Die Tiefseeströmungen rund um die Antarktis könnten sich wegen des massiven Schmelzwassereintrags in den kommenden 30 Jahren um 42 Prozent verlangsamen. Für das Leben in den Ozeanen und das Klima hätte dies weltweit erhebliche Auswirkungen.
Ein australisches Forschungsteam fand in einer neuen Studie heraus, veröffentlicht im renommierten Fachmagazin Nature, dass in den nächsten drei Jahrzehnten in bestimmten Regionen des Südlichen Ozeans deutlich weniger Oberflächenwasser in die Tiefe sinken wird, sollte der globale Ausstoß von Kohlendioxid unvermindert anhalten.
Diese sogenannte Tiefenwasserbildung, die auch im Nordatlantik stattfindet, ist der Motor für die erdumspannende Ozeanzirkulation, auch als thermohaline Zirkulation oder Förderband der Meeresströmungen bezeichnet. Die thermohaline Zirkulation ist entscheidend, da sie Wärme, Kohlenstoff, Sauerstoff und Nährstoffe rund um den Globus transportiert und so das Klima, den Meeresspiegel und die Produktivität der marinen Ökosysteme beeinflusst. Schwächt sich die Tiefenwasserbildung ab oder kommt sogar ganz zum Erliegen, verlangsamt sich mit der Zeit auch die globale Zirkulation bzw. kommt zum Stillstand, mit verheerenden Auswirkungen für die marinen Ökosysteme und das Klima.
«Unsere Modellierung zeigt, dass sich die antarktische Umwälzung in den nächsten 30 Jahren um mehr als 40 Prozent verlangsamen wird, wenn die globalen Kohlenstoffemissionen in der derzeitigen Geschwindigkeit weitergehen – und zwar auf einem Kurs, der auf einen Zusammenbruch zuzusteuern scheint», Professor Matthew England, stellvertretender Direktor ARC Centre for Excellence in Antarctic Science an der University of New South Wales und Leiter der aktuellen Studie.
Die globale Umwälzung der Wassermassen
Oberflächenwasser sinkt dann in die Tiefe, wenn es entsprechend «schwer» ist, also eine hohe Dichte hat. Je niedriger die Temperatur (durch katabatische Winde) und je höher der Salzgehalt des Meerwassers (durch Verdunstung und Meereisbildung), umso größer seine Dichte. Die riesigen Mengen an Schmelzwasser, die aufgrund der rasanten Erwärmung in der Antarktis in den Südlichen Ozean fließen, verringern jedoch den Salzgehalt des Oberflächenwassers und somit dessen Dichte, was folglich die Bildung von Tiefenwasser verlangsamt.
Die Tiefenwasserbildungszonen der Antarktis liegen im Weddellmeer und im Rossmeer, wo jedes Jahr rund 250 Billionen Tonnen kaltes, salziges, sauerstoffreiches Oberflächenwasser absinken. Dieses Wasser breitet sich in Richtung Norden aus und trägt Sauerstoff in die Tiefen des Indischen, Pazifischen und Atlantischen Ozeans.
«Wenn die Ozeane eine Lunge hätten, wäre dies eine davon.»
Professor Matthew England
Für die aktuelle Studie modellierte das Forschungsteam die Menge des antarktischen Tiefenwassers, die nach dem IPCC-Szenario mit hohen Emissionen bis 2050 produziert wird. Das Modell erfasst unter anderem die Vorhersage, wie Schmelzwasser die Zirkulation beeinflussen könnte, was frühere Modelle nicht erfassen konnten.
Seit Jahrtausenden ist diese tiefe Meeresströmung, das Antarktische Bodenwasser (AABW), relativ stabil geblieben, doch in den nächsten Jahrzehnten wird sie sich voraussichtlich deutlich verlangsamen. Jedenfalls spricht angesichts der ungebremsten und sogar weiter zunehmenden Treibhausgasemissionen alles dafür.
Auswirkungen einer verlangsamten Zirkulation
Sollte die Tiefenwasserbildung ganz zum Erliegen kommen — auch die im Nordatlantik schwächt sich bereits ab — würde sich das Wasser im Ozean unterhalb von 4000 Metern Tiefe nicht mehr bewegen. «Dadurch würden Nährstoffe in der Tiefsee zurückgehalten, wodurch weniger Nährstoffe für das Leben an der Meeresoberfläche zur Verfügung stünden», so Professor England.
Co-Autor Dr. Steve Rintoul vom CSIRO zufolge führt eine Verlangsamung der Umwälzung auch zu einer schnelleren Erwärmung der Tiefsee, die bereits im Gange ist. Darüberhinaus wirkt sich die Verlangsamung auch auf die Fähigkeit des Ozeans aus, Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen. Dr. Adele Morrison, die am Australian Centre for Excellence in Antarctic Science forscht und ebenfalls an der Studie mitgewirkt hat, erklärt gegenüber der BBC, dass bei einer Verlangsamung der Ozeanzirkulation das Oberflächenwasser schnell seine Kohlenstoffaufnahmekapazität erreicht und dann nicht mehr durch kohlenstoffärmeres Wasser ersetzt wird, das aus größeren Tiefen an die Oberfläche gelangt.
«Die andere größere Auswirkung, die dies haben könnte, ist eine Rückkopplung darauf, wie viel von der Antarktis in Zukunft schmilzt. Es öffnet einen Weg für wärmeres Wasser, das zu einer verstärkten Schmelze führen könnte, was eine weitere Rückkopplung darstellen würde, die mehr Schmelzwasser in den Ozean bringt und die Zirkulation noch mehr verlangsamt», sagt Dr. Morrison.
In den aktuellen IPCC-Modellen zum Klimawandel sind die Auswirkungen des antarktischen Schmelzwassers auf die Meeresströmungen noch nicht berücksichtigt, aber sie werden laut Professor England «beträchtlich» sein.
Julia Hager, PolarJournal