Ice Memory Foundation bewahrt «Klima-Gedächtnis» von Svalbard | Polarjournal
Das gefrorene Klimaarchiv konnte sichergestellt werden bevor es verschwindet. Foto: Riccardo Selvatico / CNR

Anfang April brach ein internationales Forschungsteam der Ice Memory Foundation im Rahmen des SENTINEL-Projekts zum Holtedahlfonna auf Svalbard auf. Ihre Mission: Die Bewahrung des rasant dahinschmelzenden Klimaarchivs, das die Gletscher von Svalbard – noch – beherbergen.

Drei Eiskerne haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dem Holtedahlfonna entnommen, der etwa 80 Kilometer nordöstlich von der internationalen Forschungssiedlung Ny Ålesund auf der Insel Spitzbergen liegt. Der Holtedahlfonna ist einer der größten und höchstgelegenen Gletscher des Svalbard-Archipels.

In einer Pressemitteilung der Ice Memory Foundation werden die drei gesammelten Eiskerne als «wichtiges wissenschaftliches und kulturelles Erbe im derzeitigen Kontext der starken Erwärmung der Arktis» beschrieben. Denn einer der Eiskerne wird quasi als «Klima-Gedächtnis» für nachfolgende Wissenschaftlergenerationen gesichert. Gemeinsam mit Eiskernen von Gletschern weltweit wird er in dem eigens dafür eingerichteten Ice Memory Sanctuary in der Antarktis aufbewahrt werden. Künftige Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden somit Zugang zu qualitativ hochwertigen Eiskernen erhalten anhand derer sie neue Hinweise für historische Umweltbedingungen auf der Erde untersuchen und künftige Veränderungen vorhersagen können, lange nachdem die Gletscher aufgrund der globalen Erwärmung verschwunden sein werden

Die beiden anderen Eiskerne werden für die zeitnahe Analyse verwendet, um das Verständnis des Klimawandels in der Arktis zu verbessern, die sich viermal schneller erwärmt als der globale Durchschnitt.

Die Expedition wird geleitet vom Institut für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Italien (CNR) unter Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des französischen Nationalen Zentrums für Wissenschaftliche Forschung (CNRS), des Norwegischen Polarinstituts (NPI) sowie den italienischen Universitäten Perugia und Ca’ Foscari in Venedig.

Schmelzwasser und extremes Wetter 

Bei ihrer Arbeit hatten die Forschenden mit extremen Wetterbedingungen und Hindernissen bei den Bohrungen durch große Schmelzwassermengen in den Schneeschichten zu kämpfen. Bei gefühlten -40°C aufgrund des sehr starken Windes stießen sie bei den Bohrungen nahe ihres ersten Camps auf 1.150 Meter Höhe auf Schmelzwasser, wodurch ihre Arbeit massiv beeinträchtigt wurde. Schon bei der ersten Tiefbohrung erschien in 24,5 Metern Tiefe flüssiges Wasser im Bohrloch.

«Der Anblick des Wassers im Gletscher war der bisher deutlichste Beweis für die Auswirkungen des dramatischen Klimawandels in der Arktis», erklärt Daniele Zannoni von der Universität Ca’Foscari in Venedig, der gemeinsam mit einem Kollegen die Bohrungen durchführte. Jean-Charles Gallet, Schneephysiker am NPI und Koordinator der Expeditionslogistik, fügt hinzu: «Seit 2005 haben uns alle Radarbeobachtungen das Vorhandensein einer mehrjährigen wasserführenden Schicht um die zentrale Linie des Gletschers gezeigt. Bei den früheren Bohrungen auf dem Holtedahlfonna wurde kein Schmelzwasser angetroffen, was wir dieses Jahr auch dachten. Wir haben fast am Rande des Gletschers gebohrt, in abschüssigem Gelände. Dort haben wir nicht erwartet, am Ende des Winters eine so ausgedehnte, reichhaltige und gesättigte Wasserschicht vorzufinden.»

Die hinzu gewonnenen Erfahrungen des Forschungsteam fügen dem Wissen über die Dynamik der arktischen Eiskappe und die Auswirkungen des Klimawandels bereits vor der Analyse der Eiskerne ein neues, wichtiges Puzzleteil hinzu. Denn die Gletscher verlieren nicht nur dramatisch an Masse, sondern auch an Kälte, heisst es in der Meldung. «Auch hier, unter den arktischen Gletschern von Svalbard, wird die Bedeutung und Dringlichkeit der von der Ice Memory Foundation angestrebten Ziele dramatisch deutlich. Diese Wasserschicht scheint besonders umfangreich zu sein, so dass sie einen konstanten Wasserfluss im Kernloch von etwa zwei Litern pro Minute erzeugt», sagt Jacopo Gabrieli, Glaziologe am CNR und stellvertretender Expeditionsleiter.

Erfolg im zweiten Anlauf

Der Druck des Schmelzwassers im Bohrloch war so hoch, dass zwei Motoren der Bohrmaschine beschädigt wurden. Daher entschied sich das Team, an einer 150 Meter entfernten Stelle einen neuen Versuch zu starten, um den Erfolg der Expedition nicht zu gefährden. Dort gelang es den Forschenden, ohne Hindernisse bis zum Grundgestein in knapp 74 Metern Tiefe zu bohren und die drei Eiskerne zu entnehmen. 

Auf extreme Kälte folgten beunruhigend hohe Temperaturen 

Mitte April stieg die Temperatur im Gletscher-Camp so stark an, auf -3°C, dass einige der Forschenden, die bereits einen Teil der wertvollen Proben nach Ny Ålesund transportierten, auf ihrem Weg auf gefährliche Wasserströme stießen. «Wir waren dabei, Eiskerne mit Schlitten und zwei Schneemobilen nach Ny Ålesund zu transportieren», erinnert sich Fabrizio de Blasi, Forscher am CNR, «als wir in einem durch Regen und geschmolzenen Schnee entstandenen Bach stecken blieben. Wir brauchten drei Stunden Arbeit und die Unterstützung von Kollegen, um die wertvolle Fracht in Sicherheit zu bringen.» 

Die noch im Camp verbliebenen Wissenschaftler kamen erst einige Tage später mit den restlichen Proben und der Ausrüstung nach, nachdem die Temperaturen wieder gefallen waren.

Internationale Unterstützung zur Bewahrung der Klimaarchive

Die Ice Memory Foundation hat sich zum Ziel gesetzt, Eiskerne von ausgewählten Gletschern, die stark durch die Erwärmung bedroht sind, zu bewahren und zu verwalten, um die daraus gewonnenen Informationen für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte zu erhalten, heißt es auf der Webseite. Die Bewahrung dieser Eiskerne sei der Schlüssel zu wissenschaftlichen Fortschritten und Erkenntnissen, die letztlich zum Wohlergehen der Menschheit beitragen werden.

«Gletscher in hohen Breitengraden, wie zum Beispiel in der Arktis, haben begonnen, in hohem Tempo zu schmelzen. Wir wollen diese außergewöhnlichen Archive des Klimas unseres Planeten für künftige Generationen von Wissenschaftlern retten und bewahren, bevor alle darin enthaltenen Informationen vollständig verloren gehen», erklärt Carlo Barbante, Paläoklimatologe, Direktor des Instituts für Polarwissenschaften des CNR, Professor an der Universität Ca‘ Foscari in Venedig und stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Eisspeicher in einer früheren Meldung.

Allerdings muss es angesichts der rasanten Erwärmung nun schnell gehen mit der Entnahme der Eiskerne, weshalb die Ice Memory Foundation um internationale Unterstützung bittet: «So alarmierend die Situation in der Arktis, in Europa und anderswo auf dem Planeten auch ist, wir brauchen jetzt von den Forschern einen raschen Beitrag zur Sammlung von Proben aus gefährdeten Gletschern oder zur Rettung bereits gesammelter Eiskerne in der Antarktis, um diese sehr wertvollen Daten im Eisspeicher in der Antarktis zu bewahren», fordert Carlo Barbante, der nicht an der Expedition teilnahm.

Das Ice Memory Sanctuary auf der Concordia-Station in der Antarktis 

Die ersten Ice Memory-Kerne werden ab der Saison 2024/2025 im Ice Memory Sanctuary eingelagert — eine sich noch im Bau befindliche Schneehöhle an der französisch-italienischen Concordia-Station auf dem antarktischen Plateau. Dieser Ort scheint aus heutiger Sicht ideal zu sein. Zumindest ist die Temperatur von -50°C noch  niedrig genug, um die Eiskerne sicher zu lagern. Mit 300 Quadratmetern bietet die Schneehöhle ausreichend Lagerfläche für eine große Zahl an Eiskernen.

In den letzten Jahren wurden bereits sechs Eiskerne von Gletschern weltweit entnommen (weiß), weitere sollen in naher Zukunft folgen (orange). Grafik: Ice Memory Foundation

Obwohl der Transport der Eiskerne zur Concordia-Station einen hohen logistischen Aufwand bedeutet, ist dieser Ort in vielerlei Hinsicht ideal:

  • Garantierte Langzeitkonservierung der Proben ohne Energieverbrauch für die Kühlung, wodurch die Proben vor jeglichem Risiko einer Unterbrechung der Kühlung (technische Probleme, Wirtschaftskrisen, Konflikte, Terroranschläge, etc.) geschützt werden.
  • Strukturierte Verwaltung der Proben in Verbindung mit einer restriktiven antarktischen Logistik, die einen einfachen Zugang zu den Kernen verhindert.
  • Lagerung in einer Polarregion, die durch den Antarktisvertrag verwaltet wird, der von den wichtigsten Nationen unterzeichnet wurde und für den die territorialen Ansprüche eingefroren sind.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Webseite der Ice Memory Foundation (Englisch): https://www.ice-memory.org/english/

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