Eine der bekanntesten Destinationen in Grönland ist Ilulissat im Westen der Insel. Die drittgrösste Stadt der Insel lockt nämlich mit einem besonderen Spektakel, dem Eisfjord mit seinen gewaltigen Eisbergen und Schollen, die vom Sermeq Kujalleq oder Jakobshaven-Gletscher stammen. Das Ganze ist derart einzigartig, dass es von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Doch dieser Status hemmt auch die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes und sollte entfernt werden. Im Kommunalrat wird nun darüber diskutiert und vielleicht zeichnet sich ein Kompromiss ab.
Nicht den lukrativen Status als Weltnaturerbe verlieren, aber trotzdem die wirtschaftliche Entwicklung von Ilulissat vorantreiben ist das Ziel einer Kompromisslösung in der Diskussion, die zurzeit im Kommunalrat der Avannnaata Kommunia geführt wird, in deren Gebiet die beliebte Touristendestination liegt. Der Kniff für die Kompromisslösung liegt im Pufferbereich, der zwischen dem Naturschutzgebiet, das als UNESCO-Weltnaturerbe deklariert ist, und dem Ortsgebiet, welches ausgebaut werden soll. Doch das bedingt eine Änderung der Leitlinien für die Pufferzonen. «In den Pufferzonen hat die Gemeinde einen grossen Ermessensspielraum und kann somit selbst entscheiden, wie die Leitlinien aussehen sollen», erklärt der Rat in einer Mitteilung. Die Diskussion wird zurzeit geführt, aber bisher ohne Resultate.
Bei der Diskussion rund um das Gebiet geht es in erster Linie um den Vorschlag, den der Kommunalpolitiker und ehemalige Minister für Soziales und Familien, Anthon Frederiksen, eingebracht hatte. Der Naleraq-Politiker hatte im vergangenen Jahr vorgeschlagen, dass die Regierung den Status des Eisfjords von Ilulissat offiziell aufheben soll. Damit würde die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes endlich vorangetrieben. Seiner Meinung nach bringe der Status gar nichts, sondern verhindere den dringend benötigten Ausbau in Bereichen Wohnungen und Infrastruktur. «Wenn wir nicht mehr Teil der UNESCO sind, werden wir sehr attraktive Gebiete für die Stadtentwicklung haben», erklärte er in einem Interview mit der Zeitung Sermitsiaq damals. Unterstützung erhält der Politiker sowohl von Seiten seiner Partei wie auch von einigen lokalen Wirtschaftsvertretern.
Der Vorschlag von Frederiksen trifft aber auch auf viel Skepsis und Ablehnung, auch innerhalb des Rates. Dieser erklärt, dass der Tourismus sehr viele wichtige Einnahmen bringt und gerade durch den Status des Eisfjordes als unberührte Naturlandschaft ein Magnet sei. Deswegen wolle man nicht diesen Status aufgeben. Gleichzeitig ist man aber auch der Meinung, dass die Weiterentwicklung des Ortes von grösster Wichtigkeit sei. Denn mit dem Ausbau des Flughafens, um mehr Touristen empfangen zu können, muss auch in den Ausbau der restlichen Infrastruktur investiert werden. Dazu gehören Strassen, Geschäfte und Bereiche für Industriezweige, aber auch Wohnungen für die Leute, die nach Ilulissat ziehen, ein Trend der schon länger auch in anderen grönländischen Orten zu verzeichnen ist.
Ausserdem verliere man die Glaubwürdigkeit einer verantwortungsbewussten Behörde und Region, für die Nachhaltigkeit bei der wirtschaftlichen Entwicklung wichtig sei. Darum setzt man sich für eine Kompromisslösung ein. Diese sieht vor, die bisher als Freizeit- und Erholungsgebiet ausgewiesenen Pufferzonen südlich der Stadt neu zu bewerten und die Richtlinien für deren Nutzung zu ändern. Darin habe man als Behörde sehr viel mehr Spielraum.
Ob der Lösungsvorschlag auf Akzeptanz bei Anthon Frederiksen und seinen Mitstreitern treffen wird, ist zurzeit nicht bekannt. Doch es ist sicher, dass auch bei einer Ablehnung nicht automatisch die Region ihren Status verlieren wird. Denn nur die Regierung in Nuuk kann bei der UNESCO den Rückzug des Gebietes anmelden. Und die Tatsache, dass Naleraq mittlerweile nicht mehr Regierungspartei ist, dürfte die Chance schmälern, dass die Regierung einen solchen Schritt unternehmen wird. Damit werden zumindest vorerst die Eisberge, die Ilulissat den Namen gegeben haben, weiterhin mit dem UNESCO-Label in die Diskobucht treiben.
UPDATE: Der Kommunalrat hat die Kompromisslösung gutgeheissen, wie die Zeitung Sermitsiaq bekanntgegeben hat. Damit wird der Vorschlag von Anthon Frederiksen, den UNESCO-Status aufheben zu lassen, nicht weiterverfolgt. Stattdessen wird die Pufferzone zwischen Ilulissat und dem UNESCO-Gebiet neu bewertet und für den Bau von Wohnungen und Gewerbegebäuden geöffnet. Dazu werden nun Pläne entworfen und eine Gemeindeversammlung einberufen, um die Öffentlichkeit sachlich zu informieren und über Chancen und Risiken gleichermassen zu sprechen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal