Ein rotes Kleid gegen Gewalt an Frauen | Polarjournal
Das Verschwinden und die Ermordung von indigenen Frauen, Mädchen und Two-Spirits-Personen, der sogenannte Schwesternraub, hat in Kanada ein dramatisches Ausmaß angenommen. Die Inuit-Gemeinschaften sind davon besonders betroffen. Bild: Edna Winti, CC BY 2.0, Wikicommons.

Rote Kleider hängen hier und dort, an Ästen von Bäumen, Denkmälern oder an Haustüren. Leer symbolisieren sie die Frauen, deren Leben genommen wurde, und die bestürzende Tatsache, dass in Kanada für indigene Frauen oder Mädchen ein zwölfmal höheres Risiko im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen besteht, entführt und/oder ermordet zu werden.

Deswegen fand am 5. Mai in ganz Kanada der Nationale Gedenktag für vermisste oder ermordete indigene Frauen, Mädchen und Two-Spirits-Personen statt, der auch als Tag des roten Kleides bekannt ist. Überall versammelten sich Mitglieder indigener Gemeinschaften, beispielsweise in Ottawa, wo etwa 60 Inuit am Annie-Pootoogook-Park zusammenkamen. Der Park ist nach einer bekannten Inuk-Künstlerin benannt, die selbst 2016 im Alter von 47 Jahren unter mysteriösen Umständen ums Leben kam.

Kehlgesänge der Teilnehmer hallten mit derselben Botschaft wider: Die Gewalt muss aufhören.

Auch in den kanadischen Inuit-Gemeinden fanden mehrere Aktionen statt, wie z. B. in Iqaluit, wo ein Marsch mit fast 80 Teilnehmern abgehalten wurde. „Wir brauchen Taten, wir brauchen Unterstützung, wir brauchen ein Ende“, sagte Amber Aglukark, Vorsitzende des Qulliit Nunavut Status of Women Council, eines Beratungsgremiums, gegenüber Nunatsiaq News.

Der Ursprung der roten Kleider gehen auf das Jahr 2010 zurück, als die Künstlerin Jaime Black eine Kunstinstallation aus roten Kleidern ausstellte, die verschwundene Ureinwohnerinnen symbolisierten. Bild: Christine Rondeau aus Vancouver, Kanada, CC BY 2.0, Wikicommons.

Beunruhigende Zahlen

Ein 2022 von Statistics Canada veröffentlichter Bericht stellte fest, dass 63% der indigenen Frauen Opfer von Gewalt wurden und fast die Hälfte sexuelle Übergriffe erlitten hatte.

In einem anderen Bericht der Royal Canadian Mounted Police wurden zwischen 1980 und 2012 fast 1’200 vermisste oder ermordete indigene Frauen und Mädchen gezählt, eine Zahl, die laut mehreren indigenen Organisationen jedoch bis auf 4’000 steigen könnte. Bei den Inuit-Frauen sind die Zahlen noch höher. Laut Daten, die in einem Bericht von Public Safety Canada aus dem Jahr 2020 veröffentlicht wurden, gaben 74% der Inuit-Frauen in Nunavik an, dass sie zu Hause Gewalt erlebten, und 46% gaben an, dass sie sexuell missbraucht wurden. Und 2016 wiesen die Regionen Nunavut, die Nordwest-Territorien und Yukon landesweit die höchsten Raten an Frauen auf, die Opfer von Gewalt in der Familie wurden.

Eine Tatsache, die der Verband der indigenen Frauen Kanadas (AFAC) als Völkermord bezeichnet. In einer am 1. Mai veröffentlichten Pressemitteilung fordert die Organisation die Regierung auf, „den Notstand auszurufen, um den Völkermord an indigenen Frauen, Mädchen sowie Transgender, Two-Spirits und Menschen mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten zu beenden“.

Laut Carol McBride, der Vorsitzenden des AFAC, befindet sich Kanada in einer Krise: „Wir fordern alle Verbündeten, Organisationen und Verteidiger auf, ihre Unterstützung zu bekunden, indem sie einen offenen Brief an die Parlamentsabgeordneten und Senatoren unterzeichnen.“

Besonders dramatisch ist die Situation in Winnipeg, Manitoba, wo seit Mai 2020 mindestens 28 indigene Frauen an den Folgen von Gewalt gestorben sind, erklärt Sandra DeLaronde, Leiterin des Umsetzungsteams von Manitoba MMIWG2S+, einer Bewegung, die sich für ein Ende der Gewalt gegen indigene Frauen, Mädchen und Two-Spirits-Personen einsetzt.

Dinge in Bewegung setzen

Obwohl sich die Dinge nur langsam bewegen, wurden immerhin einige Maßnahmen vorgeschlagen. So kündigte Mona Fortier, Vorsitzende des Schatzamtes und Abgeordnete für Ottawa-Vanier, am 3. Mai eine Finanzierung in Höhe von CAD$ 750’000 (etwas mehr als eine halbe Million Euro) für die Pauktuutit Inuit Women of Canada an. Der Fonds soll die Organisation in die Lage versetzen, die Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass indigene Frauen und 2ELGBTQQIA+ Personen und ihre Gemeinschaften wachsen können, wie es in der Pressemitteilung heißt.

Das House of Commons (das Unterhaus des kanadischen Parlaments) unterstützte am 2. Mai einstimmig einen Antrag, der den Tod und das Verschwinden von indigenen Frauen und Mädchen zu einem pankanadischen Notstand erklärt und die Finanzierung eines neuen öffentlichen Warnsystems für vermisste Personen fordert.

Der Ursprung der oben genannten roten Kleider geht auf das Jahr 2010 zurück, als die Künstlerin Jaime Black ihr Projekt REDress startete, eine Kunstinstallation aus Hunderten von roten Kleidern, die für die in Kanada verschwundenen oder ermordeten Frauen und Mädchen der Ureinwohner stehen. Die Installation wurde an der Universität von Winnipeg ausgestellt und zog weitere Kreise: Die Künstlerin erhielt Hunderte von roten Kleidern aus dem ganzen Land, und das Symbol wurde aufgegriffen, um den Nationalen Gedenktag für vermisste oder ermordete indigene Frauen, Mädchen und Two-Spirits-Personen zu begehen.

Mirjana Binggeli, PolarJournal

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