Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine liegen die Tätigkeiten des Arktisrates, der von Russland seit 2021 präsidiert war, auf Eis. Lange herrschte die Befürchtung, dass eine Übergabe des Vorsitzes an Norwegen in diesem Jahr nicht oder nur unter schwierigen Bedingungen stattfinden würde. Das war zwar aber nicht der Fall. Doch in der sich aufheizenden Arktis bleibt die Stimmung zwischen den Seiten eisig.
Die gute Nachrichte zuerst: Die geplante Übergabe des Arktisratshammer, dem Zeichen des Vorsitzes, von Russland an Norwegen fand wie geplant am 11. Mai statt. Damit kann Oslo mit seiner Agenda für die Jahre 2023 – 2025 nun weitermachen. Diese hatte die norwegische Regierung im März veröffentlicht und gleichzeitig klargemacht, dass es dem nordischen Land auch um das Überleben des arktischen Gremiums geht. Das wiederum wollen auch die restlichen Mitgliedsländer, inklusive der russischen Regierung. Deren Arktisbotschafter Nikolai Korchunov bekräftigte bei der Übergabe am 11. Mai 2023, «Das heutige Treffen hat gezeigt, dass eine Bereitschaft für den Erhalt des Arktisrates da ist.» Herrscht also wieder Tauwetter zwischen Russland und den übrigen sieben Arktisnationen?
Doch die schlechte Nachricht ist, dass man von Tauwetter kaum sprechen kann, wenn man schon nur die Übergabe genauer betrachtet. Das Treffen fand im russischen Salekhard statt und statt den normalerweise durchgeführten grossen Ministertreffen blieb Russland alleine am Tisch. Die restlichen Länder waren lediglich digital mit den direkt betroffenen Stellen vertreten, darunter auch der leitende norwegische Arktisvertreter Morten Høglund. Kein Händeschütteln und keine freundlichen Worte gepaart mit zahlreichen Bildern von strahlenden Ministern für die Presse und Öffentlichkeit, wie es sonst bei den Ratsvorsitzübergaben der Fall war: das Eis zwischen den Parteien bleibt bestehen. Zumindest einigte man sich auch auf eine Stellungnahme, in der die Staaten «die historische und einzigartige Rolle des Arktisrates für eine konstruktive Zusammenarbeit, Stabilität und Dialog zwischen den Menschen in der arktischen Region» anerkennen. Ausserdem wurden die Rechte der arktischen indigenen Bevölkerung, der besonderen Beziehungen zur Arktis und die Wichtigkeit von grenzüberschreitenden und Mensch-zu-Mensch-Kooperationen in der Region in der Stellungnahme anerkannt.
Die Aussagen Russlands und die Ereignisse und Aktionen jenseits des Treffens lassen ebenfalls nicht darauf schliessen, dass mit der Übergabe des Ratsvorsitzes nun der Inhalt der Erklärung tatsächlich auch umgesetzt wird. Zum einen machte Nikolai Korchunov klar, wo für Russland die Prioritäten im Arktisrat liegen: «Ein derart grosses Land wie Russland kann und soll sich nicht nur auf ein Format stützen und zur Geisel eines solchen Formats werden. Unsere Zusammenarbeit in der Arktis könnte multilateral, bilateral und trilateral sein,» schreibt das Portal High North News». Eine Austrittsdrohung? Noch nicht, erklärt Korchunov. «Es ist notwendig, Optionen zu haben, um Abhängigkeiten zu vermeiden und alles ist möglich. Bis anhin haben wir keine Pläne, den Arktisrat zu verlassen. Doch wenn die Organisation nutzlos wird oder unsere Rechte verletzt werden, ziehen wir einen Ausstieg in Betracht. Wir folgen strikt unseren nationalen Interessen und diese stehen im Vordergrund.» Auch Norwegen, dessen Vertreter Morten Høglund am Rande des Treffens von einer schwierigen, aber machbaren Situation für den Arktisrat sprach, sendet andere Signale als in der Stellungnahme geschrieben steht. Beispielsweise wurden die Kontrollen für russische Fischereischiffe in norwegischen Häfen, die im Rahmen des Barentsabkommens noch erlaubt sind, massiv verstärkt. Ausserdem wird Norwegen Ende Mai eine der grössten Kampjetmanöver gemeinsam mit seinen nordischen Nachbarn im hohen Norden abhalten, direkt vor der russischen Haustür. Währenddessen melden Medien immer wieder Stationierungen von weiteren Militärverbänden in der russischen Arktis.
Die Lage ist nach Ansicht von vielen politischen Beobachtern sehr verfahren und kann kaum gelöst werden. Auch Russland und Norwegen selber sind der Meinung, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Lösung für die Situation besteht. Doch Norwegen glaubt, dass der Rat nun irgendwie wieder mit seiner Arbeit beginnen kann. Und Unterstützung dafür kommt ebenfalls aus dem Osten, genauer aus China. Das zumindest erklärte der chinesische Ministerialrat in Oslo, Pan Zejun Ende April gegenüber norwegischen Medien. China glaube an die Arbeit des Arktisrates und unterstütze Norwegen bei seinen Bemühungen um eine Lösung der Situation im hohen Norden. Doch wie solche Bemühungen konkret aussehen, bleibt weiterhin ein Rätsel. Auch Høglund äusserte sich nur vage am letzten Donnerstag. Doch es ist klar, dass die arktische Welt sich zurzeit ohne Russland drehen wird und der Hammer wird das Eis im Arktisrat kaum brechen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal