Drifteisstationen haben in Russland Tradition. Zum ersten Mal wurde eine solche Expedition unter der Leitung von Ivan Papanin mit anschliessender Überwinterung 1937 durchgeführt. Die Expedition erhielt den Namen «Nordpol-1». Seitdem wird jede Expedition unter der Bezeichnung «Nordpol» mit fortlaufender Seriennummer durchgeführt.
Das schnell schwindende arktische Meereis erschwerte die Organisation der Expeditionen zunehmend. Mit «Nordpole-40» fand die letzte echte Drifteisstation im Winter 2012 statt. 2013 musste das Programm wegen Eisschmelze in der Arktis abgesagt werden. Ein erneuter Versuch im Sommer 2015 scheiterte bereits nach wenigen Wochen wegen zu instabilem Eis.
Mit der Kenntnis, dass traditionelle Stationen im ‘Papanin-Stil’ nicht mehr durchgeführt werden können, wurde mit der eisbrechenden und selbstfahrenden Plattform Severny Polyus eine Möglichkeit geschaffen, die Arktisforschung weiter durchzuführen.
Die Severny Polyus ist in der Lage, geologische, akustische, geophysikalische und ozeanographische Forschung unter den härtesten arktischen Bedingungen durchzuführen. Selbst bei Temperaturen von bis zu minus 50 °C soll sie Forschern und Besatzung komfortable Lebens- und Arbeitsbedingungen bieten können.
Am 15. September 2022 startete nun die eisbrechende Plattform von Murmansk aus zur ersten Expedition, die turnusgemäss «Nordpol-41» genannt wird. Nach offiziellen Angaben soll die Expedition „ein neues Zeitalter in der russischen Arktisforschung“ darstellen. Bereits knapp zwei Wochen später, am 2. Oktober 2022 erreichte das Schiff aus eigener Kraft den Startort für die lange Drift im arktischen Packeis.
Severny Polyus machte sich dann am Rand des ausgewählten Eisfelds fest und fror allmählich darauf ein, bis das Schiff und die Eisscholle eins wurden. So nahm Russland nach fast zehn Jahren wieder regelmässige wissenschaftliche Beobachtungen im Arktischen Ozean auf.
Nach sechs Monaten im Einsatz zeigt sich, dass die Plattform ohne grosse Störungen unterwegs ist. Nun kommen Überlegungen auf, ob die Arktisexpedition für ein zweites Jahr wirtschaftlich machbar wäre.
„Ob ein Verbleib in der Arktis im zweiten Jahr sinnvoll ist, ist noch nicht entschieden, obwohl es technisch absolut möglich wäre. Neben der wissenschaftlichen Forschung, die voll im Gange ist, schauen wir uns jetzt an, wie sich das Schiff verhält. Bisher haben wir keine ernsthaften Störungen festgestellt und wenn es sie nicht gibt, werden wir das Schiff wahrscheinlich im Eis stehen lassen. Dies würde auch wirtschaftlich möglich sein“, sagte Igor Shumakov, Leiter des russischen meteorologischen Instituts von Roshydromet.
Wissenschaftler an Bord der Plattform empfangen und übermitteln Informationen, deren Analyse helfen wird, den Klimawandel zu verfolgen. An Bord der Plattform befinden sich 15 wissenschaftliche Labore, die das gesamte Spektrum der Erforschung der natürlichen Umwelt der Arktis abdecken. Wissenschaftler hoffen, dass sie in der Lage sein werden, die Lebensdauer der Plattform auf bis zu 40 Jahre zu verlängern, sagte der Direktor des «Arctic and Antarctic Research Institute» (AARI) Alexander Makarov gegenüber der Presse. Die offiziell deklarierte Lebensdauer beträgt 25 Jahre.
Heiner Kubny, PolarJournal