Offizieller CH-Besuch Grönlands zu Naturkatastrophen und Forschung | Polarjournal
Vergletscherte Berge, steile Hänge, pittoreske Orte an deren Basis: Grönland wird landschaftlich oft mit der Schweiz verglichen. Auch die Gefahren, die solche Landschaften bedrohen, sind ähnlich. Bilder: Michael Wenger / WikiCommons

Die Schweiz und die Arktis, insbesondere Grönland, sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Das hatte schon 2019 der damalige Leiter des Schweizer Arktis-Dossiers, Botschafter Stefan Estermann, bei seiner Präsentation zur ersten Schweizer Arktisstrategie hervorgehoben. Und damit bezog er auch Grönland mit ein, das nicht nur in Sachen hohe Berge und Gletscher oft an die Schweiz erinnert. Auch die Gefahren, die von dieser eigentlich atemberaubenden Landschaft ausgehen, sind ähnlich. Und hier wollen die beiden Regierungen viel stärker zusammenarbeiten.

Seit gestern, dem 3. April 2023, weilt nun eine hochrangige Delegation aus Grönland in der Schweiz. Sie lässt sich von Schweizer Bunde- und Lokalpolitikerinnen und -politikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Expertinnen und Experten in den Bereichen Umwelt, Naturkatastrophenschutz und nachhaltiger Entwicklung ein Bild davon geben, wie in der Schweiz mit Themen wie Lawinen, Erdrutschen und Überschwemmungen umgegangen wird. Ausserdem sollen die Forschungszusammenarbeit besonders im Bereich Polarforschung, Klimawandeleffekte, Umwelt und Risikomanagement noch weiter vertieft werden. Es ist geplant, dass darauffolgend Mitte April bei einem weiteren Treffen in Nuuk eine Absichtserklärung zwischen dem Schweizer Polarinstitut und dem grönländischen Forschungsrat zur Festigung dieser Zusammenarbeit unterzeichnet werden kann.

Wir wollen mehr über die Erfahrungen der Schweizer Geologen wissen, damit wir sie bei uns zur Vorbereitung auf mögliche unsichere Berge nutzen und mehr Sicherheit für die in der Nähe lebenden Bürger schaffen können

Aqqaluaq B. Egede, Minister für Rohstoffe und Justiz, Grönland

Angeführt wird die hochrangige Delegation von Aqqaluaq B. Egede, dem Minister für Rohstoffe und Justiz, Kalistat Lund, dem für Landwirtschaft, Selbstversorgung, Energie und Umwelt zuständigen Minister und dem Bürgermeister von Grönlands grösster Gemeinde Aviannaata Kommunia, Palle Jerimiassen. Weiter sind Vertreter der Universität von Grönland und dem grönländischen Forschungsrat mit dabei. Empfangen wird die Delegation von der Schweizer Staatssekretärin für Lehre, Forschung und Innovation Martina Hirayama und weiteren Vertreterinnen und Vertretern des Schweizer Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Schweizer Amt für Umwelt (BAFU). Von wissenschaftlicher Seite her wird das Treffen von der Leitung des Swiss Polar Institutes SPI und Vertreterinnen und Vertretern aus Schweizer Forschungsgruppen begleitet. Die Pläne umfassen neben Treffen und Gesprächen über die vertiefte Forschungszusammenarbeit auch Besuche in Gebieten in den Kantonen Bern und Wallis, in denen Überwachungskampagnen zum Schutz vor Naturkatastrophen laufen.

Sowohl Grönland als auch die Schweiz sind zunehmenden Risiken durch Naturgefahren ausgesetzt, die durch den Rückgang der Gletscher und das Auftauen des Permafrosts im Zuge der Klimaerwärmung entstehen.

Prof. Gabriela Schaepmann-Strub, wissenschaftl. Leiterin SPI

Besonders der Aspekt des Risikomanagements bei Naturkatastrophen ist für beide Seiten wichtig. Denn die steigenden Temperaturen haben massive Auswirkungen auf die Stabilität des Bodens und der Gletscher der Schweiz und Grönland. Dadurch entsteht eine erhöhte Bedrohungslage für viele Gemeinden. Beispiele, welche katastrophalen Auswirkungen daraus resultierende Naturkatastrophen haben können, mussten beide Länder bereits erleben: In der Schweiz führte ein massiver Bergsturz 2017 zur Katastrophe von Bondo, bei dem acht Menschen ihr Leben verloren. Damals rutschen drei Millionen Kubikmeter Geröll von einem Berg. Und in Westgrönland führte ein ebenfalls gewaltiger Bergsturz im Gebiet Karrat, bei dem sogar geschätzte 45 Millionen Kubikmeter abrutschten, zum Verlust von vier Menschenleben durch einen daraufolgenden Tsunami. Die wissenschaftliche Leiterin des SPI, Professorin Gabriela Schaepman-Strub erklärt dazu: «Sowohl Grönland als auch die Schweiz sind zunehmenden Risiken durch Naturgefahren ausgesetzt, die durch den Rückgang der Gletscher und das Auftauen des Permafrosts im Zuge der Klimaerwärmung entstehen. Diese Risiken bedrohen unsere Menschen und unsere Infrastruktur.  «Wir wollen mehr über die Erfahrungen der Schweizer Geologen wissen, damit wir sie bei uns zur Vorbereitung auf mögliche unsichere Berge nutzen und mehr Sicherheit für die in der Nähe lebenden Bürger schaffen können», erklärt Minister Aqqalaq B. Egede.

Ich bin überzeugt, dass die Erkenntnisse, die wir über grosse Erdrutsche in Grönland gewinnen, auch der Schweiz helfen werden.

Prof. Markus Stoffel, Universität Genf

Besonders Gemeinden wie Sisimiut oder das weiter nördlich liegende Uummannaq sind durch instabile Berghänge oder Lawinen in Grönland bedroht. Hier will die grönländische Regierung von den Erfahrungen der Schweiz lernen und ein Überwachungssystem einrichten. Doch auch die Schweiz wird von der Zusammenarbeit profitieren, davon ist man überzeugt. «Es ist ein Privileg, dieses Wissen darüber, wie man die Menschen am besten auf möglichst gerechte und nachhaltige Weise schützen kann, mit Teams in Regionen zu teilen, in denen aufgrund der Klimaerwärmung und des Auftauens des Permafrosts Probleme entstehen», sagt Markus Stoffel, Professor an der Uni Genf und Koordinator der Zusammenarbeit. «Ich bin überzeugt, dass die Erkenntnisse, die wir über grosse Erdrutsche in Grönland gewinnen, auch der Schweiz helfen werden, einige der massiven Instabilitäten besser zu verstehen, die wir jetzt in den Schweizer Alpen beobachten.» Eine solche Instabilität betrifft zurzeit das bündnerische Dorf Brienz/Brinzauls, welches akut durch einen Erdrutsch bedroht ist. Neuesten Messungen zufolge rutscht ein Teil des Hanges oberhalb des Dorfes mit bis zu 32 Metern pro Jahr. Und auch das Dorf selbst rutsch immer weiter in Richtung Talboden. Dadurch alarmiert, haben die Behörden das Überwachungsprogramm intensiviert und neue Evakuierungsmassnahmen erlassen. Es wird damit gerechnet, dass Millionen von Kubikmetern Geröll und Holz sich in diesem Jahr avom Hang lösen könnten.

Die Schweiz und Grönland haben eine lange gemeinsame Geschichte, wenn es um die Forschung geht und die ihren Ursprung in der Expedition von Alfred de Quérvain 1912 in Grönland hatte. Doch richtig in Fahrt kam sie vor allem durch den unermüdlichen Einsatz von Professor Konrad «Koni» Steffen, der sich eine Vertiefung der Forschungstätigkeit und eine Zusammenarbeit mit Grönland eingesetzt hatte und der tragischerweise 2020 in Grönland ums Leben kam. Der ihm zu Ehren ins Leben gerufene «Konrad-Steffen-Stipendium» ist eine entsprechende Umsetzung und soll Forschungsarbeiten finanziell unterstützen. Letztes Jahr wurden zum einen bei einem Treffen des SPI und des grönländischen NIS gemeinsame Forschungsschwerpunkte definiert. Zum anderen startete das SPI mit seiner Flaggschiff-Initiative «GreenFjord» ein grossangelegtes multidisziplinäres Forschungsprojekt, das die Auswirkungen des Klimawandels auf Grönland untersucht. «Mit diesem Besuch, der durch das Koni Steffen Stipendium initiiert wurde, wollen wir eine Plattform für den Austausch über unsere Erfahrungen und gemeinsamen Probleme im Zusammenhang mit Naturgefahren bieten und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Grönland und der Schweiz in Wissenschaft, Technologie und Politik ausloten», sagt Professorin Schaepmann-Strub.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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