Laut einem Bericht der Europäischen Union vom April dieses Jahres erlebte Grönland im Jahr 2022 den wärmsten und feuchtesten September in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen. Klimaforscher wie Jason Box beschreiben in jenem Bericht diese Anomalien.
Der Europäische Bericht über den Klimawandel, der am 19. April veröffentlicht wurde, legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Hitzewellen in Grönland im Jahr 2022. „Ich habe an diesem Abschnitt mitgearbeitet, bei dem die Temperaturaufzeichnungen außergewöhnlich sind“, erklärt uns der dänische Klimaforscher Jason Box. „Die Arbeit an diesem Projekt hat mir Spaß gemacht, weil ich einen sehr guten Datensatz hatte. Die Europäische Union war bereit, die Details zu untersuchen und die Angelegenheit zu analysieren. Extreme Phänomene sind eine neue Art, den Klimawandel zu verstehen. Davor konzentrierten wir uns auf den langsamen Anstieg des Mittelwertes.“
Eine Serie von drei Hitzewellen trafen Grönland im Spätsommer; Ursache dafür waren atmosphärische Strömungen. „Wir haben sowohl den Feuchtigkeitstransport durch Stürme als auch das Aufsteigen tropischer Feuchtigkeit bis nach Grönland beobachtet“, erklärt Jason Box. Diese aufsteigende Feuchtigkeit aus den Subtropen und den mittleren Breitengraden des Atlantiks sorgten für weitaus mehr Niederschläge als üblich. Die intensivste der drei Wellen traf Grönland zwischen dem 2. und 6. September, gefolgt von den Wellen vom 10. bis 16. und die vom 23. bis 28. September. Diese dritte Welle stand in Zusammenhang mit der Aktivität des Hurrikans Fiona, der Feuchtigkeit auch bis nach Kanada brachte. Auf ihrem Weg trafen die atmosphärischen Strömungen zuerst auf Grönland und dann mit geringerer Intensität auf Island und Norwegen. Jedes Mal, wenn sie auf festes Land treffen, verwandeln sich Hitze und Feuchtigkeit in Regen.
Normalerweise würden die Niederschläge zu dieser Jahreszeit als Schnee in Höhenlagen bis 2’000 Meter fallen. Doch dieses Mal war es Regen. Besonders betroffen waren der Westen und Süden, wo im September etwa 350 mm fielen, was doppelt so viel war wie saisonal üblich. Diese Niederschläge und die mittransportierte Hitze führten zu einem Rekord bei der Eisschmelze.
„Die Oberflächentemperatur des Eises in der Mitte des Eisschildes war etwa 8°C höher als der Durchschnitt“, sagt Jason Box weiter. Ein ähnlicher Wert war das letzte Mal vor 73 Jahren verzeichnet worden. Doch solche Phänomene treten seit den 1990er Jahren immer häufiger auf. Während der Hitzewellen stieg die Temperatur über den Schmelzpunkt des Eises. Das auffälligste Beispiel im Datensatz war ein Messpunkt auf 2’883 Meter über Meer, an welchem die Messgeräte rund 39 Stunden lang einen positiven Wert verzeichnet hatten. Einen solchen Wert hatte man zuvor nur zwei Mal gemessen: während vier Stunden im Jahr 2003 und eine Stunde im Jahr 2016. Das Resultat: Während der ersten Welle waren bereits am 3. September 23 % der grönländischen Gletscherfläche geschmolze, gerade einmal knapp 24 Stunden nach Beginn der Welle. „Während dieser drei Wellen war die schmelzende Fläche doppelt so groß wie die Höchstwerte, die zwischen 1991 und 2021 gemessen wurden“, erklärt Jason Box bei einer Präsentation.
Die letzte Welle Ende September wurde von einem starken, kalten Fallwind von der Eiskappe abgeschlossen, dem Piteraq (grönländisch für „der Wind, der dich angreift“), einem katabatischen Wind mit Böen bis zu 180 km/h. Der Fallwinid war so stark, dass in bewohnten Gebieten zahlreiche Gebäude teilweise massiv beschädigt worden waren.
Camille Lin, PolarJournal
Link zum Bericht : European State of the Climate 2022, Copernicus. https://climate.copernicus.eu/esotc/2022/greenland-heatwaves
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