Grönlandhaie streifen über Jahrhunderte durch die Gewässer der Arktis und des Nordatlantiks. Dabei begegnen sie auch einigen unliebsamen Zeitgenossen, wie zum Beispiel parasitischen Seepocken, die sich in ihrem Hinterteil festsetzen.
Grönlandhaie gehören sicher zu den außergewöhnlichsten Wirbeltieren. Sie sind insbesondere dafür bekannt, dass sie mehrere hundert Jahre alt werden können, experten zufolge bis zu 500 Jahre oder mehr. Das ist eine sehr lange Zeit, die für die großen Knorpelfische möglicherweise gar nicht so angenehm ist. Denn sie werden, wie die meisten anderen Fische, von zahlreichen Parasiten, sowohl aussen wie auch innen, heimgesucht.
Der Ruderfußkrebs Ommatokoita elongata, der sich auf die Hornhaut der Augen setzt und wahrscheinlich zu einem (teilweisen) Verlust der Sehkraft führt, ist einer der gut dokumentierten Parasiten bei Grönlandhaien. Doch es kommt noch unangenehmer: Ein kanadisch-norwegisches Forschungsteam hat jetzt von einem Parasiten berichtet, der bei den Kaltwasser-Haien bisher nie beobachtet wurde.
Während das Team im Jahr 2018 Grönlandhaie in der kanadischen Arktis markierte und ihre Stoffwechselrate untersuchte, fiel den Forschern bei einem 2,75 Meter langem Weibchen die Seepocke Anelasma squalicola auf, die man bislang vor allem von Laternenhaien kannte.
«Am 14. August 2018, […], entdeckten wir den weinroten Mantel eines Anelasma squalicola-Exemplars, das aus der Kloake eines 275 cm langen weiblichen Grönlandhais herausragte», schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Fish Biology erschienen ist.
Äußerlich ähnelt die Seepocke aufgrund ihres muskulösen Stiels Entenmuscheln. Diese sind im Übrigen keine Muscheln, sondern werden zu den Krebstieren gezählt. Allerdings gebe es einen wichtigen Unterschied erklärt Dr. Robert van Syoc, Seepocken-Experte an der California Academy of Sciences, gegenüber Forbes: «Der Stiel hat verschiedene Modifikationen entwickelt, die dazu dienen, als Anhängsel zur Nahrungsaufnahme zu fungieren und nicht einfach nur als Befestigungsort; [er verankert sich] im Wirtshai und nimmt Nährstoffe aus dem Wirtsgewebe auf. Die thorakalen Gliedmaßen, die Cirri, sind so verkümmert, dass sie nicht mehr wie bei Entenmuscheln zur Filtrierung eingesetzt werden können. Darüber hinaus kommt Anelasma squalicola nur als Parasit bei relativ seltenen Tiefseehaien vor. Dies deutet darauf hin, dass Anelasma squalicola eine Reliktart ist, vielleicht eine Art lebendes Fossil, wenn man so will.»
Eric Ste-Marie, Haiforscher an der University of Windsor, Kanada, und Hauptautor der Studie, und sein Team hatten das Grönlandhai-Weibchen von der Seepocke befreit und diese für die spätere Identifizierung und molekulare Analyse konserviert. Da dies die erste Beobachtung von A. squalicola bei Grönlandhaien ist, sind sich die Forscher nicht sicher, ob die Seepocke regelmäßig Grönlandhaie als Wirt auswählt oder ob es eher ein untypisches Vorkommen darstellt.
Über die Auswirkungen des Seepockenbefalls auf den Grönlandhai können die Forscher nur Vermutungen anstellen. Von Laternenhaien ist jedoch bekannt, dass befallene Tiere kleinere Hoden, Klaspern und Eizellen aufweisen, was darauf hindeutet, dass A. squalicola die Entwicklung der Fortpflanzungsorgane in einigen seiner Wirte behindert.
Die Übertragung des Parasiten auf Grönlandhaie könnte der Studie zufolge durch die Überschneidung der geographischen Verbreitungsgebiete von Grönlandhaien und anderen, von der Seepocke befallenen Haien begünstigt werden. Die Autoren hoffen darauf, dass andere Wissenschaftler und Fischereibeobachter in Zukunft auf die Parasitierung von Grönlandhaien mit dieser Seepocke achten, um die Häufigkeit des Befalls und die Auswirkungen auf die Haie festzustellen.
Julia Hager, PolarJournal