu sein. Dabei ist sie von den anderen Krisen nicht zu trennen, die die Schlagzeilen erobern. Der Klimawandel beeinflusst das Geschehen in der Welt – und wird seinerseits auch dadurch beeinflusst.

In Kürze wird der Weltklimarat ihren sechsten Synthesebericht veröffentlichen.  Er wird die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Auswirkungen, der Anpassung, der Anfälligkeit und die Mitigationsmaßnahmen des Klimawandels zusammenführen. Er wird keine Überraschungen beinhalten. Der CO2-Ausstoss ist auf einer Rekordhöhe. Wir wissen was zu tun ist: Den Treibhausgasausstoß drastisch verringern, die Natur schützen, den Menschen bei der Anpassung an die veränderten Bedingungen helfen. Aber …

Datenpuzzle

Nach meiner Rückkehr von der hochrangig besetzten Konferenz Arctic Frontiers, die Ende Januar in der norwegischen Arktisstadt Tromsø stattfand, war mein Besorgnis über die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Arktis – und auf Bemühungen, das Weltklima zu schützen – gestiegen. Die Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, die sich dort versammelten, berichteten, wie dieser neue Kalte Krieg das Einsammeln von Daten sowie die Zusammenarbeit in der Forschung beeinträchtigten. Dabei sind diese unabdingbar, um den Klimawandel zu beobachten sowie zu wissen, was wir unternehmen müssen, um uns anzupassen, während wir versuchen, ihn aufzuhalten.

Tromsø, Norwegens Arktische Hauptstadt. (Bild: I. Quaile)

Lars Kullerud ist Präsident des University of the Arctic (UArctic) Netzwerks. Wir brauchen diese Daten, um die Welt zu retten, sagte er auf der Konferenz. Das Netzwerk zählt 55 russische Universitäten zu ihren Mitgliedern. Nach der Invasion der Ukraine mussten sie ausgeschlossen werden. Selbst in den Jahren des Kalten Kriegs sei die Distanz zu russischen Wissenschaftlern nicht so groß gewesen wie jetzt, so Kullerud.

Ohne russische Wissenschaftler sowie Zugang zu den weitläufigen russischen Gebieten der Arktis gibt es große Lücken in den Daten. Die Wissenschaft muss sich auf Satellitendaten verlassen. Gemeinsame Programme zwischen westeuropäischen und russischen Institutionen in der Lehre und in der Forschung sind ausgesetzt worden. Dabei sei Russland für die Erforschung des Permafrosts sowie der borealen Wälder unersetzbar, so Kullerud, der befürchtet, die Kontakte könnten für zehn Jahre oder länger gestört werden. Ein Neuanfang danach wird extrem schwierig, so der Arktisexperte.

Finland’s Arktis-Botschafter Petteri Vuorimäki erzählte in Tromsø von seinem Optimismus am Anfang des zweijährigen russischen Vorsitzes über den Arktischen Rat im Jahre 2021. Wichtige Fortschritte im Umwelt- und Klimaschutz standen auf der Agenda. Dann kam der schockierende Einmarsch in die Ukraine, der die Kooperation zwischen Russland und den anderen Mitgliedsstaaten des Arktischen Rats brutal unterbrach. Norwegen übernimmt in diesem Jahr den Vorsitz über einen Rat mit sieben Mitgliedern – während Russland außen vor bleibt.

Mike Sfraga, Vorsitzender des Arktischen Forschungsrats der USA (US Arctic Research Council) wurde kurz nach derKonferenz in Tromsø in das neu erschaffene Amt eines US-Sonderbotschafters für Arktische Angelegenheiten berufen. Er beschrieb den Klimawandel als „die, große, existentielle Bedrohung überhaupt“. Leider sehe dies zurzeit ohne Kooperation mit Russland wie ein Puzzle aus, wo fünfzig Prozent der Teile fehlten. Es habe in der Vergangenheit oft Herausforderungen in der Zusammenarbeit gegeben, so Sfraga. Zurzeit seien die Türen aber wirklich verschlossen.

Mike Sfraga, US-Sonderbotschafter für die Arktis. (Bild: I. Quaile)

Rückgang für die Wissenschaft

Eine bahnbrechende internationale Expedition wie MOSAIC wäre ohne Zusammenarbeit mit Russland nie möglich gewesen, betonten sowohl Sfraga als auch Nicole Biebow vom Alfred Wegener Institut (AWI), die auch Vorsitzende des European Polar Board ist. Leider sei die langfristige Kooperation, die auf Vertrauen und gegenseitiges Verständnis beruhte, zum Stillstand gekommen, so Biebow.

Westliche Sanktionen und andere Einschränkungen der Kooperation mit russischen Kollegen infolge des Krieges beeinträchtigten die Zusammenarbeit mit russischen Kollegen weiter, sagten mehrere Wissenschaftler. Für UArctic– Präsident Kullerud seien die Freiheiten der Meinungsäußerung sowie der Wissenschaft ebenfalls Opfer des russischen Angriffs geworden. Es sei trotz der Gefahren unbedingt notwendig, persönliche Verbindungen aufrecht zu erhalten, so Kullerud weiter.

Könnte die Einschränkung der Daten dazu führen, dass wir einen Klimakipppunkt nicht rechtzeitig erkennen? – fragte jemand aus dem Publikum. Die besorgniserregende Antwort: Ja. Auch Lösungen, ergänzte Kullerud, könnten ausbleiben. Diese Verzögerungen können wir uns nicht leisten, wenn wir die Klimaerwärmung noch unter zwei Grad halten wollen.

Dieser Winter in der Arktis

Viele Regionen der Arktis haben einen Ausnahmewinter erlebt. Die Arktis erwärmt sich bekanntlich fast vier mal so schnell wie der globale Durchschnitt. In manchen Regionen erwärmt sie sich noch schneller. Jon Aars vom Norwegischen Polarinstitut in Tromsø forscht über Eisbären, die auf Meereis angewiesen sind, um ihre Hauptnahrungsquelle, Seehunde, zu jagen. Die Bären tragen Tracking-Halsbänder, die jeden Tag ihre Position über Satellit melden.  In einem Interview anlässlich des  Tag des Eisbären am 27. Februar sprach er mit Thomas Nilsen vom International Barents Observer. Wenn jemand vor zwanzig Jahren gesagt hätte, dass die ganze nördliche Küste von Svalbard mitten im Winter 2023 eisfrei sein würde, hätte das niemand geglaubt, so Aars. Wenn man aber die letzten 7-8 Jahren in Betracht ziehe, scheine dies zum neuen Normalzustand zu werden, so der Eisbärforscher weiter. Das Institut beobachtet die Eisbären seit 1987. In der Zeit hätten die Eisbären zwei Monate Meereis verloren.

Harte Zeiten für Eisbärenmütter mit ihren Jungen. (Bild: M. Wenger)

Nach Angaben des National Snow & Ice Data Centre (NSIDC) an der Universität Colorado Boulder wuchs im Januar das Meereis langsamer als im Durchschnitt und erreichte in den Satellitenaufzeichnungen zum Ende des Monats die zweitniedrigste Ausdehnung, berichtet der Barents Observer. Das wenigste Eis im Vergleich zur normalen Ausdehnung fand man um Svalbard sowie west- und südlich von Novaya Zemlya in der Barentssee. Der Mangel an Meereis in der Barentssee trug wahrscheinlich zu den höher als durchschnittlichen Lufttemperaturen bei, so der NSDIC. Der Januar 2023 war in Norwegens nördlichster Region, der Finnmark, der wärmste je in der Neuzeit gemessene.

Geopolitik – Aufgeheizt wie das Erdklima

Auf dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine erreicht die sich erwärmende Arktis verstärkte geopolitische Bedeutung. Das Norwegian Institute of International Affairs und das US Wilson Center veröffentlichte letzten Monat einen Sonderbericht für die Münchener Sicherheitkonferenz: Navigating Breakup: Security realities of freezing politics and thawing landscapes in the Arctic” .

“Die Tage sind lange vorbei, in denen die Arktis als außergewöhnliche Region behandelt werden konnte, die isoliert von tagesaktuellen Themen und der Politik des Rests der Welt war. Ganz im Gegenteil, zu einer Zeit, in der Klimawandel die Region aufheizt, köcheln territoriale Konflikte und der Zugang zu Ressourcen wie Öl und Gas (buchstäblich) auch unter dem Eis,” schreibt Benedikt Franke, der stellvertretende Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz in dem Vorwort. Er bestätigt, der Klimawandel in der Arktis habe beträchtliche sicherheits- und geopolitische Auswirkungen.

Die Konfrontation zwischen Russland und den westlichen Alliierten, die die Ukraine unterstützen, wirkt sich auf die engen Nachbarn in der Arktis aus.

“Von Festland zu Festland sind es bei uns nur 57 Meilen, und einige Inseln trennen nur wenige Meilen. Also beobachten wir Russland genau, so wie wir es immer getan haben, berichtete die Senatorin aus Alaska Lisa Murkowski in Tromsø. Die USA engagieren sich laut Murkowski so eindrucksvoll und aggressiv wie noch nie zuvor in den 20 Jahren, in denen sie sich in der Arktis engagiert.

US-Senatorin für Alaska, Lisa Murkowski am Arctic Frontiers-Treffen. (Bild: I. Quaile)

Die norwegische Außenministerin Anniken Huitfeld betonte die Notwendigkeit, trotz des Angriffskriegs in der Ukraine einen Konflikt mit dem aggressiven Nachbarn Russland zu vermeiden.

Da Schweden und Finnland der NATO beitreten wollen, wird die Arktis unweigerlich zu einer Grenzregion zwischen den Parteien in der Ukraine-Auseinandersetzung.

Geopolitische Spannungen in der Arktis sind nicht neu. Da der Klimawandel die Schifffahrt und die Suche nach Öl- und Gasvorkommen unter dem Eis erleichtern, wollen auch Nicht-Arktisanrainer davon profitieren. Die “Grüne Energiewende”, die seltene Erden, Mineralien und Metalle benötigt, hat den Hunger nach möglicherweise noch wertvolleren Ressourcen gesteigert. Das alles verspricht nichts Gutes für die Zusammenarbeit und das gerechte Teilen der Ressourcen der Arktis-Region.

Vom Regen in die Traufe

Olivia Lazard von Carnegie Europe warnte in Tromsø davor, das Rennen um fossile Brennstoffe durch ein neues Rennen um Mineralien und andere Ressourcen zu ersetzen; dieses könnte die Umwelt, Gesundheit, die Demokratie sowie den Frieden auf eine andere Weise gefährden. Die Arktis befinde sich in der Mitte dieses globalen Wettbewerbs, so die Expertin weiter. Wir befänden uns all in einer Rivalität zwischen Systemen, die für den ganzen Planeten Bedeutung hätte. “Business as usual” sei nicht möglich. Wir brauchen ihrer Meinung nach ein System, um sicher zu stellen, dass die Energiewende wichtige ökologische Funktionen nicht gefährdet. Dazu würden „No-mine zones“ in bestimmten Regionen gehören. Die Klimakrise könne man nur zusammen mit anderen Umweltkrisen angehen, so Lazarz: „Wir dürfen den Planeten nicht plündern, um das Klima zu schützen“.

Indigene Bevölkerung muss mitreden dürfen

Die indigenen Gruppen, die in der Arktis zu Hause sind, kämpfen um ein Mitspracherecht, wenn es um die natürlichen Ressourcen ihrer Heimat geht. Sie werden zwar im Arktischen Rat durch sechs Organisationen vertreten. Durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf den Rat sowie auf die Beziehungen zwischen indigenen Gruppen in Russland und den anderen Arktisstaaten ist es aber für sie wieder schwieriger geworden, sich Gehör zu verschaffen. Viele der für die Energiewende so heiß begehrten Ressourcen befinden sich auf ihren Gebieten.  So kollidiert beispielsweise die Errichtung und das Betreiben von Windturbinen zeitweise mit der Rentierzucht. Trotz eines Urteils des Obersten Norwegischen Gerichts zugunsten Sami-Rentierzüchter 2021 wurde ein kontroverser Windpark weiter in Betrieb gehalten. Nach den neusten Protesten von Umweltschützern und Sami-Organisationen sah sich die norwegische Regierung zu einer Entschuldigung verpflichtet.

Ist das Glas halbleer oder halbvoll?

Der weltweite CO2-Ausstoß ist auf Rekordhöhe:

Der Anstieg war aber nicht so steil wie von vielen Experten befürchtet:

Die neuesten Zahlen der IEA können unterschiedlich interpretiert werden:

Es gibt Hoffnungsschimmer – aber nur wenn wir den Treibhausgasausstoß wesentlich schneller reduzieren.

Der UN-Klimaprozess – Zeit für Reformen?

Zu den Klimageschichten, die Sie möglicherweise verpasst haben, während die Medien sich auf andere Sachen konzentrieren, gehört eine neue Initiative des Club of Rome:

Eine Gruppe von Experten – darunter Laurence Tubiana, Chefin der European Climate Foundation, Mary Robinson, ehemalige Präsidentin Irlands und der ehemalige UNO-Chef Ban Ki-moon,— haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie den amtierenden UN-Generalsekretär António Guterres sowie den Leiter der UN-Klimabehörde UNFCCC Simon Stiell aufrufen, die COP-Weltklimakonferenzen zu reformieren, damit sie auch zu Ergebnissen führen.

 
Sie verlangen mehr konkrete Maßnahmen, mehr Verbindlichkeit und mehr Kontrolle. Es habe schon  Jahre gebraucht, um das Pariser Abkommen von 2015 in allen seinen Teilen zu vollenden. Jetzt seien alle Weichen gestellt, auch für den CO2-Handel sowie Ausgleichszahlungen für „Verlust und Schäden“. Allerdings sei die Lücke zwischen Ziele und Umsetzung noch viel zu groß.

Das jetzige System mit den jährlichen Megatreffen ist nach Meinung der Unterzeichner nicht in der Lage, das Klima schnell genug zu schützen, um die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung zu verhindern und eine gerechtere, sauberere Welt für alle herbei zu führen.

Die Emissionslücke sei so gefährlich groß, dass der UN-Klimaprozess seine Relevanz verlieren könnte, so Tubiana.

Robinson betont die tiefe Enttäuschung der COP27-Teilnehmenden über das Scheitern eines Konsenses über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Diesen Konsens werde man nie erreichen, solange die Interessen der fossilen-Energien-Industrie Priorität über die Ziele der Pariser Vereinbarung erhalten, so Robinson weiter.

„Der COP-Prozess bleibt, aus der Perspektive des Klimahandelns, komplett von der wissenschaftlichen Notwendigkeit abgekoppelt“, sagte Johan Rockström, Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Der Prozess bewege sich mit neuen Zielen und Versprechen zentimeterweise vorwärts, während der Treibhausgasausstoß und die Temperaturen weiter ansteigen und Klimaextreme sich immer öfter ereigneten – mit weit stärkeren Auswirkungen als erwartet, so Rockström.

Die Fridays-for-Future-Bewegung, hier in Bonn. (Bild: I. Quaile)

Den Druck erhöhen

Am 3. März fand erneut ein globaler Klimastreik statt. Die Fridays for Future-Generationist zunehmend frustriert. Hier in Deutschland streikten gleichzeitig Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsnetze, unter der Organisation des mächtigen Gewerkschaftsbundes Verdi. Viele Menschen werden sich geärgert haben, weil sie nicht mit Bus oder Bahn zur Demo fahren konnten. Dies könnte allerdings der Anfang eines interessanten Trends sein. Wenn Gewerkschaften und andere Bewegungen den Klimaschutz auf ihre Fahnen schreiben, wird der Druck auf Regierungen steigen.

Es ist Frühling, die Zeit des Neuanfangs und der Hoffnung hier auf der nördlichen Halbkugel. Ich würde allzu gerne die optimistische Interpretation der neuesten IEA-Zahlen und unseres Fortschritts in Richtung Null-Emissionen annehmen.

Nachdem aber auch das letzte Treffen der G20-Staaten ohne eine gemeinsame Erklärung zu Ende gegangen ist; solange Russland weiterhin alle Schuld auf den Westen schiebt; und solange die chinesische Position bestenfalls zweideutig bleibt und schlimmstenfalls in die Lieferung von Waffen an Moskau münden könnte – fällt mir das mehr als schwer. Während ein Konflikt hier in Europa weiter eskaliert – ein Konflikt, der die Emissionen noch weiter in die Höhe treibt und von der existentiellen Klimakrise ablenkt – müsste ich meine Augen und Ohren verschließen, um zuversichtlich zu sein, dass wir auf einem guten Weg sind, um die globale Erhitzung so schnell anzuhalten, dass wir das Schlimmste noch abwenden können.

Die Hoffnung gebe ich trotzdem nicht auf.

Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:

Aktueller Blog: https://iceblog.org

Älterer Blog: https://blogs.dw.com/ice/ 

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